Bildung:Total digital

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Nie zuvor war so viel Wissen so leicht verfügbar. Und nie zuvor war es so schwierig, den Durchblick zu behalten. Damit die Bayern sich nicht verlieren in der Datenflut, hat Kultusminister Spaenle eine Zukunftsstrategie für die digitale Bildung entwickelt - von der Kita bis zum Seniorenstudium

Von Anna Günther, München

Bei Digitalisierung denkt man nicht gleich an Romantik, von leidenschaftlichen Informatikern mal abgesehen. Zu denen zählt Kultusminister Ludwig Spaenle als Historiker eher nicht. Sein romantischer Ansatz bei der Digitalisierung hat, natürlich, eine historische Note. Digitalisierung eröffne neue Welten, gerade in der Forschung: "Wie wird die Liebe in der gesamten Literatur der Menschheit dargestellt? Das zu analysieren wäre früher niemals möglich gewesen", sagt Spaenle. Allein die schiere Masse an Büchern würde die Recherche unmöglich machen. Künftig erledigt der Computer die Sucherei, Geisteswissenschaftler können sich gleich der Liebe widmen.

Nie zuvor war so viel Wissen so leicht verfügbar. "Die Veränderung können wir erst in Konturen abschätzen", sagt Spaenle, aber sie werden dramatisch sein. Deshalb hat sein Ministerium eine Zukunftsstrategie für digitale Bildung entwickelt, die die Bayern fit machen soll für die Herausforderungen des neuen Zeitalters - 18 Jahre nachdem Roman Herzog die Worte "Laptop und Lederhose" prägte.

Den richtigen Umgang mit der Informationsflut und mit den eigenen Daten sollen schon die Kleinsten lernen. Für Spaenle ist das die "vierte Kulturtechnik" neben Lesen, Schreiben und Rechnen. Bildungsforscher sehen das ähnlich. Für die bayerischen Schüler dürfte die Umstellung von analog zu digital marginal sein, Tablet-Computer und Smartphones umgeben sie seit ihrer Geburt. Schon Zweijährige beherrschen die Wischtechnik und freuen sich über bunte Dinge, die sich im Tablet bewegen und Geräusche machen.

Virtueller Besuch in der Pinakothek der Moderne: August Macke, Mädchen unter Bäumen (1914). (Foto: N/A)

Apps und Lernprogramme für Kinder boomen, für jedes Alter und jedes Lernfeld gibt es vielerlei Online-Anwendungen. Wie Kinder allerdings verantwortungsvoll mit diesen Geräten umgehen und nicht nur Zeit totschlagen, sollen ihnen spätestens die Lehrer beibringen. Informatik und Medienbildung sind seit vielen Jahren Thema in der Bildungspolitik. Innovativ und mit neuester Technik setzen das aber nur wenige Schulen um, oft herrscht bei Lehrern noch Scheu, Tablets oder Handys in den Unterricht einzubauen. Dabei gibt es allein in der Mediathek des Landesmedienzentrums "mebis" 13 000 Konzepte und Lehrmaterialien für den Unterricht mit digitalen Medien. Seit 2011 gibt es die Plattform, die derzeit von 2200 Schulen genutzt wird. In den nächsten Jahren sollen auch die Schulbücher digital und analog eingesetzt werden. Wie oft digitale Medien im Unterricht eingesetzt werden, liegt aber auch an der Ausstattung - und die hängt stark vom Budget der Schulträger ab. Ein nächster Schritt in der langfristig angelegten Zukunftsstrategie soll entsprechend das Gespräch mit den Kommunen sein, sagte Bildungsstaatssekretär Georg Eisenreich.

Die Zukunftsstrategie soll nun auch all jenen Schulen einen Schub geben, die sich bisher eher sporadisch mit den neuen Medien beschäftigen. Digitalisierung ist Bestandteil des neuen Lehrplan Plus, der sukzessive bis 2017/18 in Bayerns Schulen eingeführt wird. Dafür müssen Medienbildung und digitale Unterrichtsmethoden im Lehramtsstudium künftig Pflichtveranstaltung sein. Nur, bis die Universitäten diesen Wunsch des Ministers in ihre Studienordnungen aufnehmen, können Jahre vergehen. Die Hochschulen sind autonom. Damit nicht wertvolle Zeit verstreicht, sind die Ausbilder an den Seminarschulen jetzt schon angehalten, ihre Referendare in Medienbildung und digitalen Unterrichtsmethoden zu coachen.

Forschen für Alle

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Ein Besuch in der Münchner Staatsbibliothek ist auch ein Schritt in die Geschichte: die ausgetretenen Stufen, die kleine Tür im mächtigen Eingangsportal, hohen Decken, Bücherwände. Wie viele Studenten dort schon gelernt und gelesen haben, kann niemand mehr zählen. Diese Nostalgie ist Forschern in Boston oder Bodenmais fremd, der Flair zu fern. Künftig können auch sie in Büchern der Stabi nachlesen oder forschen. Teilweise geht das schon jetzt:Eine Million Bücher hat die Stabi seit 2007 eingescannt. Die Bestände staatlicher Regionalbibliotheken sollen dazukommen. Einen Überblick über Karten, Gemälde, Schriften, Personen und wichtige Kulturorte bietet das Bavarikon. Seit 2012 gibt es die Plattform, die 200 000 Objekte aus 38 bayerischen Museen, Archiven und Sammlungen online zugänglich macht. Wie gern würde man sich bei manchem Bild Pinselführung und Farben aus nächster Nähe ansehen. Aufsicht und Alarm lassen das im Museum nicht zu. Auf dem Tablet-PC großgezogen ist das kein Problem. Mit einem Klick öffnet sich das Bild ins Großformat, daneben stehen Informationen zu Maler, Motiv und Größe wie hier August Mackes "Mädchen unter Bäumen", das in der Pinakothek der Moderne hängt. (119,5x159 cm, gemalt 1914)

Weiterführende Schulen

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Spätestens in den weiterführenden Schulen beginnt der technische Sprint der "Digital Natives". Eltern werden dann schnell abgehängt. Zehnfingerschreiben, Textverarbeitung, Tabellenkalkulation, Präsentationen - geschenkt. Die Schüler beschäftigen sich schon in der Unterstufe mit Rechtsfragen, Risiken und Vorzügen digitaler Medien, lernen richtig zu recherchieren, ihre Daten zu schützen oder basteln in Wahlkursen am Nachmittag Roboter. Wirklich spannend wird es in den technischen Zweigen und in den Informatik-Wahlkursen der höheren Jahrgänge: Dort programmieren die Jugendlichen eigene PC-Anwendungen, drehen Filme oder konstruieren wie an der Arnstorfer Realschule mit dem Programm "Solid Edge" am PC Autos oder Häuser samt Inneneinrichtung - nur sind die Wagen der Automobilindustrie ungleich komplizierter. In Arnstorf werden digitale Medien seit zehn Jahren intensiv im Unterricht genutzt. Laptop- und Tabletklassen gibt es schon lange, dort bringen die Schüler nun ihre eigenen Geräte mit. Sogar Handys sind in den Stunden erlaubt - wenn es dem Thema dient. Die pfiffigsten unter den jungen Digitalprofis halten sämtliche Computer in Schuss und können IT-Zertifikate erwerben, auf die die meisten Erwachsenen erst im Berufsleben aufmerksam werden.

Hochschule & Universität

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Worte und Schaubilder des Dozenten per Videoschaltung aus dem überfüllten Hörsaal in den nicht minder überfüllten Nebenraum zu übertragen, ist auch eine Art, an der Hochschule digital zu lehren. Aber das ist Schnee von gestern. Heute holen Universitäten im Freistaat die Welt in ihre Vorlesungen - ganz ohne die üblichen Platzprobleme. Zum Beispiel können ausgewählte Seminare der beiden großen Münchner Unis in kostenlosen Onlinekursen namens "Moocs" (Massive Open Online Courses) auf der ganzen Welt empfangen werden. LMU und TU arbeiten unter anderem mit Netzwerken der Harvard- sowie der Stanford-University zusammen und erreichen so weltweit Millionen Nutzer. Studenten können auf diese Weise von Münchner Dozenten Grundlagen der Unfallchirurgie, die Basics für Ingenieure oder auch die Navigation von fliegenden Robotern lernen. Auf der Couch, Hauptsache die Internetverbindung steht. Im Youtube-Kanal des Stifterverbands für die deutsche Wissenschaft sprechen Dozenten in Kurzvorträgen über ihre Online-Kurse oder debattieren gleich, wie Moocs Lehren und Lernen verändern werden: Hier moderiert die Berliner Journalistin Corina Niebuhr das Gespräch von fünf Hochschullehrern aus ganz Deutschland, die sich virtuell zum Talk treffen und dabei doch in ihren eigenen Büros sitzen bleiben.

Kindergarten

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Kleinkinder wischen heute auf dem Tablet wie die Großen, bevor sie laufen oder erste Worte brabbeln können. Doch in vielen bayerischen Kindergärten führt Medienbildung noch immer ein Schattendasein. Dabei sehen Bildungsforscher wie Norbert Neuß von der Uni Gießen Kitas und Schulen besonders in der Pflicht. Schon die Kleinsten sollten an den richtigen Umgang herangeführt werden. Wichtig ist, dass sie nicht einfach mit bunten Apps abgelenkt und ruhig gestellt werden. Computer-Zeit sollte auf 20-30 Minuten pro Tag beschränkt sein. Die Programme ersetzen auch nicht das gemeinsame Lesen oder Spielen mit den Eltern. Sie sollten zielgerichtet eingesetzt werden: Mit Apps können Kinder spielerisch Geräusche den richtigen Tieren zuordnen, erste Buchstaben oder gar wie auf dem Bild die Uhrzeit lesen lernen. Im Evangelischen Kinderhaus in Krumbach werden analoge und digitale Lernwelt immer verknüpft, um beide Bereiche zu fördern: Die Kleinen lösen beim Brettspiel Aufgaben am Tablet oder lernen per App Stromkreise kennen, die sie erst digital bauen und dann mit Bauklötzen nachstellen. Gemeinsam mit den Erziehern probieren die Kinder erste Recherchen zu Themen aus, die sie beschäftigen, oder basteln mit einer App aus eigenen, eingescannten Zeichnungen einen Trickfilm. Doch Anwendung ist nicht gleich Anwendung: Viele Programme aus dem Internet sind zwar hübsch, aber von Grafikern und nicht von Erziehern oder Wissenschaftlern entworfen. Welche Apps auch pädagogisch sinnvoll sind, zeigt das Deutsche Jugendinstitut auf seiner Internetseite. Das Team um die Kindergartenleiterin Anne Müller arbeitet seit 15 Jahren mit digitalen Medien im Kindergarten. Kleine Nerds ziehen sie aber nicht heran: drei Mal in der Woche gehen alle raus in den Wald. Matsch muss sein und zwar nur analog.

Grundschule

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Digitale Bildung und der Umgang mit Medien sind festes Element im neuen Lehrplan Plus, der an den bayerischen Grundschulen schon angewandt wird. Die Lehrer sollen mit ihren Schülern über verantwortungsvollen Umgang mit Medien sprechen. Doch die üblichen Lektionen in Schönschrift, Rechnen und Lesen werden keineswegs verdrängt. Im Kunstunterricht lernen Buben und Mädchen etwa mit Digitalkameras umzugehen und basteln aus den Fotos Collagen. In Deutsch spielen gedruckte Bücher aus Papier weiter die Hauptrolle, darauf legt das Kultusministerium wert. PC-Programme wie Tolino sollen mit Fragen zu Kinderbüchern das Leseverständnis testen und Lust auf Schmökern machen. Oder die Schüler beschäftigen sich multimedial, also lesend, hörend und Filmschauend mit einer Geschichte. In Mebis, der Mediathek des Landesmedienzentrums gibt es 2900 Konzepte für digitales Unterrichten an der Grundschule. Die Stiftung Medienpakt bietet zudem einen Medienführerschein an. Wer daheim sinnvoll digital spielen will, kann mit "Bumblebee" wie hier im Bild englische Begriffe hören und zuordnen oder mit dem "Zahlenzorro" rechnen.

Bayerns Studenten sind, was den Einsatz digitaler Medien angeht, schon deutlich weiter als die Schüler. Das Ministerium setzt bei Wissenschaft und Kunst auf den Ausbau des Erreichten: schnellere Hochleistungsrechner, die Bündelung der digitalen Forschung, sukzessive Digitalisierung aller Kunstwerke, Bücher und des Archivbestands. Damit alle Bürger irgendwann Zugang zu den neuen Welten haben.

© SZ vom 22.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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