Bildung:Von Mittelschülern und Murmeltieren

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Mittelschule ist nicht gleich Mittelschule, auch ein simples Stadt-Land-Gefälle gibt es nicht. Eingang der Mittelschule-Ost in Dachau. (Foto: Niels P. Joergensen)

Das neue Gymnasium in Bayern steht nahezu täglich im Fokus. Und die früheren Hauptschulen? Laut Statistik schrumpfen sie nicht mehr, auch wegen der Flüchtlinge. Über ihre Zukunft gehen die Ansichten wild durcheinander

Von Johann Osel, München

Geht es um die Präsenz in der öffentlichen Debatte, dann hat Bayern ein eingliedriges Schulsystem: das Gymnasium, sonst nichts. Und die vergangene Woche war wieder mal Großkampfwoche in Sachen Gymnasium. Es läuft die "Dialogphase" von Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU), ob denn nun der Weg zum Abitur über acht oder neun Jahre geht oder beides, und wenn Letzteres: Wie? Zunächst hatte der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband sein Modell der Module präsentiert. Schon Siebtklässler wählen Kurse, Klassen gibt es nicht mehr. Es folgten Vetos des Philologenverbands und der Gewerkschaft GEW. Zwischendrin erstattete Spaenle im Bildungsausschuss des Landtags Bericht über den Dialog. Keine richtigen Neuigkeiten, nur eine: Der Minister wurde von Michael Piazolo von den Freien Wählern mit einem "Murmeltier" verglichen, das bei Pfiff im Loch verschwindet.

Im Anschluss an die Sitzung am Donnerstag - der Minister war entschwunden, wenn auch wohl kaum in ein Loch - beriet der Ausschuss mit externen Experten aber tatsächlich über: die Mittelschulen, vormalig Hauptschulen. Laut Statistik steht die Mittelschule gar nicht so schlecht da. Jahrelang wurde über den Schülerschwund diskutiert und über das Auslaufmodell Hauptschule, in fast allen Bundesländern ist die Schulart abgeschafft, mit Realschulen fusioniert worden oder gleich in Gemeinschaftsschulen übergegangen. Als Grund wurde meist die "Abstimmung mit den Füßen" genannt, dass also Eltern ihre Kinder nicht mehr auf eine Schule schicken wollen, die das Klischee der "Restschule" trägt. Bayern hatte - bundesweit fast im Alleingang - am gegliederten Schulsystem festgehalten und Haupt- zu Mittelschulen umgewandelt, mit mehr Berufsorientierung und der Option auf den mittleren Abschluss. Aktuell besuchen 205 260 Jugendliche im Freistaat eine Mittelschule - Übertrittsquote nach der Grundschule: 30 Prozent. Im Schuljahr davor waren es 202 000, der bis dato niedrigste Wert. Zum Vergleich: Vor 15 Jahren zählte man 322 209. "Die Schülerzahlen haben sich seit der Einführung der Mittelschule stabilisiert", heißt es aus dem Ministerium. Dessen Prognosen besagen, dass sich die Schülerzahl bis 2030 in dieser Größenordnung hält.

Offenkundig ist aber: den Zuwachs hat die Schulform auch Flüchtlingen zu verdanken. Zuletzt waren bayernweit rund 22 000 Flüchtlinge schulpflichtig, Mittelschulen haben Hunderte Übergangsklassen. "Die CSU hängt an der Zahl 205 000, dabei wurde die Abwärtsbewegung durch Geflüchtete zeitweilig gestoppt. Wir kommen aus dem Gesamttrend nicht heraus", sagte der Vorsitzende des Bildungsausschusses Martin Güll (SPD), früher selbst Hauptschulleiter, der Süddeutschen Zeitung. Auch werde der mittlere Abschluss an Mittelschulen im Vergleich zu Realschulen nicht als gleichwertig empfunden. "Wir müssen uns fragen: Wie zukunftsträchtig ist das gegliederte Schulsystem an sich?"

Sieben Experten sollten im Ausschuss zumindest Impulse geben, überwiegend Schulleiter. Von Seiten der Praktiker, berichtet eine Beobachterin aus dem Ausschuss, sei zum Thema Flüchtlinge vor allem eine These gekommen: "Das machen wir doch schon immer." Tatsächlich gab es Ü-Klassen bereits früher an Hauptschulen, für Spätaussiedler und Flüchtlinge aus den Jugoslawienkriegen. Auch ist der Umgang mit sozial schwierigen Elternhäusern oder Sprachproblemen längst Alltag. Das Ministerium verweist auf Anfrage auf die Investitionen, für Lehrer "Fortbildungen rund um alle asylrelevanten Themenbereiche", Handreichungen, digitale Materialien für Deutsch als Zweitsprache (DaZ). Der Bildungsgewerkschaft GEW geht das nicht weit genug: Sie fordert unter anderem verbindlich DaZ-Inhalte im Lehreramtsstudium und weniger Unterrichtsverpflichtung für Mittelschullehrer. "Zwei Lehrkräfte in allen Klassen, das muss zur Selbstverständlichkeit werden, die Unterstützung durch weitere pädagogische und psychologische Hilfsangebote ist dringend erforderlich", so Christiane Wagner vom Landesvorstand. Generell sei die Lage an der Hauptschule "auch nach der Umbenennung in Mittelschule nicht besser geworden".

Gleichwohl ist Mittelschule nicht gleich Mittelschule, wie der im Ausschuss geladene Augsburger Professor für Schulpädagogik, Klaus Zierer, feststellte. Ein "einfaches Stadt-Land-Gefälle" bei der Nachfrage gebe es nicht: So wechseln in der Landeshauptstadt München 21 Prozent der Schüler nach der vierten Klasse auf die Mittelschule (im Landkreis 16 Prozent), in anderen Städten ist die Quote hoch: wie in Hof bei 42 oder in Memmingen 40 Prozent. Auch Landkreise unterscheiden sich oft enorm. Ein Schulsterben sei durch die Neuausrichtung aufgehalten worden, schreibt Zierer in einer Stellungnahme für den Ausschuss, "wenngleich immer wieder neue Wege beschritten werden müssen."

Geplant sind neue Wege freilich nur für das Gymnasium. In den nächsten Wochen endet der Dialog. Zum Jahreswechsel sind wie es aus dem Ministerium heißt, "grundlegende Entscheidungen" zu erwarten.

© SZ vom 24.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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