Coronavirus in Bayern:Der erlösende Knick in der Statistik

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Hat lange auf den erlösenden Knick gewartet: Andreas Zapf, Präsident des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. (Foto: Florian Peljak)

Eine aktuelle Analyse legt nahe, dass die Maßnahmen der Politik und das Verhalten der Bevölkerung zum schnellen Abflauen der Pandemie beigetragen haben.

Von Christian Sebald

Andreas Zapf, Präsident des Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), ist krisenerprobt. In den zwölf Jahren, die der Facharzt für Innere Medizin und Öffentliches Gesundheitswesen an der Spitze des LGL steht, hat die Behörde etliche Stürme überstehen müssen, zuletzt den Bayern-Ei-Skandal um salmonellenverseuchte Eier. Die Corona-Pandemie dürfte aber die bislang härteste Herausforderung gewesen sein. Auch weil sich Ministerpräsident Markus Söder bei ihrer Bekämpfung auf den Rat des LGL verlässt. So wie es aussieht, haben Zapf und das LGL die Probe bestanden. Die Pandemie ist zumindest vorerst eingedämmt. Auch in Bayern, das deutschlandweit die meisten Corona-Infektionen zählt, dürfte wenigstens die erste Welle überstanden sein. Zapf ist zu zurückhaltend, als dass er sich den Erfolg auf seine Fahne schreiben würde. "Es war richtig, dass Söder beherzt gehandelt hat", sagt er. "Vor allem, dass er harte Entscheidungen getroffen hat."

Am Freitag, zehn Uhr, meldete das LGL ein Plus von 231 bestätigten Infektionen. Die Zahl der Patienten, die in Zusammenhang mit einer Corona-Infektion gestorben sind, erhöhte sich um 63. Zwar haben sich damit laut offiziellen Zahlen in Bayern insgesamt 44 295 Menschen mit Corona angesteckt, 2134 Patienten sind im Zusammenhang mit einer Infektion gestorben. Aber die Kurve ist binnen Monatsfrist dramatisch abgeflacht. In der ersten April-Woche meldete das LGL bis zu 2000 bestätigte Neuinfektionen pro Tag. Die Zahl der bestätigten Todesfälle nach einer Corona-Infektion stieg damals auf fast hundert am Tag. Davon ist der Freistaat nun weit entfernt. Selbst die Obergrenze von 50 Neuinfektionen binnen Wochenfrist pro Landkreis oder kreisfreier Stadt, auf die sich Bund und Länder bei der weiteren Bekämpfung der Pandemie geeinigt haben, wurde am Freitag nirgendwo gerissen. Die Stadt Rosenheim, wo sie Mitte der Woche noch überschritten worden war, liegt nun mit einem Wert von 25,27 weit darunter. Auch die beiden Spitzenreiter, der Landkreis Traunstein und die Stadt Straubing reichen mit ihren Werten von 34,45 und 33,48 bei Weitem nicht an die Obergrenze der Neuinfektionen heran.

Karte
:Corona-Infektionen in den bayerischen Landkreisen

Wie viele Personen sind im Freistaat Bayern positiv auf Sars-CoV-2 getestet worden? Ein Überblick darüber, wie viele Menschen erkrankt sind und woher die Patienten stammen.

Die Reproduktions- oder R-Zahl, die angibt, wie viele Menschen ein Corona-Infizierter ansteckt, pendelt laut LGL und Ludwigs-Maximilians-Universität (LMU) München um 0,7. Rein rechnerisch stecken aktuell also zehn Corona-Patienten sieben Menschen an. Zu Beginn der Pandemie Anfang März lag die R-Zahl bei drei. Eine R-Zahl unter 1,0 gilt als Voraussetzung dafür, dass die Pandemie unter Kontrolle bleibt. Derzeit erkranken laut LMU in Bayern noch zwischen 150 und 200 Menschen pro Tag an Covid-19. Laut Gesundheitsministerium werden etwa 2000 Covid-19-Patienten in Kliniken behandelt, ungefähr 500 von ihnen auf Intensivstationen. Aber insgesamt haben mehr als 37 000 Menschen die Infektion überstanden.

Der Statistik-Professor Helmut Küchenhoff, der an der LMU das Statistische Beratungslabor leitet und dem LGL seit Jahren verbunden ist, hat mit Kollegen den bisherigen Verlauf der Pandemie analysiert. Basis ihres Modells ( https://corona.stat.uni-muenchen.de/) sind die geschätzten Zahlen der täglichen Neuerkrankungen seit Anfang März. Laut Küchenhoff kann der Ablauf der Pandemie in fünf Phasen unterteilt werden. Bis ungefähr 10. März stieg die Zahl der Neuerkrankungen dramatisch an. Danach hat sich die Kurve etwas abgeflacht, ist aber weiter deutlich nach oben gegangen. Um den 16. März machen die Statistiker einen deutlichen Knick aus. Von da an blieben die Erkrankungszahlen in etwa konstant. Von 23. März an setzt ein starker Rückgang ein, der sich von Anfang April an sogar noch leicht verstärkt.

Aus Küchenhoffs Sicht sind vor allem der Knick der Erkrankungszahlen um den 16. März und der deutliche Rückgang von 23. März an bemerkenswert. Beides korrespondiert seiner Einschätzung nach mit den massiven Interventionen der Politik und - darauf aufbauend - entsprechenden Verhaltensänderungen der Bevölkerung. Dazu hat der Statistiker von den Erkrankungstagen auf den jeweiligen Zeitpunkt der Infektion zurückgerechnet. Da der Zeitraum zwischen Infektion und Erkrankung etwa fünf Tage beträgt, ergibt sich für den Knick der Kurve, ab dem die Ansteckungszahlen konstant bleiben, der 11. März, und für den Zeitpunkt, ab dem der Rückgang einsetzt, der 18. März.

"Um den 11. März herum liefen im Fernsehen die schlimmen Bilder aus dem norditalienischen Bergamo", sagt Küchenhoff. "Aber vor allem hat Bundeskanzlerin Merkel erstmals massiv zur Meidung von Sozialkontakten aufgerufen und es gab die freiwillige Umstellung auf Heim- und Telearbeit." Nach dem 18. März griffen die Schließung von Schulen, Läden und Gastronomie, aber auch die Ausgangsbeschränkungen und die Schließung der Grenzen. Auch LGL-Chef Zapf ist überzeugt, dass es diese harten Einschnitte in das gesellschaftliche Leben waren, die das schnelle Abflauen der Pandemie brachten.

Und jetzt? Zapf ist zuversichtlich, das Corona-Virus auch nach den Lockerungen kontrollieren zu können, die bis Ende Mai kommen. "Wir öffnen ja nicht alles sofort, sondern Schritt für Schritt", sagt der LGL-Chef. "Wenn die Infektionszahlen irgendwo hochschnellen, können wir sofort gegensteuern." Zumal der Freistaat gewaltig aufgerüstet hat. Zum Beispiel bei den Corona-Tests: Laut Gesundheitsministerium summieren sich die Kapazitäten aktuell auf 19 000 am Tag, bei Bedarf können sie rasch auf bis zu 30 000 erhöht werden. Auch bei den Intensivbetten steht der Freistaat derzeit gut da. Aktuell gibt es bayernweit knapp 5000 Intensivbetten, davon 3200 mit invasiven Beatmungsgeräten. Das sind fast zehn Mal so viele Intensivbetten wie Corona-Patienten, die aktuell intensivmedizinisch behandelt werden. Gesundheitsministerin Melanie Huml versichert dennoch, auch die Intensiv-Kapazitäten bei Bedarf weiter aufzurüsten.

© SZ vom 09.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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