Bildung:Hadjas Weg

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Die 17-Jährige aus dem Senegal will Zahnärztin werden. Der erste Schritt: die Mittlere Reife, die sie an einer Münchner Mittelschule machen kann

Von Anna Günther, München

Luka Svagusa geht es mal wieder nicht schnell genug. Der 16-Jährige schnellt aus seiner Rekelhaltung vor auf die Stuhlkante und ruft: "Medikamente ist Akkusativobjekt!" Prompt schallt ihm entgegen: "Melden!" Svagusa und seine Mitschüler analysieren den Satz Verkauft in der Apotheke die Medikamente die freundliche Apothekerin? Die neun Mädchen und elf Buben bestimmen die Satzteile und stellen die Worte um, bis sich ein neuer Sinn ergibt. Sie konjugieren bis Plusquamperfekt und Futur II, keiner kann sich drücken, die Schüler rufen sich gegenseitig auf. Eine ganz normale Klasse? Nicht ganz.

Die Jugendlichen im Stuhlkreis in der Mittelschule an der Münchner Cincinnatistraße leben erst seit knapp zwei Jahren in Bayern, haben erste Brocken der fremden Sprache in einer der 580 Übergangsklassen gelernt. Sie sind ehrgeizig, haben in ihrer Heimat höhere Schulen besucht und halten auch in der Fremde an ihren Träumen fest. Sie wollen schneller lernen, um keine Zeit zu verlieren. Luka Svagusa langweilte sich in der Übergangsklasse: "Die Matheaufgaben hatte ich vor fünf Jahren in der Schule. Das hier bringt mir viel mehr", sagt der Kroate. Sein Traum ist die Schauspielerei, der Drang ins Rampenlicht wird sogar im Stuhlkreis deutlich. "Ach, auf Englisch oder Deutsch, ob Kino oder Theater ist mir egal, Hauptsache Schauspielen", sagt er. Hadja Bathily wirkt schüchterner, sie spricht leise, aber ihr Weg ist ähnlich anspruchsvoll: Die 17-Jährige aus dem Senegal möchte Zahnärztin werden. Das Praktikum in einer Praxis gefiel ihr so gut, dass sie sich schon einen Plan zurechtgelegt hat. "Nach dem Abschluss mache ich erst eine Ausbildung und dann studiere ich Medizin", sagt das Mädchen. Noch Fragen?

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(Foto: Florian Peljak)

Hadja Bathily möchte es später an die Uni schaffen.

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(Foto: Florian Peljak)

Der Berufswunsch von Luka Svagusa ist Schauspieler.

In der Mittelschule an der Cincinnatistraße werden Bathily und ihre Mitschüler seit September in einer internationalen Klasse des M-Zuges auf den Mittleren Schulabschluss vorbereitet. Das Projekt ist einmalig in Bayern. Die 20 Jugendlichen lernen gerade den Stoff der 9. Klasse und werden intensiv in Deutsch gefördert. Klassenlehrerin Claudia Gebhardt-Schuster unterrichtet Deutsch und Englisch mit einer Kollegin, damit immer eine Lehrerin Zeit für Erklärungen hat oder sie die Gruppe trennen können. "Alleine wäre der Spagat nicht zu schaffen", sagt Gebhardt-Schuster. Bevor sie einen Text bearbeitet, verteilt die Konrektorin eine Liste mit neuen Wörtern. So können sich die Jugendlichen vorbereiten, und im Unterricht ist Zeit für die Textarbeit. Wichtiger als der Inhalt seien noch Grammatik und Aussprache. Wie viel das bringt, ist hörbar. Nach sieben Monaten sprechen die Schüler zwar mit Akzent, aber formulieren klar und anspruchsvoll. Sie legen die normalen Prüfungen für den Qualifizierten und den Mittleren Schulabschluss ab, nur in Deutsch bekommen sie als Zweitsprachler andere Aufgaben zum Text gestellt.

Für Jugendliche wie Luka Svagusa und Hadja Bathily gab es bisher keine spezielle Förderung und sie verloren Zeit, wenn sie erst nach einer Ausbildung den Mittleren Schulabschluss bekamen. Das Sprachniveau an Gymnasium und Realschule würde diese Jugendlichen überfordern, der Stoff der Mittelschule unterfordern. Die neuen Integrationsklassen an Realschulen beginnen in der Unterstufe, aber Bathily ist alt genug, ihren Führerschein zu machen. Schulleiter Herbert Haas frustrierte das lange. "Dabei gibt es im Schnitt drei bis vier Spitzenleute pro Übergangsklasse", sagt er. 2009 schrieb Haas das Konzept zur "Mittlere-Reife-Klasse international". Er will die Jugendlichen bewusst an der Mittelschule halten, die enge Beziehung zum Klassenlehrer tue nicht nur den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen gut. "Durch unsere Erfahrungen mit ausländischen Kindern sind wir besser aufgestellt als andere Schularten, das ist eine Chance für die Mittelschulen", sagt Haas.

Eine ganz normale Mittelschulklasse? Nicht ganz. Die Jugendlichen leben noch nicht lange in Bayern. Doch sie wollen schnell vorankommen. (Foto: Florian Peljak)

Die Schüler brauchen Empfehlungsschreiben, müssen Auswahlgespräch und Test bestehen. Das Screening ist laut Haas entscheidend. Gäbe es in Mathe Lücken, wäre das Niveau zu hoch. Nach sieben Monaten sind Schüler, Lehrer und Schulaufsicht zufrieden. Konrektorin Gebhardt-Schuster schwärmt von Energie und Fortschritten ihrer Schüler, "die bedanken sich sogar für den Unterricht". Schulamtsleiterin Alexandra Brumann erzählt stolz, dass sie gerade 18 Kollegen durch die Cincinnatischule führte, die das Konzept adaptieren wollen. 45 Jugendliche sind für das neue Schuljahr angemeldet. Bleiben die Zahlen konstant, richtet die Stadt im Herbst gleich zwei neue Klassen ein.

© SZ vom 23.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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