Hochschule:"Eine faire Alternative existiert nicht"

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Im Frühjahr wurden die schriftlichen Examensprüfungen für Bayerns Medizinstudenten wegen Corona abgesagt. Viele angehende Ärzte ärgern sich, dass sie nun Zeit verlieren oder ein "Hammerexamen" ablegen müssen.

Von Katharina Kausche, München

Um einen Groll zu hegen, habe er zurzeit einfach zu viel zu tun, sagt Frederik Hartz. Der 26-jährige Medizinstudent sollte in diesem Frühjahr sein zweites Staatsexamen schreiben. Eigentlich. Stattdessen ging er wegen Corona ungeprüft in sein Praktisches Jahr (PJ), deutlich früher als üblich und ganz anders als geplant. Er fürchtet sogar Folgen für seine späteren Jobaussichten. 836 Medizinstudenten standen in Bayern im Frühjahr wie Hartz vor der Wahl: Verschieben sie ihr Praktisches Jahr und schreiben das zweite Staatsexamen im Herbst? Diese Prüfungen beginnen an diesem Dienstag. Wer nicht verschoben hat, steckt jetzt mitten im PJ und legt die schriftliche zweite Examensprüfung im Frühjahr 2021 kurz vor der dritten, mündlichen Prüfung ab - mit deutlich weniger Lernzeit als üblich: ein Hammerexamen, wie das unter Medizinern heißt.

Das Coronavirus hatte die zentral organisierte Medizinerausbildung durcheinander gewirbelt. Aber viele Studenten ärgert vor allem die Entscheidung der Politiker: Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) hatte die schriftliche Examensprüfung für Bayern im Frühjahr sicherheitshalber abgesagt, die Medizinstudenten sollten gleich ihr PJ in den Kliniken absolvieren, in der Krise mithelfen und ihr Examen erst im Frühjahr 2021 schreiben. Das Staatsexamen zu verschieben, war eine Empfehlung des Bundesgesundheitsministeriums. Allerdings hatte Minister Jens Spahn (CDU) den Ländern die Entscheidung überlassen.

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Außer Bayern folgte auch Baden-Württemberg seinem Vorschlag, beide Länder waren und sind besonders von Corona betroffen. Dadurch aber traten Bayern und Baden-Württemberg aus dem zentralen, bundesweiten Takt und machten PJ-Stationen in anderen Bundesländern für die Studenten schwieriger, in Hartz Fall sogar unmöglich.

Wie viele bayerische Medizinstudenten ihr Praktisches Jahr nun aufgrund der Corona-Verschiebung verschoben haben, ist aber nicht klar. Je nach Universität traten zwischen sieben und 20 Prozent der eigentlich angemeldeten Studenten ihr PJ im Frühjahr nicht an. Die Universität Würzburg verweist auf die Regierung von Oberbayern, an der das Landesprüfungsamt angesiedelt ist. Dort müsse man Genaueres wissen. Die Regierung wiederum sieht die Zuständigkeit bei den Prüfungsämtern der Unis. Die Zahlen seien allerdings wenig aussagekräftig, heißt es dort. Die Studenten müssen keinen Grund angeben, wenn sie ihren Zeitplan ändern. "Ein Grundrauschen an Verschiebungen gibt es immer", sagt Christian Schwarz, Bereichsleiter Prüfungen an der Uni Regensburg. "Das muss nicht bei jedem an Corona liegen."

Der Münchner Frederik Hartz wollte nicht noch mehr Zeit verlieren. Klar, optimal sei die Lösung nicht, sagt er. "Aber mit der Absage des Staatsexamens war sowieso klar: Eine faire Alternative existiert nicht." Trotzdem kritisiert er den aktuellen Plan: Die Medizinstudenten im PJ sind Ende Februar fertig und sollen Mitte April ihr zweites Staatsexamen nachholen. "Das ist zu wenig Zeit zum Lernen," sagt Hartz. Üblich seien 100 Tage, jetzt bleiben gerade einmal 43 und neben der Arbeit im Praktischen Jahr zu lernen, sei fast unmöglich, sagt Hartz. "Nicht selten haben wir eine 60-Stunden-Woche."

Die einzige Möglichkeit: Die Studenten kratzen ihre Urlaubstage am Ende des PJs zusammen - etwa 20 Tage Lernzeit gewinnen sie dazu. "Die Vergleichbarkeit der Prüfungen ist damit trotzdem nicht gegeben", findet Hartz. "Wie sich diese Unterschiede später auf unsere Bewerbungen für Jobs auswirken, wissen wir aktuell auch nicht." Das sei nur eine der vielen Fragen, die Studenten gerade quälen. Antworten aus dem Gesundheitsministerium fehlten, dabei steht mit Ministerin Huml eine approbierte Ärztin an dessen Spitze. "Die Kommunikation war und ist eine Katastrophe, wir werden vor vollendete Tatsachen gestellt", sagt Hartz.

Das läuft bei den Nachbarn offenbar besser: "In Baden-Württemberg sind die Studierenden in den Diskurs integriert", sagt Jannik Alomo. Die "Leidensgenossen" halten die bayerischen Fachschaften auf dem Laufenden. Als Fachschaftssprecher der Mediziner in Erlangen sucht Alomo, gemeinsam mit seinen Sprecherkollegen der anderen Unis, den Austausch mit dem Gesundheitsministerium. "Das funktioniert mal besser und mal schlechter", sagt auch der 23-Jährige. Insgesamt sei in Bayern das meiste "von oben herab entschieden" worden. "Wir sind enttäuscht über so eine Kommunikation." Das PJ laufe bei vielen Studenten nicht wie geplant. "Viele haben Angst, schlechter ausgebildet zu werden", sagt auch Alomo. "Die Lehrstunden, die im PJ dazugehören, sind an manchen Krankenhäusern monatelang ausgefallen."

Alomo kann das nicht nachvollziehen, Corona hin oder her, "schließlich geht es hier um einen ganzen Jahrgang an neuen Ärzten". Und junge Mediziner werden händeringend gesucht, nicht zuletzt in den Gesundheitsämtern zur Bewältigung der Corona-Krise.

© SZ vom 06.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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