Regensburg:Schauplatz der Verwundung Napoleons - oder auch nicht

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Die Verwundung Napoleons in der Schlacht von Regensburg ist Gegenstand verschiedener Kunstwerke - auch dieses französischen Holzschnitts. (Foto: Mauritius Images/United Archiv)

Die Spuren des berühmten Feldherrn führen auch nach Regensburg. Zwei Tafeln weisen dort Stellen aus, an denen Napoleon angeschossen worden sein soll. Beide sind falsch.

Von Thomas Schuler

Lieblich fließt die Donau unter den mächtigen Brückenpfeilern ihres jahrtausendealten Weges. An den grünen, freundlichen Wiesen ihrer Ufer sitzen heute, am 23. April 2009, zahlreiche junge Menschen unter schattenspendenden Bäumen und genießen die Wärme der Frühlingssonne. Keiner von ihnen dürfte einen Gedanken daran verschwenden, dass diese Brücke auf den Tag genau 200 Jahre zuvor Schauplatz einer grausamen Schlacht wurde. Damals tobte ein infernalischer Feuersturm in Regensburg und dem jenseits der Brücke liegenden Stadtamhof. Hunderte Leichen wurden anschließend von der Brücke hinab in die Donau geworfen. Über den Anblick berichtete ein Chronist: "Das lichterloh brennende Stadtamhof und die Brandsäulen von Regensburg boten ein schauervoll erhabenes Schauspiel dar; das erste Viertel des Mondes sah blutrot durch die Rauchwolken herab und die rauschenden Fluten der Donau waren gerötet von der schrecklichen Glut."

Napoleon und seine Truppen standen am 23. April 1809 vor den Toren der Stadt. Der Maler Albrecht Adam berichtete darüber später: "Napoleon, welcher den ganzen Tag anwesend war und allenthalben gesehen wurde, stand gegen Abend nicht ferne von mir auf der Anhöhe mit einer ungeheuren Suite von mehr als hundert Köpfen; fast alle Generäle mit ihren Adjutanten hatten sich in einer Entfernung von etwa 40-50 Schritte hinter ihm versammelt. Das Ganze war prachtvoll von der Abendsonne beleuchtet. Unverwandt blickte er nach der Stadt in das mittlerweile bedeutend gewachsene Feuer. Er schien mir unheimlich, ich dachte an Nero."

Die Ursachen dieser größten Katastrophe des 19. Jahrhunderts für die Donaustadt gehen zurück auf die Kriegserklärung Großbritanniens an das napoleonische Frankreich im Mai 1803. Mit riesigen Summen stampfte das Britische Empire bis zum endgültigen Sieg in den Jahren 1814/15 über den kontinentalen Gegner jenseits des Ärmelkanals insgesamt sieben Koalitionen aus dem Boden. Nachdem es Napoleon überraschend gelungen war, sowohl die III. Koalition (1805) als auch die IV. Koalition (1806/07) militärisch zu zertrümmern, war der einzige Verbündete, den England für eine V. Koalition (1809) noch gewinnen konnte, das Kaiserreich Österreich.

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Die mit britischen Hilfsgeldern aufgerüstete Habsburgermacht marschierte am 9./10. April in Bayern ein; allerdings, wie üblich, ziemlich langsam. Mit der ihm eigenen blitzkriegsartigen Dynamik schlug Napoleon die Angreifer in den schnell aufeinander folgenden Schlachten von Abensberg (20. 4.), Landsberg (21. 4.) und Eggmühl (22. 4.). In der sternenklaren Nacht zum 23. April saß die Grande Armée den Österreichern wie ein zehntausendköpfiger Bluthund im Nacken. Nahezu fluchtartig strömte die dezimierte österreichische Armee in Richtung Regensburg, wo die Steinerne Brücke weit und breit der einzige Donauübergang war. Über den Anbruch des für die Stadt so schicksalhaften Tages berichtete ein Regensburger: "Morgens sechs Uhr verkündete der Kanonendonner von den benachbarten Bergen und von der Landshuter Straße her, dass die große französische Armee sich mit Riesenschritten nähere (...)"

Und sie näherte sich tatsächlich. Der österreichische Oberbefehlshaber Erzherzog Karl war entschlossen, Regensburg so lange zu verteidigen, bis seine Armee die Steinerne Brücke überschritten hatte und der Rückzug in Richtung Böhmen gesichert war. Auf den mittelalterlichen Mauern standen Kanonen und 4000 Mann Infanterie bereit, sämtliche Stadttore waren seit dem Morgen verriegelt. Als Napoleon mit seinem Generalstab eine Anhöhe südöstlich Regensburgs erreichte, richtete er sein Fernrohr auf die alten Stadtmauern. Bald schon verharrte sein Blick an einem alten Mauerturm.

Mit seinem erfahrenen Blick erkannte Napoleon, dass ein konzentriertes Geschützfeuer das Haus zum Einsturz bringen würde und die Stadtmauer über die Trümmer hinwegerklommen werden konnte. Schon fuhren die Pferdegespanne mit den schweren Kanonen heran, und die berittenen Geschütze wurden in Stellung gebracht. Die Bresche-Batterie befand sich exakt südlich der heutigen westlichen Hemauer Straße. Gleichmäßig und schwer schlugen die Glocken des altehrwürdigen Regensburger Doms zehn Uhr am Morgen. Dann begannen die Kanonen ihr dunkles Werk (...). Dompfarrer Wittmann erinnerte sich: "Es hatte den Anschein", so Wittmann, "als sollten durch die Menge der Kanonenkugeln sämtliche Häuser zugrunde gehen."

Trümmer stürzten von den Häusern herab, der Aufenthalt auf den Straßen war lebensgefährlich. Dann durchschlug eine Haubitzgranate am Nachmittag das Dach der Scheune des Frauenklosters Sankt Anna und landete im Stroh. Binnen weniger Minuten entstand ein verheerender Brand, der im Lauf der kommenden Stunden auf die umliegenden Häuser übergriff.

Eine Erinnerungstafel in der Nähe des Doms St. Peter in Regensburg. (Foto: ImageBROKER/Helmut Meyer zur Capellen)

Der Maler Albrecht Adam, der sich zu dieser Zeit außerhalb der Stadt aufhielt, schilderte den Anblick aus der Ferne: "Bald zeigten hohe Rauchsäulen und auflodernde Flammen die Wirkungen. Es brannte beinahe gleichzeitig in zwei verschiedenen Richtungen und bei der herrschenden Windstille stieg der Rauch in rötlich-grauen Säulen himmelhoch schauerlich-majestätisch empor. Da ich das alles gleichsam vor meinen Füßen vor sich gehen sah und ein Plätzchen fand, wo ich ungestört zeichnen konnte, packte ich sogar meine Farben aus und entwarf an Ort und Stelle ein Aquarell von dem brennenden Regensburg." Auf Grundlage des vor Ort entstandenen Aquarells fertigte Adam später (1840) drei großformatige Ölgemälde an. Das Original eines dieser Bilder befindet sich heute im Historischen Museum von Regensburg, das sich in jenem Stadtteil befindet, der durch die Beschießung völlig zerstört wurde.

Während die Vorbereitungen zum Sturm auf Hochtouren liefen, ritten Napoleon und Marschall Lannes gegen zwei Uhr am Nachmittag von der Anhöhe des Gänsbergs drei Kilometer bis dicht an die Mauern Regensburgs heran, um sich ein Bild der Lage zu machen. In der Nähe der Bresche-Batterie stiegen die beiden befreundeten Männer vom Pferd, sprachen mit den befehlshabenden Offizieren. Kurz zuvor hatten sie ein Frühstück eingenommen. Man scherzte, denn die Stimmung war in Erwartung eines bevorstehenden Sieges heiter und ausgelassen. In diesem Moment brachte ein auf der Stadtmauer stehender österreichischer Soldat sein Gewehr in Anschlag, drückte den Abzug und traf - Napoleon.

Wer auf den Spuren der Geschichte den genauen Schauplatz der Verwundung Napoleons aufsuchen möchte, beginnt seinen Weg am besten beim Regensburger Hauptbahnhof und geht über die Maximilianstraße 200 Meter geradeaus. Dort befindet sich auf der rechten Seite ein freistehendes Telefonhäuschen ohne Überdachung. Von dort biegt ein Fußweg nach rechts ab, an dem sich nach wenigen Metern rechts ein stattlicher Ahornbaum mit einem in zehn Metern Höhe eingeschnitztem Herz befindet. Es ist genau die Stelle, an der Napoleon und Marschall Lannes standen.

Wäre es möglich, wie in dem Kino-Klassiker "Matrix" vom Gehweg aus von dem Telefonhäuschen den Hörer abzunehmen, dann spurlos zu verschwinden und sich abweichend vom Film der Wachowski-Geschwister nicht auf einem Hovercraft, sondern unsichtbar an derselben Stelle am 23. April 1809, kurz nach 14 Uhr, wiederzufinden, so wäre Folgendes zu beobachten gewesen: Napoleon fühlte, als ihn die Bleikugel am rechten Fuß streifte, einen so heftigen Schmerz, dass er sich nicht mehr aufrecht halten konnte und sich auf Marschall Lannes stützen musste. Das Erste, was Napoleon in der ihm eigenen Kaltblütigkeit sagte war: "Das kann nur ein Tiroler gewesen sein, diese Leute sind sehr geschickt."

Augenblicke später eilte Doktor Alexandre Yvan herbei, der dem Kaiser an Ort und Stelle den Reitstiefel aufschnitt. Obwohl die Wunde nicht tief war, war der Zeh durch den Streifschuss schwarz geschwollen. Das Geschoss hatte einen Nerv verletzt, was ihm beim Anlegen des Verbandes starke Schmerzen verursachte. "Ich war gerade mit dienstlichen Angelegenheiten beschäftigt", erinnerte sich der Kammerdiener Constant, "als mehrere Grenadiere der Garde auf mich zu rannten, um mir mitzuteilen, dass Seine Majestät verwundet worden sei. So schnell ich konnte, lief ich hin und kam gerade in dem Moment an, als Monsieur Yvan den Verband anlegte. Der Stiefel des Kaisers war aufgeschnitten und wurde provisorisch wieder zusammengeschnürt, als er wieder aufs Pferd stieg. Mehrere Generäle forderten ihn auf sich etwas auszuruhen, aber er antwortete: "Meine Herren, ich muss doch sehen, was vor sich geht".

Kurioserweise gibt es heute in Regensburg zwei Gedenktafeln an zwei unterschiedlichen Stellen, auf denen steht, Napoleon sei dort verwundet worden. Zum einen am namensgebenden Stein vor der "Schule am Napoleonstein". Da die Entfernung vom Stein mit der Tafel bis zur einstigen Stadtmauer Regensburgs rund zwei Kilometer beträgt, die damaligen Vorderladergewehre aber nur eine Reichweite von weniger als 1000 Metern hatten, kann Napoleon unmöglich dort getroffen worden sein. Die zweite, im Jahr 1909 angebrachte Tafel befindet sich östlich des Regensburger Hauptbahnhofes am Gebäude Hemauer Straße 1. Unterstellt sei nun, dass der Generalstabsoffizier Pelet, der sich am 23. April 1809 in unmittelbarer Nähe des Kaisers aufhielt, näher an den Ereignissen war, als die Nachgeborenen des Jahres 1909. In seinen Erinnerungen berichtet Pelet, dass Napoleon im Augenblick seiner Verwundung "auf einer kleinen Anhöhe" (was für einen Feldherrn ja sinnvoll ist) gestanden habe. Wie durch einen mathematisch exakten Kartenabgleich mit freundlicher Hilfe des Landesvermessungsamtes in Stadtamhof nachgewiesen werden konnte, befand sich die, heute längst verschwundene, einzige Anhöhe vor den südlichen Stadtmauern Regensburgs weit und breit an der Stelle des heutigen Telefonhäuschens.

Thomas Schuler , geb. 1970, ist Historiker. "Auf Napoleons Spuren - Eine Reise durch Europa" erscheint am 28. August im C.H. Beck Verlag. Begleitend bietet Schuler persönliche Führungen an. In München: 1.9., 22.9., 6.10., 11 u. 15 Uhr, Treffpunkt Karlstor; Regensburg: 14.9., 2.11., 11 u. 15 Uhr (19.10. entfällt), Treffp. Café am Peterstor; Augsburg: 21.8., 28.8., 10, 14 u. 18.30 Uhr. Treffpunkt Wertachbrucker Tor, www.aufnapoleonsspuren.de

© SZ vom 14.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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