Kneipp-Kuren:Der ganzheitliche Herr Pfarrer

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In vielen Städten gibt es öffentliche Kneipp-Anlagen. (Foto: Claus Schunk)

Sebastian Kneipp hat mehr hinterlassen als kalte Güsse: Der Naturheilkundler tat sich vor 125 Jahren mit Ärzten zusammen, seine Lehre ist bis heute weit verbreitet.

Von Dietrich Mittler, München

Kneipp: Alleine die Nennung dieses Namens lässt verzärtelte Gemüter fröstelnd erschauern. Sobald der schwäbische Herr Pfarrer ins Spiel kommt, fallen der Mehrheit der Bevölkerung Begriffe wie Rosskur, Wasserstrahl und kalter Guss ein. Das ließe sich durchaus als Image-Problem diagnostizieren, noch dazu in Zeiten, in denen die indische Heilkunst Ayurveda und die Traditionelle Chinesische Medizin als sehr schick gelten. Aber es gibt ja Menschen, die Sebastian Kneipp und seine Heilmethode raushauen, wenn der Volksmund wieder mal nur Halbwahrheiten von sich gibt. "Wir brauchen kein Ayurveda, keine Traditionelle Chinesische Medizin, wir haben hier selbst so fantastische Heilmethoden", sagt zum Beispiel Ute Ammerpohl.

Ammerpohl ist die Geschäftsführerin der "Ärztegesellschaft für Präventionsmedizin und klassische Naturheilverfahren Kneippärztebund e.V.", die kürzlich ihr 125-jähriges Bestehen feierte und aus diesem Anlass am Mittwoch im Münchner Presseclub alle Welt wissen ließ: Kneipp hat der Menschheit weit mehr hinterlassen als nur die Wasserkuren, mit denen er sich selbst in der Zeit um 1848/49 von einer schweren Lungenkrankheit kuriert hatte. Ja, in Wahrheit ruht seine Methode auf gleich fünf Säulen: Wasseranwendung, Heilkräuter, Bewegung, gesunde Ernährung und Lebensordnung - wobei Letzteres nun eher Psychotherapie heißen würde, für den Priester Sebastian Kneipp aber Seelsorge im weitesten Sinne bedeutete.

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Kneipp verfolgte also einen Ansatz, den man heute als "ganzheitlich" bezeichnen würde - und das gilt ja in Inkreisen momentan im gepflegten Gesprächen bei Latte macchiato und Aperol Spritz als besonders schick. Aber bedauerlicherweise, nur wenige bringen Kneipp damit in Verbindung. Der wiederum hat damals wohl geahnt, in welche Richtung sich die Nachwelt entwickeln wird - sprich: Er bekam Angst davor, sein ganzheitlicher Ansatz könnte in Vergessenheit geraten. Seine schriftlichen Hinterlassenschaften deuten stark darauf hin, dass er nach Menschen suchte, die seine Lehre wissenschaftlich fundiert weitergeben können - Ärzte eben.

"Es war ein ganz entscheidender Schritt, dass Kneipp rechtzeitig Ärzte mit ins Boot holte, die ihn in seinen letzten Jahren unterstützten", sagt Eberhard Volger. Er ist Beisitzer und Wissenschaftlicher Leiter des Kneippärztebundes und als Kardiologe Schulmediziner durch und durch. "Nehmt euch meiner Sache an", habe Kneipp im schwäbischen Wörishofen zu den Ärzten gesagt. Und das, so Volger, lasse auf menschliche Größe schließen, denn Ärzte und Apotheker hatten Kneipp nicht nur einmal wegen Kurpfuscherei angezeigt. Doch Schwamm drüber, am Ende wollten viele Ärzte in Wörishofen hospitieren - und Kneipp wies sie nicht ab.

Dann der Ärzte-Zusammenschluss am 2. Februar 1894: 30 Mediziner aus dem In- und Ausland waren laut Volger in Wörishofen zusammengekommen, um den "Internationalen Verein Kneippscher Ärzte" zu gründen. Von Kneipp hörten sie mahnende Worte: Sie sollten Einigkeit bewahren und seine Lehre nicht verfälschen. So geschah es denn auch. "Schon nach wenigen Jahren stieg die Mitgliederzahl des Kneippärztebundes auf 400 an", sagt Volger.

Kneipp war zu seiner Zeit eine internationale Größe. Als er im Juni 1897 in Wörishofen starb, habe das Times Magazine geschrieben, mit ihm sei der neben Bismarck berühmteste Deutsche von dieser Welt gegangen, sagt Volger. Zwei Weltkriege und das Terrorregime der Nationalsozialisten sorgten aber dafür, dass die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zur Weiterentwicklung von Kneipps Lehre für viele Jahre zum Stillstand kam. "Da war es mit der Internationalität vorbei", sagt Volger.

Der Kneippärztebund gab aber nicht auf. 1949 wurden für Mediziner wieder Lehrgänge zur Kneippheilkunde abgehalten, Jahre später dann auch wieder Forschungsarbeiten aufgenommen. Kneipps Naturheilkunde, so sagt Volger, sei Teil der Schulmedizin. Sie den Medizinern durch Fort- und Weiterbildungen nahezubringen, ist heute wesentlicher Inhalt des Kneippärztebundes. Für gesundheitsbewusste Laien stehen die Kneipp-Vereine offen, organisiert unter dem Dach des Kneipp-Bundes. Dort erfährt man auch, wo es moderne Gießrohre zum Kneippen gibt. Die sind übrigens sehr schick.

© SZ vom 14.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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