Bezirkstagswahlen:Vom Fischotter bis zur Tagespflege

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Die sieben Bezirke sind als dritte kommunale Ebene nahezu ein Unikum in Deutschland, das auf König Ludwig I. zurückgeht. Sie kümmern sich um Soziales und Kultur und verwalten einen Etat von mehr als fünf Milliarden Euro.

Von Lisa Schnell, München

Den Bayern wird ein störrisches Beharren auf ihrer Eigenständigkeit nachgesagt. Und so stieß schon im 19. Jahrhundert die Idee von Minister und Staatsreformer Maximilian Montgelas, das Land vor allem von einem Zentrum aus zu steuern, auf wenig Zuspruch. Es ist wohl dieser Neigung zur regionalen Autonomie zu verdanken, dass König Ludwig I. im Jahr 1828 eine bayerische Besonderheit schuf: die Bezirke. 1919 kam die Selbstverwaltung dazu. Regionalparlamente auf Bezirksebene, die direkt vom Volk gewählt sind, gibt es in dieser Form nur in Bayern - und in der Rheinpfalz, wo es ebenfalls einen damals geschaffenen Bezirkstag mit gleicher Bedeutung und direkter Wahl gibt.

Die sieben Bezirkstage von Oberbayern bis Schwaben haben also Tradition. Aber was machen sie eigentlich? Eine Frage, die dem einen oder anderen wieder durch den Kopf gehen wird, wenn er nächsten Sonntag in der Wahlkabine nicht nur den neuen Landtag, sondern auch den Bezirkstag wählen soll. Das Wahlsystem ist weitgehend gleich, allerdings gibt es keine Fünf-Prozent-Hürde. Je mehr Menschen in einem Bezirk leben, desto mehr Vertreter hat der Bezirkstag, in Oberbayern etwa 67, in Oberfranken 17. Anders als die Abgeordneten im Landtag arbeiten alle Bezirksräte ehrenamtlich. Sie sind als oberstes Verwaltungsorgan verantwortlich für die grundsätzlichen Entscheidungen des Bezirks und bestimmen darüber, wie die zur Verfügung stehenden Gelder verwendet werden. Ähnlich wie der Städte- oder Gemeindetag werden die Interessen aller sieben Bezirke durch den Bayerischen Bezirketag vertreten.

Womit sich Bezirksräte beschäftigen, wird den meisten oft erst klar, wenn Menschen plötzlich Hilfe brauchen, etwa wenn es um die Pflege im Alter geht, um Unterstützung für Behinderte oder psychologische Betreuung. 2016 betreuten die Bezirke etwa 43 000 Menschen mit stationärer Hilfe zur Pflege und unterstützten 28 000 Kinder mit Behinderung in Schulen oder im Kindergarten. Sie betreiben mehr als 60 Fachkrankenhäuser und Tageskliniken, vorwiegend in der Psychiatrie. Etwa ein Fünftel aller Krankenhausplanbetten stehen in Einrichtungen der Bezirke. Neben Gesundheit und Sozialem kümmern sich die Bezirke zudem um Weiterbildung, Kultur und Heimatpflege. Sie bilden in mehr als 40 Berufen aus, sie sind Träger von landwirtschaftlichen Lehranstalten und Krankenpflegehilfeschulen. Jährlich geben sie etwa 50 Millionen Euro für regionale Kulturarbeit aus. Zudem betreiben sie Freilichtmuseen, wie etwa an der Glentleiten in Oberbayern. Insgesamt verwalten die Bezirke einen Haushalt von mehr als fünf Milliarden Euro.

Die sieben Bezirkstage sind nicht zu verwechseln mit den sieben Bezirksregierungen. Die Regierungen erfüllen ausschließlich staatliche Aufgaben, ihre Leiter werden von der Staatsregierung ernannt, auch wenn sie "Regierungspräsident" genannt werden. Die Bezirkstage dagegen sind vom Volk gewählte Regionalparlamente und übernehmen kommunale Aufgaben. Nicht selten stellen sie sich mit ihren Forderungen auch gegen die Staatsregierung, so geschehen etwa beim Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz. Derzeit setzen sie sich dafür ein, dass auch EU-Bürger an Bezirkstagswahlen teilnehmen dürfen. Sie fordern vom Freistaat, dem Fachkräftemangel im medizinischen Bereich etwas entgegenzusetzen oder Schulen finanziell so auszustatten, dass eine Inklusion von Behinderten wirklich umgesetzt werden kann. Mit ihrem Anliegen, in einigen Bezirken ein Fischotter-Monitoring durchzuführen, wird deutlich, welche Bandbreite an Aufgaben sie abdecken.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung hieß es, die Bezirkstage seien allein ein bayerisches Unikum in Deutschland. Dabei war übersehen worden, dass es eine solche dritte Ebene - den Bezirk - auch in der Rheinpfalz gibt. Auch dort wird der Bezirkstag direkt vom Volk gewählt, auch dort kümmert sich das Gremium um die Bereiche Gesundheit, Soziales, Psychiatrie, Kultur und Heimatpflege.

© SZ vom 12.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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