Fürth und sein Versager-Image:Die heimlichen Aufsteiger

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"Lieber Fünfter als Fürther", wird die Spielvereinigung Greuther Fürth gerne von gegnerischen Fans verspottet. Das Fürther Verlierer-Image hält sich hartnäckig - dabei haben sich Stadt und Fußballverein nach diversen Pleiten längst aufgerappelt.

Olaf Przybilla

Horst Müller hat es so satt. Sonntagsspaziergang mit den alten Spezln, die Sonne scheint, es könnte so schön sein. Irgendwann aber kommt immer einer mit dem alten Schmarrn: Die Fürther dürfen nicht aufsteigen, sie wollen es nicht und können es nicht. Seine Spezln sind alle Club-Fans, was nicht verwunderlich ist, denn Müller stammt aus dem Osten von Nürnberg, einer Region, in der Fürth-Fans ungefähr so häufig anzutreffen sind wie Anhänger von Apoel Nikosia. Müller war ja selbst sein halbes Leben lang Clubberer, bevor er Wirtschaftsreferent von Fürth wurde. Dass Leidenschaft mit Leiden zu tun hat, glaubte er aus dieser Club-Zeit zu wissen. Dass es aber eine Steigerung gibt - die Qualen der Unaufsteigbaren aus Fürth -, hätte er kaum für möglich gehalten.

Fürth, das klingt nach Langeweile. Dabei hatten und haben die Stadt und ihr Umland einiges zu bieten, zum Beispiel den Zweitliga-Tabellenführer und Pokal-Halbfinalisten Greuther Fürth. (Foto: dapd)

In Bayern dürfte es keine Stadt geben, der das Verlierer-Image so hartnäckig anhaftet wie Fürth. Da scheint es auch nichts zu nützen, dass man nun Zweitliga-Tabellenführer ist. Dass Fürth im Pokal-Halbfinale steht. Dass man wohl demnächst ein neues Stadion bekommt. Sich möglicherweise bald Weltkulturerbe nennen darf. Und bereits 2007 den Titel "Wissenschaftsstadt" verliehen bekommen hat, als zweite Kommune in Deutschland. "Die dummen Sprüche werden uns trotzdem erst mal bleiben", sagt Müller. Verbittert klingt das aber nicht.

Der Wirtschaftsreferent sitzt in seinem Büro, vor ihm liegt ein brauner Lederball . Es sieht aus, als stamme der Ball aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Beim Sonntagsspaziergang hätte sich damals keiner zum Gespött gemacht, wenn er sich als Fürther zu erkennen gegeben hätte, schon gar nicht der Wirtschaftsreferent. Fürth, das war eine große Nummer in Deutschland: Dreimal wurde man Fußballmeister, der Name der Stadt war eng verbunden mit dem Beginn der Industrialisierung - in Fürth endete 1835 die erste Eisenbahnfahrt Deutschlands -, und als es nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufwärts ging in Deutschland, trug die Stadt nicht wenig dazu bei: Grundig lieferte sozusagen den Sound des Wirtschaftswunders, Quelle den Katalog und Ludwig Erhard, ein Fürther, die passende Weltanschauung.

Danach ging es rasend schnell mit dem Image. Rasend schnell bergab: Grundig pleite, AEG an der Fürther Straße in Nürnberg pleite, Quelle pleite. Das Fürther Stadion sieht so aus, als hätten drei Architekten aus drei Jahrhunderten an einem Entwurf gearbeitet, am Ende aber alle ihr Ding durchgezogen. Die Fußballer spielten zuletzt fast immer um den Aufstieg. Am Ende aber blieb immer: nichts.

Wie geht man damit um? Müller ist Wirtschaftsreferent, das sind oft Leute, die schlichte Fragen mit wohltönenden Phrasen parieren. Der CSU-Mann ist anders, er erzählt eine Geschichte: "Am Abend, als ich den Job hier angetreten habe, hab' ich zu meiner Frau gesagt: Ein halbes Jahr mach' ich das hier. Länger schaff' ich es nicht." So trist war der Beginn, nach der Grundig-Pleite und dem Abzug des US-Militärs, so drückend war die Stimmung. Vor 13 Jahren war das.

Inzwischen ist die Tristesse auf den Industrie- und Militärbrachen längst gewichen: Dort, wo einst Grundig seinen Sitz hatte, forscht jetzt das Fraunhofer-Institut. Auf dem Gelände der alten US-Kaserne sind kürzlich Studenten eingezogen, Fürth hat jetzt auch eine Hochschule und darf sich mit dem Titel "Wissenschaftsstadt" schmücken. Die Arbeitslosenquote liegt nicht mehr bei 14 Prozent, wie damals nach dem Grundig-Gau. Sondern bei stabilen sechs Prozent. Mögen andere ihr Fürth-Klischee pflegen. "Wir wissen ja, was Sache ist", sagt Müller.

Oberbürgermeister Thomas Jung steht in seinem Amtszimmer und blickt aus dem Fenster hinüber zum Stadion, das in den glorreichen Zeiten den Namen "Ronhof" trug. Vor 90 Jahren war es eines der modernsten Stadien Deutschlands, inzwischen heißt es "Trolli-Arena", nach einer Fürther Fruchtgummi-Firma - und so sieht es auch aus. Jung weiß das, und weil er gebürtiger Fürther ist, würde es ihm wohl nie einfallen, das zu beschönigen.

"Ziemlich zusammengestöpselt" sei die Arena, sagt der Sozialdemokrat. In Zeiten, in denen sich sogar Viertligisten in Schmuckkästchen präsentieren, trägt das ebenfalls zum wenig beneidenswerten Ruf der Stadt bei. An diesem Dienstag kommt Meister Borussia Dortmund zum Pokal-Hit, es dürfte das wichtigste Fußballspiel in der Nachkriegsgeschichte Fürths sein, das ZDF überträgt live. Was könnte das für eine Werbung sein?

Der OB lächelt. Und sagt einen Satz, auf den eine Werbeagentur nie kommen würde: "Das Schöne an Fürth ist: Der Ruf ist schlechter als die Substanz." Jung zwingt einem seine Argumente nicht auf, nur wer nachfragt, bekommt zu hören: Klar, den Aufstieg habe man immer wieder um Haaresbreite verpasst. Aber im Umkehrschluss heiße das auch: Unter den 25 Besten Deutschlands ist man etabliert - für eine Stadt, die mit 115 000 Einwohnern ungefähr an 80. Stelle rangiert, ist das beachtlich.

Und natürlich, sagt der OB: "Niemand wird behaupten können, dass wir als touristisches Ziel eine größere Rolle spielen." Andererseits weist ausgerechnet Fürth die höchste Denkmaldichte aller Großstädte in Bayern auf. Fürth kommt auf 17,84 Baudenkmäler pro 1000 Einwohner. München hat weniger, Regensburg auch. Keines dieser Fürther Ensembles aus dem 19. Jahrhundert wird man im Leben unbedingt gesehen haben müssen. Aber sie sind eben da. In Fürth.

Mit den jüdischen Stiftungen bewirbt sich die Stadt nun sogar um den Titel als Welterbe, gemeinsam mit Halberstadt. Weil Bayerns Liste zu voll ist, versucht man es über die Liste Sachsen-Anhalts - und nur Ahnungslose können behaupten, dass man damit völlig chancenlos sei. Und das hässliche Stadion dürfte demnächst der Vergangenheit angehören: Ein Immobilienunternehmer will Millionen in eine neue Arena investieren.

Fehlt also nur der Aufstieg. Das Image als notorischer Underdog wäre man dann wohl los. Der OB weiß das. "Der Aufstieg wäre etwas, das vieles Gewohnte bei uns in Frage stellen würde", sagt er. Wie uneingeschränkte Vorfreude klingt das nicht. Zu Fürth würde das aber auch nicht passen.

© SZ vom 20.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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