Geschichte:Die Last umstrittener Straßennamen

So unterschiedlich arbeiten bayerische Städte die Last der Vergangenheit auf. Sechs Beispiele.

Max Matheis

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(Foto: Google)

Schon seit vielen Jahren fordert der frühere Passauer Uni-Dozent Hans Göttler ziemlich klar: In Sachen Max-Matheis-Straße und ebenso bei einer Straße, die nach Hans Watzlik benannt ist, müsse die Stadt endlich "Nägel mit Köpfen" machen: Diese "Spinnweben aus der Nazi-Zeit" sollten "endgültig aus dem Stadtbild des europäisch ausgerichteten Passau verschwinden", findet Göttler. Er legte 2016 ein Buch zum Heimatdichter Matheis vor und zeigte, wie fleißig dieser für die Nazis geschrieben hatte. Matheis hatte dies versteckt gehalten und wurde 1967 Ehrenbürger, eine Auszeichnung, die nach dem Tod nicht aberkannt werden kann. Aber auch, weil Matheis nach dem Krieg keine Einsicht gezeigt und 1974 ein antieuropäisches Gedicht veröffentlicht hatte, ließ Göttler nicht locker. Ihm wurden "Geschichtssäuberung" und Nestbeschmutzung vorgeworfen. Nun gibt es Bewegung in der Sache: Eine Fachkommission soll konkrete Fälle bewerten. Vorrang haben Matheis und Watzlik, Letzteren bezeichnete ein Stadtrat als "Nazi-Dichter ersten Ranges".

Hans Meiser

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(Foto: dpa)

Über Hans Meiser, Landesbischof während der NS-Zeit, sind Urteile überliefert, die sich so konträr lesen, als ginge es um zwei völlig unterschiedliche Personen. Da ist etwa die Würdigung Konrad Adenauers, der über Meiser schrieb: Die unbeugsame Haltung werde unvergessen bleiben, mit der Meiser "in den schweren Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft die Rechte der Bekenntniskirche" vertreten habe. Später richtete sich der Fokus fast ausschließlich auf die heiklen Punkte in Meisers Leben - auf Dokumente etwa über den Antisemitismus eines deutsch-nationalen Kirchenmannes: "Gerade wer von der Minderwertigkeit der jüdischen Rasse überzeugt ist", notierte Meiser, "der dürfte, wenn er nicht ein blinder Fanatiker ist, nicht das Judenpogrom predigen, sondern müsste zur Judenmission aufrufen, weil in ihr die Kraft liegt, die Juden auch rassisch zu veredeln." Bis heute sind sich Bayerns Kommunen uneins darüber, ob Meiser-Straßen umzubenennen sind. München und Nürnberg haben sich dafür entschieden, Bayreuth etwa dagegen.

Max Brose

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(Foto: dpa)

Unter den Straßenumbenennungen in Bayern darf die Causa Max Brose als Sonderfall gelten. Gemeinhin wird ja darüber gestritten, ob ein bereits existierendes Schild mit dem Namen einer kontaminierten historischen Person abgeändert werden soll. In Coburg entschied sich die Stadt andersherum. 2015 wurde die Von-Schultes-Straße am Firmensitz eines Weltkonzerns auf den Gründer der Firma, Max Brose, umbenannt. Am Tag der Abstimmung prallten auf Coburgs Marktplatz die Opponenten aufeinander: "Wir sind stolz auf unseren Firmengründer", war auf den Schildern der einen zu lesen, "Ehrt keinen Nazi-Profiteur" auf den Schildern der anderen. Brose war von 1933 an NSDAP-Mitglied, er war Wehrwirtschaftsführer und beschäftigte Zwangsarbeiter. Trotzdem wurde er mit einem Schild gewürdigt. Begründung: Brose sei "eine bedeutende Unternehmerpersönlichkeit mit hoher sozialer Verantwortung". Zur Ruhe ist die Debatte seither nicht mehr gekommen. Nicht zuletzt der Satiriker Jan Böhmermann greift das Thema regelmäßig auf.

Willy Sachs

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(Foto: picture-alliance/ dpa/dpaweb)

Schweinfurt streitet seit Monaten über eine Umbenennung, doch geht es dort sogar um mehr als eine Straße. Wohl in wenigen Wochen will sich der Stadtrat mit der Frage befassen, ob Schweinfurts Fußballarena weiter "Willy-Sachs-Stadion" heißen soll - oder ob sie künftig in "Sachs-Stadion" umbenannt wird. Auch die Ehrenbürgerwürde des Großindustriellen steht wegen dessen Verstrickungen in den NS-Apparat auf dem Prüfstand. Die Debatte über den Sohn von Ernst Sachs - einer prägenden Figur auf dem Weg Schweinfurts zum Zentrum der Wälzlagerindustrie - teilt die Stadt in zwei Lager. Die einen betonen die Rolle von Sachs als überzeugter Nationalsozialist, der in SS-Uniform auftrat, von Hitler als dem "großen, starken und geliebten Führer" schwärmte und in dessen Unternehmen Zwangsarbeiter beschäftigt wurden. Seit einer Stadtratsinitiative auf Stadionumbenennung druckte das Schweinfurter Tagblatt aber auch zahlreiche Leserbriefe ab, in denen Sachs mit Verweis auf dessen angebliche menschliche Qualitäten vehement verteidigt wird.

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(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Es hat lange gedauert und mehrerer Anläufe bedurft, aber nun ist klar: Die "Langemarckstraße" wird künftig "Familie-Einstein-Straße" heißen. Die Nationalsozialisten hatten die Straße in Augsburg 1939 nach der belgischen Ortschaft Langemarck benannt, nahe der im Jahr 1914 eine verheerende Schlacht stattfand, die propagandistisch verklärt wurde. Die Stadtregierung aus CSU und Grünen hatte die Entscheidung auf den Weg gebracht. Die Umbenennung zeige, "dass es sich immer wieder lohnt, genau hinzuschauen und kritische Fragen zu stellen, auch 75 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus", sagte Verena von Mutius-Bartholy, Fraktionsvorsitzende der Grünen. Demnach lebte die "Familie Einstein", der neue Namensgeber, seit dem 19. Jahrhundert in Augsburg, war wirtschaftlich erfolgreich, religiös aktiv und sozial engagiert. Für Anwohner, beschloss die Stadt, ist die Adressänderung im Personalausweis kostenfrei. Unternehmen erhalten finanzielle Unterstützung, etwa zum Druck neuer Briefköpfe.

Richard Knussert

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(Foto: oh)

Erst im Jahr 2020 hat Kempten beschlossen, die Rolle der Stadt in der NS-Zeit umfassend aufzuarbeiten. Ausgelöst hatte den Beschluss ein Vortrag der stellvertretenden Leiterin der Forschungsabteilung des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, die Kempten "einen frischen Blick" auf die bislang unzureichend aufgearbeitete NS-Zeit nahelegte. So wird nun eine Kommission eingesetzt. Die Knussertstraße jedoch, das steht fest, soll schnell umbenannt werden. Richard Knussert war ein Allgäuer Heimatforscher, der als Lehrer in den 1950er-Jahren im Unterricht das NS-Regime verteidigt und die Judenvernichtung geleugnet haben soll. Ehemalige Schüler hatten die Umbenennung gefordert - zunächst vergebens. 2018 hatte Kemptens Oberbürgermeister noch gesagt, dass es keine belastbaren Anhaltspunkte gegen Knussert gebe. Würde man in solchen Fällen Straßen umbenennen, müsse man dies bei nahezu allen nach Personen der Geburtsjahrgänge von 1890 bis 1920 benannten Straßen tun. Diese Ansicht hat nun keine Mehrheit mehr.

© SZ vom 06.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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