Paare im Restaurant:Gemeinsam einsam

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Unser Kolumnist beobachtet, dass deutsche Ehepaare beim Essen schweigen und sich nichts zu sagen haben. Ob das für dieses Ehepaar auch gilt? Vielleicht konzentrieren sie sich einfach aufs Wesentliche. (Foto: Catherina Hess)

Einem Alleinreisenden kann ein Restaurant wie ein Beziehungslabor erscheinen. Wieso nur gehen all die Ehepaare essen, ohne miteinander zu sprechen?

Kolumne von Sebastian Beck

Als Alleinreisender ist man im Prinzip ein armer Hund. Man bekommt in den Hotels meist das Zimmer, das halt noch frei ist, und das liegt oft unterm Dach, wo die Fluchtwege ein wenig länger sind und die Temperatur auf 35 Grad steigt. Noch schlimmer aber ist es mit Restaurants: Erst neulich ist es wieder passiert, abends in einem superduper Wellnesshotel im Allgäu, schwerst holzvertäfelt, Schummerlicht, Besteck glitzert. Wäre man hier zu zweit, man müsste das Ambiente womöglich als romantisch bezeichnen. "Ich habe da hinten einen ganz wunderbaren Tisch für sie reserviert", raunt der Oberkellner. Da hinten, aha. Er schreitet voran und weist dem Gast einen Platz ganz da hinten in der Ecke zu, wo kleine Tische aufgereiht sind, an denen bereits Einzelmenschen sitzen und in den Raum starren.

Wen man dann auch als Einzelmensch in den Raum starrt, erkennt man, dass an den anderen Tischen fast ausschließlich Ehepaare speisen. Und um jetzt langsam zum interessanten Teil dieser Kolumne zu kommen: Keiner redet ein Wort. Die Stimmung ist also nicht so wirklich gechillt oder aufgedreht, sie ist mutmaßlich genau das Gegenteil von Ballermann.

Ist es besser, alleine zu schweigen als zu zweit?

Andererseits ist es auch spannend hier, man sitzt in einer Art Beziehungslabor und kann sich die Frage stellen: Ist es besser, alleine zu schweigen als zu zweit? Man könnte auch ein Experiment wagen und die Dame links ansprechen, die allen Blicken ausweicht und in ihrer Himbeermousse stochert. Wahrscheinlich aber würde sie das als übergriffig empfinden und die 112 wählen. Am nächsten Morgen beim Frühstück das gleiche Bild, was die Vermutung bestärkt, dass es sich hier um eine Schweigewoche handelt. Herrje, man muss ja die eigene Frau nicht gleich fragen, wie es ihr geht. Man kann ja auch niederschwellig damit anfangen, wie sie heißt und was sie so macht.

Vor ein paar Jahren in Grado, da saßen am Nebentisch augenscheinlich zwei Brüder. Sie redeten sehr lange nichts. Ihr Schweigen war abgrundtief. Dann ergriff der eine plötzlich das Wort und sagte auf Wienerisch: "Die Erdrotation ist eine komplexe Angelegenheit. Es gibt gewissermaßen den bürgerlichen Frühlingsanfang und den astronomischen." Dann schwiegen sie wieder, aber die zwei Sätze blieben für die Ewigkeit.

© SZ vom 18.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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