Energiekrise:Einsam frieren

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Wer in München einen der begehrten Plätze in einem Studentenwohnheim bekommen will, muss schnell sein und Glück haben. (Foto: Matthias Balk/dpa)

Bayerns Studierende fürchten ein neues Digitalsemester mindestens so sehr wie steigende Lebenshaltungskosten und fordern Hilfe von der Politik.

Von Anna Günther, Ansbach/München

Sie habe noch Glück, sagt Annabel Wolter. Ihre Nebenkosten haben sich fast verdoppelt, aber sie werde das irgendwie schaffen. Die 23-Jährige studiert in Ansbach BWL, arbeitet als Werkstudentin - und ihre Eltern helfen, falls das Geld zu knapp werden sollte. Aber sie kenne einige Kommilitonen, die schon zur Monatsmitte ihre Mitbewohner bitten müssen, Essen mitzubringen, weil das Geld nicht mehr reicht. "Ich würde mir wünschen, dass die Leute sich mehr in Studenten reindenken", sagt Wolter. Sie meint die Politik und sie ist kein Einzelfall.

Bayerns Studierende fühlen sich von der Politik vernachlässigt. "Wie auch bei der Corona-Krise droht es wieder, dass die Studierenden vergessen werden", sagt die Sprecherin der Landesstudierendenvertretung, Johanna Weidlich. Maßnahmen der Bundesregierung, wie der Heizkostenzuschuss, betreffen nur einkommensteuerpflichtige Bürger in Deutschland. "Kaum ein Studierender hat ein solches Einkommen." Wer 2021 weniger als 9744 Euro, also 812 Euro pro Monat verdiente, musste das nicht versteuern. Viele Studierende sprengen diese Steuergrenze nicht. Unterstützung sei also angesichts steigender Wohn- und Lebensmittelpreise "bitter nötig", sagt Weidlich.

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Wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur unter den großen Studentenwerken in Bayern ergab, wird ein erheblicher Anstieg der Nebenkosten erwartet. Die Stadtwerke München rechnen für das Abrechnungsjahr 2021/2022 mit einer Erhöhung um 30 bis 40 Prozent. Im Folgejahr könnte es sogar eine Steigerung um 40 bis 50 Prozent geben. Beim Studentenwerk Würzburg geht man von einer Erhöhung von 20 bis 35 Prozent aus.

Einen "Energielockdown" lehnt Minister Blume ab

Darüber hinaus drohe die Hochschullandschaft "wieder in einen Krisenmodus wie während Corona zu rutschen", sagt Weidlich. "Chronisch unterfinanzierte Hochschulen können solche unberechenbaren Kosten nur schwer ausgleichen." Dazu kommen soziale Ängste befeuert von Gerüchten, dass die Hochschulen wieder schließen und auf digitale Lehre umstellen könnten, um Energiekosten zu sparen. Eine entsprechende Meldung zur Universität Passau hatte deren Präsident Ulrich Bartosch entschieden dementiert. Ein Missverständnis, das er sich nicht erklären kann.

Diese Gerüchte gebe es aber an jeder Uni, bestätigt Studierendensprecherin Weidlich. Sie halten sich hartnäckig und verbreiten sich rasant - obwohl stets das Dementi folgte. Die Angst vor einem Digitalsemester sitzt tief: Annabel Wolter habe als Erstsemester "die volle Corona-Kante mitgenommen" und die Angst vor neuem Distanzlernen sei umso größer, nachdem das Studentenleben im Sommer zuletzt "endlich so war, wie ich mir das immer gewünscht habe", sagt sie.

Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU) hatte Schließungen abgelehnt und Forschung sowie Lehre als "systemrelevant" genannt. Einen "Energielockdown" dürfe es nicht geben. Studierendensprecherin Weidlich nimmt ihn beim Wort. Beruhigt ist sie nicht. "Wenn von oben eine andere Entscheidung kommt, kommt eine andere Entscheidung. Das wäre ein Desaster, sozial, finanziell, psychisch."

Rückendeckung kommt von Ex-Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch (FDP): "Ich befürchte, viele von ihnen können sich ihr Studium schon bald nicht mehr leisten. Die Staatsregierung muss jetzt unverzüglich handeln und die Studierenden finanziell unterstützen." Die Bundesregierung müsse nachsteuern, sagt dagegen Wissenschaftsminister Blume, seien Studierende bei den Entlastungen doch bisher "fast komplett leer ausgegangen". Dass sie quasi kein Energiegeld bekommen, sei unverantwortlich, sagt Blume. "Die Ampel zeigt den jungen Menschen hier die kalte Schulter!"

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