Glaubensgemeinschaften in Bayern:Propheten und Missionare

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Es gibt viele christlich geprägte Gemeinschaften in Bayern. Ihre Mitglieder wollen oftmals radikal und konsequent nach dem Buch der Bücher leben. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Esoteriker, Islamisten, Okkultisten und jede Menge christliche Gemeinschaften: Allein in Oberbayern stehen 1200 Weltanschauungsgruppen unter Beobachtung, aber nicht alle sorgen für so viel Aufregung wie die "Zwölf Stämme". Ein Überblick.

Von Sabine Pusch und Charlotte Theile

Bei der Glaubensgemeinschaft "Zwölf Stämme" ist die Sache eindeutig: eine isolierte, exklusive Gemeinschaft, ein fundamentalistisches Bibelverständnis, das sich im Zweifel über Recht und Gesetz hinwegsetzt. "Sekten" nennt man solche Gemeinschaften im Volksmund und meint: Die sind gefährlich. Sekten, so das allgemeine Verständnis, schotten sich von der Gesellschaft ab, dulden keine Kritik an ihrer Wahrheitslehre und haben fast immer einen charismatischen Führer, der die Gläubigen kontrolliert.

Die Beratungsstellen der katholischen und evangelischen Kirchen beobachten in Bayern viele solche Gruppen - Sekten nennen sie sie nicht mehr. Das sei ein Kampfbegriff, der stigmatisiert und nicht weiterhilft, findet Axel Seegers, der für die katholische Kirche in München arbeitet. Konfliktträchtige religiöse Gemeinschaften gibt es dennoch viele, sagt Seegers: "Allein in Oberbayern beobachten wir 1200 Gruppierungen. Esoteriker, Islamisten, Okkultisten und viele mehr."

Komplizierter ist die Abgrenzung im Bereich der christlichen Kirchen. Schon die etablierten Konfessionen teilen sich auf. Es gibt alt-katholische Christen, Lutheraner, reformierte evangelische Kirchen. Darüber hinaus haben sich in den vergangenen Jahren Hunderte christliche Freikirchen gegründet, sagt Rudi Forstmeier von der evangelischen Kirche in München. Viele sind offen und suchen Kontakt zu anderen Christen, andere schotten sich ab und werden immer extremer. Die Grenzen dazwischen sind fließend. Andere Gemeinschaften sind zwar christlich geprägt, haben aber mit Bibel und Kirche kaum etwas zu tun. Eine Auswahl.

Universelles Leben

Ähnlich wie die Zwölf Stämme gilt die Gemeinschaft als sehr abgeschieden. Die "Christusfreunde", wie sich die Anhänger nennen, kämpfen seit Jahren gegen die Amtskirchen in Deutschland. Häufig kritisiert werden vor allem die katholische Kirche und der Papst. Man selbst vertrete das "innere Christentum" - eine Lehre ohne Dogmen und Riten. An der Spitze der Glaubensgemeinschaft steht die selbsternannte Würzburger Prophetin Gabriele Wittek. Sie versteht sich als "die größte Wortträgerin des Gottesgeistes seit Jesus von Nazareth".

Der katholische Weltanschauungsfachmann Seegers sieht die Gemeinschaft naturgemäß sehr kritisch: "Wir bezeichnen sie nicht als Christen. Hier steht nicht die Bibel, sondern die private Offenbarung von Frau Wittek im Mittelpunkt." Die Gruppierung werde in ihrer Konfliktträchtigkeit unterschätzt. Für die proklamierte Freiheit der Anhängerschaft gebe es keinen Raum, da sich Wittek als das "absolute Gesetz" verstehe. Aussteiger sprächen von einem Klima der Angst und des Terrors. Neben der Ortsgruppe in Würzburg ist Universelles Leben auch in Nürnberg und Michelrieth vertreten, wo die Gruppe eine Naturklinik betreibt. Auch in München und außerhalb Bayerns gibt es kleinere Gemeinden.

Evangelikale Gemeinden

Evangelikale Christen nehmen die Bibel wörtlich, heißt es oft, wenn über Jesus- Freaks, Pfingstler oder stark wachsende, moderne Kirchen wie International Christian Fellowship (ICF) gesprochen wird. Tatsächlich grenzen sich evangelikale Christen von der liberalen Theologie der evangelischen Landeskirchen ab, wollen ihren Glauben bibeltreuer, konsequenter und radikaler leben. "Evangelikale Gemeinden sind einer der größten Trends innerhalb des Christentums. Es gründen sich immer wieder neue, individualisierte Gruppen", beobachtet Rudi Forstmeier.

Harry Bräuer, der sich bei der Polizei München mit dem Thema Opferschutz beschäftigt, hat einige evangelikale Gemeinden im Blick. "Die Haltung: 'Wer sein Kind liebt, der züchtigt es' findet man öfter." Doch wie diese Erziehungsvorstellungen in den einzelnen Gemeinden umgesetzt werden, sei schwer nachzuweisen. Bräuer kann letztlich nur sagen: "Wir beobachten das genau."

Die Weltanschauungsbeauftragten raten, bei kleinen, abgeschlossenen Gemeinden, die viel Einfluss auf das Privatleben ihrer Gläubigen nehmen wollen, vorsichtig zu sein. Der Dachverband der evangelikalen Kirchen ist die Evangelische Allianz - Gemeinden, die Mitglied sind, gelten als offener und gesprächsbereit.

Mormonen

Neben der Bibel berufen sich die Mormonen auf das Buch Mormon, eine religiöse Schrift, die von anderen christlichen Kirchen nicht anerkannt wird. In Deutschland sind die Mormonen weniger erfolgreich als in den Vereinigten Staaten, wo sie herkommen. Ihre Versuche, hier Mitglieder zu gewinnen, scheitern häufig an der Sprache: Viele Mormonen kommen für ein Jahr zum Missionieren nach Europa, prominentestes Beispiel ist der Republikaner Mitt Romney. Alkohol, Tabak, Kaffee oder Schwarztee sind für die Gläubigen tabu. In München sollen etwa 1900 Mormonen leben. Sie selbst nennen sich Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage.

Zeugen Jehovas

Die christlich geprägte Religionsgemeinschaft ist in Bayern seit einigen Jahren als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt - und damit rechtlich der katholischen oder evangelischen Kirche gleichgestellt. Seegers rät dennoch zur Vorsicht: "Was wir bei den Zeugen Jehovas beobachten, ist ein dualistisches Weltbild: Gut und Böse werden klar getrennt. Am jüngsten Tag werden die Auserwählten gerettet - alle anderen brennen in der Hölle." In der Frage, ob eine Religionsgemeinschaft als kritisch oder konfliktträchtig einzustufen sei, sei dieser Aspekt besonders wichtig. Je deutlicher die Abgrenzung zwischen guter Gemeinschaft drinnen und böser Welt draußen ist, desto schwieriger kann eine solche Gemeinschaft für das soziale Leben der Gläubigen sein.

Stamm der Likatier

Vor zehn Jahren geriet die Gemeinschaft aus Füssen in das Visier der Staatsanwaltschaft - man vermutete Sex-Orgien und Kindesmissbrauch. Der 1974 gegründete Stamm hat eine eigene Zeitrechnung, ist aber auch dort in der Moderne angekommen: Die Mitglieder, die früher als medienscheu galten, pflegen heute eine Internetseite, auf der sie über das Leben in der Gemeinschaft informieren und zu Kennenlern-Seminaren einladen. Dabei soll zum Beispiel die Frage "Wie leben Likatier Erotik und Beziehung?" geklärt werden. Als christlich geprägte Gruppierung gelten die Likatier nur bedingt - die Weltanschauungsbeauftragten sehen in ihnen eher eine alternative Lebensgemeinschaft. Und davon gebe es in Bayern noch Tausende.

© SZ vom 12.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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