Eine Mehrheit der Physiotherapeuten in Bayern wünscht sich einer Befragung zufolge eine eigene Berufskammer, um die Interessen der Zunft schlagkräftiger zu vertreten. Wie der Landesverband des Dachverbands Physio-Deutschland, dem nach eigenen Angaben größten Zusammenschluss dieser Art, am Dienstag mitteilte, zeige dies die Auswertung eines Online-Tools, mit dem Berufsvertreter befragt wurden. Abgefragt worden sei etwa, in wessen Händen künftig die Weiterentwicklung des Berufs liegen und wer die Forderungen der Physiotherapeuten gegenüber Politik und Gesellschaft vertreten solle. Auch wer nicht in dem Verband Mitglied ist, durfte demnach teilnehmen. Laut aktueller Auswertung stehen 85 Prozent der teilnehmenden Therapeuten im Freistaat hinter den Thesen, die eine eigenständige Kammer vertreten würde. Die Zustimmung liege damit noch höher als bei den Befragungsteilnehmern bundesweit.
Der Landesverband plädiert seit Jahren für die Gründung einer Kammer, ähnlich denen anderer Gesundheitsberufe wie Ärzten, Apothekern oder Psychologen. Auch Pflegekräfte seien in diversen Bundesländern bereits derartig organisiert. Von einer eigenständigen Körperschaft, in der eine Mitgliedschaft dann verpflichtend wäre, verspricht sich der Verband "mehr Selbstbestimmung sowie ein demokratischeres Abbild dessen, was die Berufsangehörigen tatsächlich wollen". Derzeit seien es praktisch nur die Verbände, die auf die Gesundheitspolitik Einfluss nehmen können.
Und dieser Einfluss sei begrenzt - durch die Gesetzeslage, die den Verbänden in der Regel "maximal Anhörungsrechte" einräume, sowie durch die Tatsache, dass nur ungefähr 40 Prozent der Physiotherapeuten in einem Berufsverband organisiert seien. "Eine Kammer hat beispielsweise in vielen Belangen Mitspracherecht. Damit sind politische Entscheidungen über unsere Köpfe hinweg, wie wir sie leider oft erleben müssen, nicht mehr möglich", teilte Rüdiger von Esebeck mit, Vorstandsmitglied des Physio-Landesverbands. Zudem seien in der Kammer alle Berufsangehörigen vertreten - und alle hätten "Recht und Stimme und entscheiden gemeinsam und demokratisch". Um mit möglichst vielen Kollegen über das Für und Wider einer Kammer zu diskutieren, habe der Verband eine bayernweite Veranstaltungsserie ins Leben gerufen, beim nächsten Mal will man sich in Rosenheim treffen. Denn innerhalb der Branche ist das Vorhaben keineswegs unumstritten. Das Befragungsinstrument des Dachverbands solle zur "neutralen Meinungsbildung" beitragen.
Unter anderem freiberufliche Physiotherapeuten warnen vor "Verkammerung" sowie "Regulierung" durch Zwangsmitgliedschaft, die ihnen zusätzliche Kosten und Bürokratie aufbürdeten. Auch sei es längst nicht ausgemacht, dass durch eine solche Umorganisation die Schwierigkeiten von Praxen gelöst würden. Eine nach Ansicht der Branche zu geringe Vergütung physiotherapeutischer Leistungen gilt als eines der Hauptprobleme. Im Frühjahr beginnen dazu bundesweite Verhandlungen mit den Kassen. Physiopraxen - gerade auch in Bayern - warnen seit Jahren davor, dass die geringe Vergütung der Leistungen Umsätze und Gehälter für die Angestellten schmälere; und in der Folge zu einem eklatanten Mangel an Personal und Nachwuchs führe. Das sei letztlich für Patienten untragbar: Sie müssten oft wochenlang auf Termine warten, und die Kapazitäten für Hausbesuche bei Schwerstkranken gingen gegen Null. In einer Analyse der Bundesagentur für Arbeit zum Fachkräfteengpass gehört Bayern zu den besonders vom Mangel betroffenen Bundesländern, wobei die Versorgung mit Personal demnach nahezu nirgends in Deutschland wirklich gut ist. 2018 und 2019 hatten sich Berufsvertreter mit verschiedenen Aktionen und Protesten zu Wort gemeldet.
Einen Erfolg verbuchte man gleichwohl: Die von der großen Koalition in Berlin anvisierte Abschaffung des Schulgeldes für angehende Physiotherapeuten wurde in Bayern vergangenen Sommer beschlossen. Die Fachschulen für nichtärztliche Assistenz- und Heilberufe erhalten jetzt dafür einen "Gesundheitsbonus".