Mitten in Bayern:Unterirxenbach ist coronafrei

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In kleinen Gemeinden ist eine Art neuer Stolz zu beobachten - der auf null Infizierte. Die Frage ist allerdings: Wie kommt's und was bringt's?

Kolumne von Johann Osel

Im Dorf Röderaue in Sachsen hatten sie neulich Besuch von der Bild-Zeitung, es ging um das Coronavirus. Oder genauer: um dessen Abwesenheit. "Wir befinden uns im Jahre 2020. Ganz Deutschland ist vom Coronavirus betroffen. Ganz Deutschland? Nein! Ein Dorf mit 4500 Einwohnern hört nicht auf, Corona zu entgehen", schrieb das Blatt in Anlehnung an Asterix und Obelix, weil es im Ort keinen Infektionsfall gibt. An der guten Luft und der in der DDR erlernten Widerborstigkeit müsse das liegen, meinten Einheimische freudig. Doch auf Facebook kam Unmut auf, auch von Leuten aus Bayern. Diese behaupten, dass auch ihre Gemeinden - etwa in Ostschwaben oder im Passauer Raum - coronafrei seien und die Medien gefälligst mal dort aufschlagen sollten. Ob das eine gute Idee wäre? So ein Reporter kann ja nicht nur den Notizblock im Gepäck haben. Und ob das mit den Infektionsenklaven so stimmt, weiß man auch nicht. Immer wieder liest man dieser Tage von Stolz auf die angeblich coronafreie Heimat. Oft sagen Leute, es gebe bei ihnen kein Corona, sie kennen keinen Erkrankten. Man kennt den Trugschluss von Wahlumfragen, wenn Meckerer sagen, das Ergebnis müsse gefälscht sein - bei ihnen habe schließlich noch nie einer für die Sonntagsfrage angerufen.

Nun kann es aber durchaus sein, dass bayerische Orte coronafrei sind. Zwei Varianten sind da denkbar: Entweder es gab ein gutes Krisenmanagement und regeltreue Bürger, das Virus wurde also lokal ausgerottet. Oder aber Corona hat nie den Weg in den Ort gefunden. Der Freistaat zählt ja unzählige Nester, in die kein Fremder je gelangt außer Briefträger und Bofrostmann. Die Wegbeschreibung dorthin lautet oftmals so: Auf der Landstraße beim Holzbushäuschen mit dem verblichenen Stoiber-Wahlplakat rechts in den Wald abbiegen und immer, immer geradeaus. Der Gau für jede Infektionskette.

Fraglich bleibt, was die Corona-Freiheit überhaupt bringt. Erhoffen sich Bürger, die damit prahlen, dezentrale Lockerungen? Quasi: Während im Corona-Hotspot Oberirxenbach alle daheim sitzen, tanzt man im coronafreien Unterirxenbach auf der Bierbank zu "Hey Baby, uh-ah". Solche Szenen werden nicht kommen. Und am Ende verirren sich gar Touristen oder Stadtflüchtende in die coronafreien Zonen - schnell wär's vorbei mit dem Idyll.

© SZ vom 14.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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