Fotografie:Die Welt aus der Höhnperspektive

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Kalt, faszinierend, bedrohlich: Der Nürnberger Fotograf Christian Höhn hat mit seinen Aufnahmen von Megacitys auch international Bekanntheit erlangt. Er selbst blickt von seinem Atelier aus auf eine Skyline des Mittelalters

Von Olaf Przybilla

Wie Christian Höhn arbeitet, lässt sich vielleicht am besten anhand seiner Fotoarbeit Seoul I erklären. Der Nürnberger Fotokünstler inspiziert die großen Städte der Welt grundsätzlich, bevor er mit der eigentlichen Arbeit beginnt: Von welcher Stelle und aus welchem Blickwinkel sind diese exakt so zu sehen, wie sie auf ihn, Höhn, wirken? Von allen zuvor recherchierten Örtlichkeiten in Seoul kam für Höhn dabei vor allem eine in Frage, dummerweise war es eine mit militärischer Nebenfunktion. Das Dach des höchsten Gebäudes von Seoul ist gespickt mit Militärtechnik, zu künstlerischen Zwecken wurde von dort noch nie gefilmt oder fotografiert. Bis zum Jahr 2010, bis Christian Höhn kam.

Zwar hatte sich Höhn, auch das gehört zu seinen routinemäßigen Sondierungen, vorab dienstbare Geister mit lokalen Spezialkenntnissen organisiert. Aber so umtriebig diese waren, bei diesem Gebäude wussten auch seine koreanischen Producerinnen nicht recht weiter. Die südkoreanische Hauptstadt liegt nicht weit von nordkoreanischen Grenzanlagen entfernt, und Höhn ahnte, was das militärstrategisch bedeuten dürfte. Also plante er um. Er entschied sich, den drohenden Wetterwechsel im Blick, sicherheitshalber von einem alternativen Ort aus Aufnahmen zu machen. In dem Moment rief ihn ein Mann an - der Chef des Gebäudemanagements im höchsten Gebäude von Seoul. Der stellte einen Besichtigungstermin in Aussicht für die, wie er sich ausdrückte, "deutschen Gäste".

Die Skyline von Peking mit seinen mehr als 21 Millionen Einwohnern wirkt bei Höhn wie eine Einstellung aus einem gruseligen Zukunftsfilm. Menschen gehen hier in Großstrukturen unter. (Foto: Christian Höhn)

Höhn erzählt, wie ungläubig er zunächst war; dass er aber natürlich einging auf das Angebot. Es bedurfte dann noch allerlei Detailregelungen, Erklärungen, Besänftigungen. Und seither darf ein Nürnberger von sich sagen, der erste Fotograf überhaupt zu sein, der mit offizieller Genehmigung vom Dach des höchsten Gebäudes der südkoreanischen Hauptstadt ungehindert Aufnahmen gemacht hat. "Ein bislang nie gezeigter Blick", erzählt Höhn. Wie es ihm gelungen ist? Höhn ist gebürtiger Franke, Großsprecherei in eigener Sache gehört da nicht zwingend zum Standardrepertoire. Vielleicht, sagt er, gehöre ein wenig Flexibilität dazu, wohl auch geschicktes Verhandeln, vor allem aber "gelassene Beharrlichkeit". Und dann öffneten sich gelegentlich, mit etwas Glück, auch die zuvor verschlossenen Türen.

Ein Besuch im Atelier von Christian Höhn, 51, in Nürnberg. Man soll die Entstehungsbedingungen von Kunst nicht überinterpretieren, aber wer in der Abenddämmerung bei Höhn aus dem Fenster schaut, der sieht die in mildem Licht angestrahlte Mittelalter-Skyline einer Großstadt: unten der Henkersteg, darüber Weinstadel und Wasserturm, weiter oben die Sebalduskirche; und über allem thront die Kaiserburg. Einen solchen Blick gibt's in keiner anderen deutschen Stadt mit mehr als einer halben Million Einwohnern (und das schon deshalb, weil es keine zweite deutsche Halbmillionenstadt mit Burg gibt). Könnte folglich dieser Ausblick etwas mit Höhns speziellem Blick auf die Skylines der Moderne zu tun haben? Höhn hat noch nie darüber nachgedacht. Aber jetzt, wo er darüber nachsinnt, gefällt ihm die These.

Wie dem auch sei, Christian Höhn hat inzwischen um die 70 Städte der Welt mit seiner Kamera porträtiert, derzeit ist seine Ausstellung "Megacity" im Großen Foyer der Freiheitshalle in Hof zu sehen (noch bis zum 7. Februar 2020): Beijing, Tokio, Dubai, Shenzhen, Paris, Singapur, Shanghai, Chicago. Wer Höhn fragt, was ihn dabei antreibt, landet rasch in seiner Abiturzeit, in der sich Höhn im Auto seiner Eltern auf den Weg machte auf eine Reise quer durch die Türkei bis an die syrische Grenze; etwas später durchquerte er Nordafrika. "Fremdes erleben", sagt Höhn, das war immer schon sein Ding. Und klar, seit er Familienvater ist, wurden die Reisen mit der Kamera weniger riskant. Unspektakulärer aber, siehe Seoul, sind sie nicht geworden.

Studiert hat Höhn Sport und Wirtschaft, dass er aber wohl kaum je an einem Gymnasium unterrichten würde, dämmerte ihm bereits während des Studiums. Glückliche Umstände verhinderten das: Schon als 25-Jähriger bekam Höhn - der bis dahin aus Leidenschaft nebenher fotografiert hatte - gemeinsam mit zwei anderen Fotografen die Gelegenheit, fränkische Städte zu porträtieren. Die Schau wurde gleich in Brüssel gezeigt, bei der Europäischen Kommission. Höhn hatte jetzt einen Namen und wurde schon kurze Zeit später in der Szene regelrecht berühmt: Seinen Band "Menschen in Franken", ein Porträtbuch, durchblättert man heute beinahe schon mit Ehrfurcht. Dass da einer einen sagenhaften Blick hat für Szenen, Augenblicke, Konstellationen, ist in diesem Band kaum zu übersehen. Höhn kreierte ebenso beschwingte wie parabolische Momente für Fitzgerald Kusz, Veit Relin, Wolfgang Wagner, Heinrich von Pierer, Philip Rosenthal, Elke Sommer, Eugen Gomringer und Helmut Jahn - und hat seither keine Probleme mehr, Auftraggeber zu finden. Darunter auch zahlreiche Vorstände süddeutscher Dax-Unternehmen.

Der Fotograf Christian Höhn. (Foto: Christian Hertlein)

Mit seiner "Megacity"-Serie begann er um die Jahrtausendwende in der Mutter aller Städte, in New York. Anfangs fotografierte er noch experimentell, längst freilich bringt Höhn die Städte auf einen realen Begriff: Sie sind kalte Kulisse und anonymer Lebensraum - fragen so aber, quasi durch die Hintertür, erst recht nach dem, was auf den Fotos dieser steingewordenen Allegorien der Moderne gerade nicht zu sehen ist: nach dem Menschen.

Kommt Höhn nach seinen Expeditionen nach Hause zurück, dann fährt er mit seinem Radl die Pegnitz entlang ins Atelier. In den zusammengewachsenen Städten Nürnberg, Fürth, Erlangen und Schwabach leben insgesamt 800 000 Menschen, auch dieses Konglomerat wird man kaum eine kleinstädtische Struktur nennen können. Aber "dieser Kontrast", sagt Höhn, fasziniere ihn jedes Mal aufs Neue. Und trotzdem gibt es natürlich Anknüpfungspunkte. Wer die aufragenden Türme Nürnbergs in den Blick nimmt, kann sich vorstellen, dass diese Stadt auf Dürers Zeitgenossen als eine Megacity des Mittelalters gewirkt haben mag. "Faszination und Bedrohung", sagt Höhn, das war wohl immer schon ein Schlüssel zum Verständnis der Stadt. Auf das Monumentale und Gigantomanische will Höhn seine Städteserie schon deshalb nicht beschränkt wissen. Porträtiert hat er inzwischen auch: Regensburg und Fürth.

© SZ vom 31.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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