Dem Naturschutz wird gerne nachgesagt, dass er bisweilen seltsame Blüten treibt. Die Haselmausbrücke über die neue Umgehungsstraße der niederbayerischen Stadt Vilshofen ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür. Sie sieht aus wie eine Schilderbrücke, nur ohne Verkehrszeichen. An ihren Seiten ist die hohle Stahlkonstruktion vergittert, in ihrem Inneren ist sie mit Reisig und Zweigen gefüllt.
Und an ihren Betonfundamenten diesseits und jenseits der Umgehungsstraße haben die Planer Büsche anpflanzen lassen - damit die streng geschützten Nager, nach denen die Brücke benannt ist, möglichst einfach zu ihr hinfinden. Denn die Haselmausbrücke soll den Haselmäusen, die in dem Gebiet einst zuhauf vorkamen, einen sicheren Weg über die neue Umgehungsstraße bahnen.
Als die hunderttausend Euro teure Konstruktion vor drei Jahren aufgestellt worden ist, war sie die Lachnummer in der Region und darüber hinaus. Deutschlandweit machten sich Zeitungen und andere Medien über das einmalige Bauwerk lustig. Jetzt hat sich auch noch bewahrheitet, was Helgard Gillitzer vom Bund Naturschutz (BN) in Vilshofen schon immer vorhergesagt hat: In der Konstruktion tummeln sich Amseln, Waldmäuse und allerlei anderes Getier. Nur die Haselmäuse, für die sie gedacht ist, meiden sie konsequent. Das zeigen Kamerabilder aus ihrem Inneren.
Der Artenschwund hält an
Helgard Gillitzer reagiert hörbar genervt, wenn man sie dieser Tage auf die Haselmausbrücke anspricht. "Wir Naturschützer haben sie nie gewollt", sagt sie am Telefon. "Wenn es nach uns gegangen wäre, wäre die neue Umgehung auf einer anderen Trasse errichtet worden, wo sie die Reviere der Haselmäuse nicht zerstört hätte."
Aber das wollte das Straßenbauamt Passau partout nicht. Also klagte der BN gegen das Projekt. Die Haselmausbrücke ist der Vergleich, zu dem die Richter seinerzeit Straßenbauamt und BN gedrängt haben. Das ist die eine Seite der Vilshofener Haselmausbrücke, die wie eine reichlich seltsame Blüte des Naturschutzes wirkt.
Die andere Seite ist sehr viel ernsthafter. Erst dieser Tage haben die ÖDP, die Grünen, der Landesbund für Vogelschutz, der BN und andere Umweltorganisationen wieder heftig darüber geklagt, dass beim Schutz der Artenvielfalt in Bayern nach wie vor vieles im Argen liegt und der Freistaat trotz seinem Bekenntnis zu dem Volksbegehren "Artenvielfalt und Naturschönheit in Bayern - Rettet die Bienen" nicht recht vorankommt. Ein zentraler Aspekt dabei ist, dass Straßenbauer, aber auch Kommunen nach wie vor kaum Rücksicht auf die Natur und insbesondere Tier- und Pflanzenarten nehmen. Das Ergebnis ist, dass der Artenschwund anhält.
Auch dafür ist die Vilshofener Haselmausbrücke ein eindrucksvolles Beispiel. Denn es ist ja nicht nur die neue Umgehungsstraße mitten durch die Reviere der Haselmäuse gebaut worden. Sondern die Stadt Vilshofen hat dort außerdem noch ein Neubaugebiet ausgewiesen. "Selbst wenn es auf der einen Seite der Straße noch die eine oder andere Haselmaus gibt, hätte sie keinen Grund mehr über die Brücke auf die andere Seite zu wechseln", sagt Gillitzer. "Denn dort ist ja inzwischen alles kaputt, was sie zum Leben brauchen."
Die Haselmaus ist eine eher seltene Art, die in lichten, laubreichen Wäldern mit einer dichten Krautschicht und Gebüsch vorkommt. Aber sie ist nicht akut gefährdet. Dennoch sind die Nager mit den großen dunklen Knopfaugen und dem weichen orangebraunen Fell, die zu den Bilchen zählen und gerade mal sieben Zentimeter groß werden, streng geschützt. Für sie gilt ein striktes Tötungsverbot. Außerdem dürfen sie während der Fortpflanzungszeit und in der Winterruhe nicht gestört werden. Auch ihre Reviere dürfen weder beschädigt noch zerstört werden. Hintergrund der strengen Vorgaben ist, dass nicht nur die Haselmaus eine Zukunft haben soll. Sondern auch die vielen anderen Tierarten, die im gleichen Lebensraum daheim sind.
Neue Sträucher für Mäuse
Für die Haselmäuse bei Vilshofen gibt es übrigens womöglich doch noch eine Perspektive. Ungefähr einen Kilometer Luftlinie von der Haselmausbrücke entfernt liegen - ebenfalls an der neuen Umgehungsstraße - weitere Reviere des Nagers. Dort hat das Straßenbauamt zwei Hektar Fichtenwald angekauft, der nun zu einem Mischwald mit Laubbäumen umgestaltet wird.
Außerdem werden dort Haselsträucher gepflanzt, die Nüsse sind die Lieblingsspeise der Nager, dazu Hecken und anderes Gebüsch, in dem sie sich wohlfühlen. "Stattdessen verzichten wir auf die zweite Haselmausbrücke, die an dieser Stelle geplant war", sagt eine Behördensprecherin. Helgard Gillitzer freut sich sehr über die späte Einsicht. "Denn die neuen Maßnahmen werden den Haselmäusen sicher etwas bringen."
Was die vorhandene Haselmausbrücke anbelangt, wollen die Straßenbauer die Hoffnung noch nicht aufgeben. Sie soll vorerst stehen bleiben. "Denn in ihrem Umfeld gibt es ja noch Haselmäuse", sagt die Sprecherin. "Vielleicht nehmen die Tiere die Brücke doch noch an." Wenn nicht, dann wäre das Geld dafür auch nicht zum Fester rausgeworfen. Man könnte die Konstruktion abbauen und anderswo aufstellen - zum Beispiel als Schilderbrücke.