Wer dieses Bild sieht, dem zucken sofort etliche Fragen durch den Kopf: Welche Grausamkeiten muss das Kind in Syrien erlebt haben? Was erhofft es sich von Deutschland? Und vor allem: Wie geht es ihm jetzt?
Das Bild eines Flüchtlingskindes aus Syrien hat Tausende bewegt, die ein Foto davon auf dem Kurznachrichtendienst Twitter weitergeleitet haben. Gemacht hat das Foto Fabian Hüppe von der Bundespolizei München. "Das Bild spricht eigentlich für sich", sagt er. Links die syrische Flagge, Kriegshorror, abgetrennte Beine, Maschinengewehre, ein lebloser Körper mit einem roten Fleck auf der Brust. Rechts die deutsche Fahne, umrandet von einem Herz, und grüne Zweige, wie sie die Friedenstaube im Schnabel trägt. Selten wurden das Leid und die Hoffnung, die Hunderttausende Flüchtlinge mit sich nach Deutschland tragen, klarer ausgedrückt. Nur, wer ist das Kind, das mit ein paar bunten Strichen Tausenden das Herz öffnete?
Fabian Hüppe von der Pressestelle der Bundespolizei München wüsste das auch gern. Doch er kann die Frage nicht beantworten. "Wir wissen nicht, wer das Bild gemalt hat", sagt er. Nur soviel: Unten rechts ist eine Signatur zu erkennen. Sie steht für Mohammed Nor, das arabische Wort für Licht. Der Junge, der den Namen trägt, ist jetzt wohl in irgendeiner Unterkunft in Deutschland. Zumindest über die Umstände, wie sein Bild entstanden ist, kann Hüppe mehr erzählen.
Eine Galerie aus Sehnsüchten und Albträumen
Gesehen hat er es in einer Halle in Passau, in der Flüchtlinge auf ihre Registrierung warten. Mitte der Woche informierte er sich über die Bedingungen, unter denen die Kollegen dort arbeiten. Bis zu 350 Flüchtlinge warten hier, bis ihr neues Leben in Deutschland beginnt. Sie sitzen auf Stühlen, wer zu erschöpft ist, ruht sich auf einer der Liegen aus. Registrierung, Fingerabdrücke, Bustransport irgendwohin in Deutschland.
Die Kinder sitzen bei ihren Familien, tollen herum, als Hüppe da war spielten sie mit Luftballons. Sie bekommen Spielzeug und auch Stifte und Papier, die von Ehrenamtlichen gespendet wurden. Ihre Bilder haben die Polizeibeamten auf eine blaue Plane an einer großen Stellwand geklebt. Eine Galerie aus Sehnsüchten und Albträumen: Szenen der Flucht im Zeltlager neben Familienerinnerungen und immer wieder deutsche Fahnen. Doch kaum ein Bild sei so emotional wie das von Mohammed Nor, sagt Hüppe. Er fotografierte es und teilte es auf Twitter mit der Welt.
Die Kinderbilder haben aber auch für die Kollegen am Ort, die bis zu 14-Stunden-Schichten schieben, eine wichtige Bedeutung. "Für die Polizisten ist es eine zusätzliche Motivation, dass ihre Arbeit gewürdigt wird", sagt Hüppe. Oft bekommen sie die Bilder von den Flüchtlingskindern geschenkt, so hat es wohl auch Mohammed gemacht.
Für die Münchner Kunsttherapeutin Maria Heller ist sein Bild ein großes Zeichen der Hoffnung. Das Kind habe hier aus eigenen Stücken eine große therapeutische Leistung vollbracht, sagt sie. "Es malt auf der einen Seite, was es Furchtbares hinter sich hat. Und auf der anderen Seite die Hoffnung, mit der es zu uns kommt: der Wunsch nach Frieden und Sicherheit." In ihrer Arbeit als Kunsttherapeutin würde sie selbst solch einen Schritt anregen wollen, den das Flüchtlingskind bereits mit seinem Bild von alleine gegangen sei. "Was sich da ereignet hat, ist total faszinierend", sagt die 60-Jährige.
Traumatisierte Menschen gehen immer wieder durch die schrecklichen Erlebnisse, die ihnen widerfahren sind. "Die inneren Bilder kommen ja oft ungewollt daher", sagt Heller, "doch wenn die Kinder sie auf dem Papier ablegen können, dann können sie sich ein Stück weit davon distanzieren", ist sich die Münchner Therapeutin sicher. Und außerdem: Dann gebe es Zeugen des eigenen Leids. Im konkreten Fall also den deutschen Polizisten, der das Bild geschenkt bekommen hat.
Heller arbeitet seit 15 Jahren für das Flüchtlingsberatungs- und Behandlungszentrum der Hilfsorganisation Refugio. In ihrer Arbeit mit Flüchtlingskindern begegnet sie immer wieder traumatisierten Buben und Mädchen, die sich anfangs nicht einmal trauen, den Raum eines Blattes Papier zu füllen. Oft sind es nur kleine krakelige, kaum erkennbare Striche, manchmal auch eine schwarze Fläche - mehr nicht. "Das ist ja auch ein Sinnbild dafür, wie sich ein solches Kind erlebt", sagt Heller. Malten sich die Kinder im Laufe der Zeit dann groß und farbenfroh in den Mittelpunkt des Bildes hinein, noch dazu auf festem Boden stehend, "dann zeugt das schon davon, dass sie an Selbstbewusstsein und Sicherheit gewonnen haben".
Die Kunsttherapie, davon ist nicht nur Maria Heller überzeugt, ist oft der einzige Weg, mit den Kindern zu kommunizieren. Die Sprachbarrieren seien hoch, sagt auch Anni Kammerlander, die frühere Geschäftsführerin von Refugio München, die auch im Ruhestand der Hilfsorganisation verbunden geblieben ist. "Das Medium Bild ist von der Sprache unabhängig", pflichtet Maria Heller bei. Aus Gemälden lasse sich vieles ablesen, wie es dem Kind gerade gehe.
Auch Ralf Grunow kennt die Narben, die sich in Kinderseelen eingebrannt haben. In einer Turnhalle in Passau betreut Grunow Jugendliche, die alleine reisen. Wenn er fragt, wer schon mal einen Menschen hat sterben sehen, heben fast alle die Hand. Auch Yahyah aus Sierra Leone kennt Gewalt. Sein Vater wurde vor seiner Flucht erschossen, erzählt Grunow. Vom Tod seiner Mutter erfuhr er in der Turnhalle. Yahyah malte seine Trauer: "My mother" stand auf seinen Bildern. Daneben waren seine Träume aufgemalt. Etwa Fußballfahnen von Bayern München oder Dortmund oder ein lässiger Typ vor einem dicken Auto, auf einem Aufkleber die deutsche Flagge. Grunow hat das Bild aufgehoben, nachdem Yahyah gegangen war. Nicht so all die Bilder von Panzern und Granaten. Sie seien einfach "zu bedrückend", sagt er.