Pandemie in Bayern:Wie das Abwasser als Corona-Frühwarnsystem funktionieren kann

Lesezeit: 2 min

Im Abwasser können Spuren des Corona-Virus schnell nachgewiesen werden. (Foto: dpa)

Spuren in der Kanalisation liefern Aufschluss über die Verbreitung von Virus und Varianten. Die Grünen fordern rasch flächendeckende Analysen: "Omikron sitzt uns im Nacken."

Von Johann Osel, München

Es war eine Meldung, die kurz vor Weihnachten Aufsehen erregt hatte: Die neue Corona-Variante Omikron ist in München schon stärker verbreitet als angenommen, meldete ein Forschungsteam vom Tropeninstitut am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität, das schon länger Proben aus Kanalisation und Klärwerken untersucht. Weil Infizierte zumindest Fragmente des Virus ausscheiden, lässt sich das mit Molekularanalysen nachweisen. Bis Anfang Dezember konnten noch keine RNA-Stränge von Omikron gefunden werden, seit 6. Dezember dann schon - als man in Deutschland gemeinhin dachte, die Variante wäre quasi gar nicht angekommen im Land.

Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) wertete damals die Münchner Analyse als Frühwarnsystem, um die Omikron-Ausbreitung zu verlangsamen. "Abwasser-Monitoring kann in der Pandemie ein guter Seismograf sein. Daher laufen verschiedene Pilotprojekte, auch über den Bund, da müssen wir dranbleiben", sagte Holetschek nun der SZ. Vor einer möglichen Institutionalisierung will die Regierung aber abwarten, was laufende Projekte ergeben - auch gekoppelt an den Bund.

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Nach Ansicht der Landtagsgrünen geht das Abwasser-Monitoring indes zu zögerlich, zu wenig strategisch voran. Sie fordern, das System sofort auf ganz Bayern auszurollen und die Ergebnisse als festen Parameter der Pandemie, wie Inzidenz oder Hospitalisierung, in die veröffentlichte Datenlage aufzunehmen. "Omikron sitzt uns im Nacken", sagt die gesundheitspolitische Sprecherin Christina Haubrich. "Wir haben doch gelernt: Was wir in einer Pandemie nie haben, ist Zeit."

Die Arbeit der Münchner Tropenforscher ist kein Einzelfall

Die EU-Kommission hatte die Mitgliedstaaten im Frühjahr 2021 aufgefordert, derlei Abwasserüberwachung systematischer zu nutzen und die Ergebnisse in ihre nationalen Strategien zur Eindämmung der Pandemie einzubeziehen. Nun ist die Arbeit der Münchner Tropenforscher kein Einzelfall. Im Dezember listete das Gesundheitsministerium auf Anfrage der Grünen auf, was in dem Kontext derzeit stattfindet: Zur Omikron-Analyse am Tropeninstitut kam es im Rahmen eines vom Wissenschaftsministerium mitfinanzierten Projekts. An der TU München wiederum, Lehrstuhl für Siedlungswasserwirtschaft, ist das vom Bund geförderte Projekt "Abwasser Biomarker CoV-2" angesiedelt - mit Untersuchungen in Erlangen, Augsburg, Freising, Starnberg, München, Weiden und im Berchtesgadener Land.

Ergänzend gibt es laut Ministerium aus Eigenmitteln finanzierte Vorhaben von Kommunen. Zudem arbeitet der Bund an einem Ansatz zur Einführung eben einer systematischen Überwachung; dazu werden bundesweit 20 Pilotstandorte eingerichtet, es solle "die praktische Umsetzung" des Abwasser-Monitorings erprobt werden. Mitte Dezember war Bewerbungsschluss, weitere Details wurden seitdem nicht publik.

Auf Basis dieser Ergebnisse soll dann entschieden werden, ob eine flächendeckende Überwachung auch in Bayern umgesetzt werden könnte. Holtschek sagt: "Noch offen ist die Frage: Wenn das ein Frühwarnsystem ist, welche Schlussfolgerungen können dann an welcher Stelle gezogen werden, wie wird also die Botschaft gewinnbringend umgesetzt?" Es gebe schon jetzt Erkenntnisgewinn, wo etwa Omikron aufwachse. "Die Projekte, auch in Bayern, werden weitere Erkenntnisse liefern, wo und unter welchen Voraussetzungen das Monitoring am besten einsetzbar ist, im ländlichen Raum oder in Ballungszentren, und was wir an politischen Aspekten daraus ableiten können. Das muss geklärt sein und koordiniert werden. Dann werden wir von diesen Daten profitieren."

Die Grünen verstehen die Zurückhaltung nicht

Christina Haubrich sagt dagegen, sie verstehe die Zurückhaltung nicht. "Das alles braucht es eigentlich schon gestern." Ihr Vorschlag: Der Freistaat selbst solle das Instrument in die Hand nehmen und in allen Städten mit mehr als 150 000 Einwohnern installieren, ein "unüberwindbarer Aufwand" sei das nicht. "Man muss es nur tun, ohne auf den Bund zu warten." Im Sommer hatte im Landtag schon ein Antrag der Regierungsfraktionen CSU und Freie Wähler von der Regierung einen Bericht dazu im Gesundheitsausschuss gefordert; der steht noch aus.

Auch soll demnach geprüft werden, ob Bayern mit dem Corona-Sonderfonds kommunale Projekte fördert. Oppositionsfraktionen hatte schon damals auf Eile gepocht, die Grünen, aber auch die FDP. Deren Gesundheitsexperte Dominik Spitzer hatte etwa von einer "ignorierten Chance" gesprochen, die Regierung müsse alles ausschöpfen, um die nächste Welle zu verhindern. Gemeint war da noch die Delta-Variante.

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