Weiden in der Oberpfalz:"Lass ihn drin"

Lesezeit: 3 min

Ein Prozess soll aufklären, warum drei junge Leute einem 22-Jährigen nicht halfen, als er im Flutkanal ertrank - Chatnachrichten legen nahe, dass sie ihn wissentlich sterben ließen.

Von Matthias Köpf, Weiden

Die Chatnachrichten aus jener Nacht klingen durchaus deutlich. Der sei "gerade am ertrinken" tippte einer der drei Angeklagten in sein Mobiltelefon, just als sein Freund sturzbetrunken und voller Drogen im flachen Flutkanal am Rande der Weidener Altstadt lag und genau das tat: ertrinken. "Lass ihn drin", lautete die Antwort aus der Ferne, und auch das geschah genau so. Er ließ ihn drin, so wie ihn auch die beiden anderen Angeklagten dringelassen haben.

So lautet jedenfalls der Vorwurf der Staatsanwaltschaft an das Trio, das seit einigen Tagen vor dem Schwurgericht am Landgericht Weiden steht. Sicher ist, dass der junge Mann im vergangenen September mit 22 Jahren im Flutkanal gestorben ist - und dass dies keiner seiner drei vermeintlichen Freunden verhindert hat.

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Der Chatpartner, der in der tödlichen Nacht selbst nicht mit am Flutkanal stand, will den Chat-Dialog als Scherz verstanden haben. Das sagt er vor Gericht als Zeuge aus. Doch die Nachricht fügt sich inhaltlich und zeitlich zu den Handyvideos, welche die weibliche Angeklagte von der Szenerie am Flutkanal gemacht haben soll, statt das Opfer durch einen einfachen Griff vor dem sicheren Tod zu retten. Zuvor hatten die vier Freunde eine Shisha-Bar in Weiden besucht, dort geraucht und getrunken. Das Opfer hatte am Ende knapp 2,4 Promille Alkohol im Blut und Spuren eines synthetischen Cannabinoids, wie es im Internet oder auf der Straße oft als "Spice" oder "Kräutermischung" gehandelt wird.

Dabei soll das Opfer wegen seiner Zuckererkrankung größere Mengen Alkohol gemieden und außerdem jegliche Drogen verabscheut haben. So sagen es seine Partnerin und sein Vater, die am nächsten Tag vergebens aufgebrochen waren, um ihn zu finden. Auch ein Anruf bei dem vermeintlich besten Freund brachte nichts, obwohl der laut Überzeugung der Ermittler doch gewusst haben müsste, dass das Opfer nicht mehr lebend zu finden sein wird. Motive für all das hat der Prozess bisher noch nicht zutage gefördert - weder für den Alkohol- und Drogenkonsum des späteren Opfers noch für das Verhalten seiner vermeintlichen Freunde.

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Ob die ihn jenseits scheinbarer Lustigkeit mit irgendwelchen anderen Hintergedanken abgefüllt oder ihm gar Drogen in die Wasserpfeife gebröselt haben könnten, das wird das Gericht wohl kaum je ergründen können. Eine Flasche Weißwein soll das Opfer schon auf der Autofahrt aus der Kleinstadt hinein nach Weiden getrunken haben, später floss wohl ziemlich viel von einer Mischung aus Wodka und Orangensaft. Die Angeklagten, die selbst zwischen 22 und 24 Jahre alt sind, sollen den jungen Mann auf dem Weg aus der Bar zum Parkhaus aber noch geführt und gestützt haben, ehe sie ihn dort kurz aus den Augen verloren und dann am Rand des Wassers am Flutkanal wiederfanden.

Diese Darstellung der Staatsanwaltschaft stützt sich auf die Handyaufnahmen aus jener Nacht, und auch der Versuch des Opfers, sich noch einmal aufzurichten, und dann das Hineinsinken in den Kanal mit dem Gesicht nach unten sind da offenbar ziemlich gut zu sehen. Auch ein hilfloses Zappeln scheint erkennbar zu sein. Nur irgendwelche Versuche, dem Freund zu helfen, sind ganz offenbar nicht dokumentiert.

Es wäre wohl nicht schwer gewesen, ihn aus dem seichten Flutkanal zu ziehen

Die Angeklagten wollen noch gesucht und gerufen haben, doch von den Zeugen, die in jener Nacht in der Nähe unterwegs waren, hat davon niemand etwas bemerkt. Teils hätten diese Zeugen selbst sehr gut helfen können, wenn sie denn zu Hilfe gerufen worden wären oder von der Lage, in der sich der junge Mann befand, irgend etwas geahnt hätten.

Schwer wäre es wohl nicht gewesen, ihn aus dem vergleichsweise seichten und trägen Gewässer zu ziehen. Aber mindestens einem der Freunde schien etwas ganz anderes wichtiger zu sein. Er habe offenbar nur mit der jungen Frau aus dem Trio ins Bett gewollt, legt der Staatsanwalt nahe, woraufhin die Verteidiger dessen Ablösung wegen Befangenheit beantragen.

Einen weiteren, ebenfalls abgelehnten Befangenheitsantrag stellt ein Verteidiger gegen einen Beisitzer, der in seiner Funktion als Pressesprecher des Landgerichts in einem Interview mit einem Lokalsender das Wort "ermordet" benutzt und das später richtig gestellt hat. Denn verhandelt wird wegen "Totschlags durch Unterlassen", woraus auch eine "Aussetzung mit Todesfolge" werden könnte. Der Prozess dauert an, als letzter Verhandlungstag ist bisher der 8. Juli festgesetzt.

© SZ vom 23.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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