CSU-Parteitag:Kann ich, darf ich, soll ich?

Lesezeit: 2 min

Beim Parteichef ist Applaudieren ja erlaubt. Aber bei Merkel? (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Anträgen lauschen, Kärtchen heben, klatschen: Das Delegiertenleben klingt einfach - wenn nicht gerade die Kanzlerin kommt

Von Wolfgang Wittl, München

Ein unbedarfter Staatsbürger stellt sich das Dasein eines Delegierten vermutlich viel zu aufregend vor. Tatsächlich kommen die Stimmleute einer Partei oft nur in einer schmucklosen Halle zusammen, wie am Wochenende am Parteitag der CSU in der Münchner Messe, dann nehmen die Dinge ihren Lauf. Am Eingang wartet bereits ein Antragsbuch, das dicker ist als jedes Münchner Telefonverzeichnis. Nach einem Hindernislauf durch einen dichten Wald von Ständen, an denen Firmen mit kleinen Aufmerksamkeiten die Kommunikation zwischen Wirtschaft und Politik stärken wollen, liegt am Sitzplatz bereits ein Konvolut von kleinen Zetteln, die entweder auszufüllen oder hochzuheben sind.

Dann kann die eigentliche Arbeit beginnen. Während die Vertreter der Antragskommission unermüdlich einen der insgesamt 186 Anträge herunterschnurren, gilt es haarscharf aufzupassen, wann der Nachbar sein Kärtchen in die Höhe reckt. Nicht dass man am Ende noch als Querulant dasteht. Und zwischendurch natürlich nicht das Klatschen vergessen.

So geht das stundenlang. Ausfüllen. Hochheben. Klatschen. Wobei das Klatschen die größte Herausforderung darstellt. Während man beim eigenen Parteichef kein größeres Risiko eingeht, wenn man die Hände fest zusammenführt, sollte ein Delegierter bei externen Gästen, sagen wir der Vorsitzenden der Schwesterpartei, tunlichst aufpassen. Bei Angela Merkel werden die Medien später derart einträchtig berichten, CSU-Chef Horst Seehofer habe sie wie ein Schulmädchen auf offener Bühne stehen lassen, dass man glauben könnte, die Kanzlerin sei zum Schulmädchen-Rapport nach München gekommen. Aber wie verhält sich der gemeine Parteitagsklatscher ohne zu wissen, dass es so weit kommt? Anfangs zögerlich, dann schaut er am besten, welchen Takt die Parteiprominenz vorgibt. Und entdeckt eine ziemlich differenzierte Typologie des Klatschens.

Typ eins, der Unermüdliche: Er ist bei Merkels Auftritt eher selten anzutreffen. Am eifrigsten betätigt sich noch Innenminister Joachim Herrmann. Ein treuer Parteisoldat wie er unterscheidet nicht groß zwischen S und D im Namen, ist ja schließlich alles irgendwie Union. Übertroffen wird er nur von Volker Kauder, aber der zählt nicht, weil er CDU-Fraktionsvorsitzender ist. Rege betätigt sich Gerda Hasselfeldt, als Landesgruppenchefin Seehofers Statthalterin wie Merkels Vertraute. Und Theo Waigel, der als früherer Bundesfinanzminister weiß, wie viel Höflichkeit einer Kanzlerin zu schulden ist.

Typ zwei, der Abwägende: Darf ich? Darf ich nicht? Soll ich? Soll ich nicht? Manfred Weber, diplomatisch geschulter Chef der Konservativen im Europaparlament, hat für sich die Taktik beschlossen: Freundlich klatschen, wenn Merkel dazu Anlass bietet. Interessiert schauen, wenn eben nicht. Ähnlich verhalten sich Landtagspräsidentin Barbara Stamm und Angelika Niebler, die Vorsitzende der Frauen-Union. Wirtschaftsministerin Ilse Aigner entzieht sich elegant einer Entscheidung, indem sie angestrengt ihr Handy bearbeitet. Auch der stirnrunzelnde Edmund Stoiber wählt lange Zeit diese Variante.

Typ drei, der Ungeschminkte: Zum Beispiel Markus Söder. Er ist tief in den Stuhl gerutscht, Beine über Kreuz, Bonbon kauend, skeptischer Blick. Söders Klatschen sieht so aus: Der Finanzminister führt seine Hand dezent gegen Oberschenkel, vielleicht weil er seine Umgebung nicht mit allzu viel Lärm behelligen will. Staatskanzleichef Marcel Huber und Landtagsfraktionschef Thomas Kreuzer benutzen immerhin gelegentlich beide Hände, ähnlich enthusiasmiert wie Söder.

Was nun tun als Delegierter? Am besten, man nimmt sich den Parteichef zum Vorbild. Seehofer begibt sich auf die Bühne mit dem Problem, dass Merkel kaum etwas gesagt hat, was seine ohnehin mäßig ausgeprägte Klatsch-Lust hätte steigern können. Ausführlich lobt er die neben ihm wartende Bundeskanzlerin für ihre Verdienste, nicht minder ausführlich hält er ihr vor, in der Frage der Obergrenze werde er nie und nimmer locker lassen. 13 Minuten dauert die Lektion. Die Delegierten haben sie gelernt: Mit der Intensität wie von Seehofer, finden viele, habe die Kanzlerin schon lange keine mehr geklatscht bekommen.

© SZ vom 23.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: