Tagung:Die Diskussion um die Kita der Zukunft endet in der Gegenwart

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  • Bei einem Fachtag sollte es um die Kinderbetreuung 2050 in Bayern gehen.
  • Der Einfluss der Digitalisierung auf die Kita-Arbeit, die zukünftigen Familienkonstellationen, die Veränderung des Wirtschafts- und Arbeitslebens standen dabei auf der Tagesordnung.
  • Viele der Diskussionen hatten allerdings die zahlreichen Probleme zum Thema, die die Kitas heute haben.

Von Dietrich Mittler, München

Wie sollen Kindertagesstätten im Jahr 2050 beschaffen sein? Keine Frage ist leichter als die, zumindest aus Sicht der Buben und Mädchen im Gemeindekindergarten Rennertshofen. Eine Kita der Zukunft braucht natürlich: "eine Hüpfburg", "ein Gartenhäuschen in groß", "ein Schiff, wo alle Kinder reinpassen", "eine Piratenschaukel" und "viele Roboter".

Die Erwachsenen - darunter ein Zukunftsforscher, Erzieherinnen und Erzieher, Träger von Kindertagesstätten, Väter und Mütter sowie etliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Sozialministeriums - taten sich am Mittwoch im Münchner Konferenzzentrum der Hanns-Seidel-Stiftung deutlich schwerer, darauf Antworten zu finden. Sie alle waren der Einladung des erst im Juni gegründeten "Bündnis für frühkindliche Bildung in Bayern" gefolgt.

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"Wir wollen die Zukunft der Kita gestalten und diskutieren schon heute die Kinderbetreuung von übermorgen", umriss Sozialministerin Kerstin Schreyer (CSU) den Arbeitsauftrag. Natürlich gibt es im Freistaat Institutionen, die fordern, erst einmal die gegenwärtigen Probleme zu lösen, mehr Geld in die Kinderbetreuung zu investieren - sprich "mehr finanzielle Mittel für qualifizierte Fachkräfte an bayerischen Kindertagesstätten bereitzustellen und so dem massiven Personalnotstand zu begegnen", wie es etwa der DGB Bayern verlangt.

In diesem Sinne fordert auch der Verband katholischer Kindertageseinrichtungen: "Über die bisherige Willensbekundung hinaus müssen die umzusetzenden Maßnahmen konkretisiert und mit staatlichen Fördermitteln hinterlegt werden." In Bayern werden bis 2023 rund 19 400 Erzieherinnen und Erzieher fehlen - sowie 10 000 Tagespflegepersonen. Diese Zahlen stammen vom Sozialministerium selbst.

Bayern, so betont indes Kerstin Schreyer, habe in den zurückliegenden zehn Jahren in der Kita-Arbeit nicht nur den Personalstand, sondern auch die Zahl der Ausbildungsplätze verdoppeln können. "Das zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg waren." Aber auch Schreyer ist sich bewusst, dass dies "natürlich nur begrenzt hilft, wenn wir eine Vervielfältigung der Nachfrage haben". Die Kernfrage sei also: "Wie schaffen wir es weiterhin, zusätzliches Personal zu generieren?" Diese Kräfte, an deren Qualifikation die Ministerin keine Abstriche zulassen will, müssten aber auch "anständig" bezahlt werden. Überdies werde bereits daran gearbeitet, Erzieherinnen und Erzieher von Verwaltungsaufgaben zu entlasten.

"Wir haben jetzt schon alle Hände voll zu tun, bis 2025"

Doch zurück zur Zukunft: Der Fachtag "Kita 2050" habe, so Schreyer, das Ziel, "gemeinsam ein Bild dafür zu erarbeiten, wohin die Kindertagesbetreuung in den nächsten 30 Jahren steuert". Es gehe um den Einfluss der Digitalisierung auf die Kita-Arbeit, die zukünftigen Familienkonstellationen, die Veränderung des Wirtschafts- und Arbeitslebens. "Ich wünsche mir einfach mal, dass wir dieses so wichtige Thema in der Größe denken, mit ganz unterschiedlichem Input", sagte Schreyer.

Für einen solchen Input sorgte gleich zu Anfang der Trendforscher Sven Gábor Jánszky. Er zeichnete eine Welt, in der künstliche Intelligenz im Produktionsbereich menschliche Arbeitskraft ersetzen wird. In dieser Phase werde aber der Wert der "Mensch-zu Mensch-Arbeit" wachsen. Jánszky arbeitete auch heraus, dass Software mehr als jetzt schon in der Lage sein werde, menschliche Regungen zu deuten. "Das wird die Arbeit von Erzieherinnen und Erziehern empathischer machen", glaubt er, denn die IT verschaffe ihnen mehr Informationen über die Kinder.

Vier Workshops begaben sich sodann auf die Zukunftsreise. Die Gruppe "Kita 2050 - aus Sicht der Eltern" stellte sich an einem roten Seil auf, einem Zeitstrahl. Sie arbeitete sich zurück vom Jahr 2050 in das Jahr 2019, in dem gerade ein Bub geboren wurde: Noah. 2050 ist Noah selber Vater. Und er soll "digital in die Kita reinschauen können, wie es seinem Kind geht, ohne dass er die Aussage der Erzieher braucht", bestimmen die Mitglieder der Gruppe.

Schwerer mit der Zukunft tun sich die Kita-Träger. "Wir haben jetzt schon alle Hände voll zu tun, bis 2025", sagt einer von ihnen. Wie etwa geht es mit dem Aufbau von Kitas in Ingolstadt weiter, wenn Audi ernsthafte Probleme bekommen sollte - und in der Folge der Zuzug von jungen Eltern und ihren Kindern ausbleibe? Kleine Kita-Träger wiederum, etwa jene unter dem Dach des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, fragen sich bereits jetzt, wie lange sie noch mit den großen Trägern im Ringen ums Fachpersonal mithalten können.

Wie bei vielen literarischen Zukunftsreisen zeigte sich allerdings auch beim Fachtag im Haus der Hanns-Seidel-Stiftung: Solche Trips enden in der Regel wieder in der Gegenwart mit all ihren Problemen. Im Workshop der Erzieherinnen, in dem insbesondere Kita-Leiterinnen aus München bereits genug über den Personalmangel und seine Folgen wissen, schlugen die Wellen hoch. "Ich bin jetzt seit 30 Jahren Kita-Leitung. Jetzt haben wir das Jahr 2019 und diskutieren noch über den gleichen Mist! Es tut sich nichts, wenn wir hier rausgehen", sagte eine von ihnen. Eine andere versöhnlicher: "Ich wusste zwar, dass wir hier keine Antworten bekommen, aber Sie vom Sozialministerium kriegen von uns Ideen für die Gesetzgebung der Zukunft mit."

Wer Menschen lachen sehen wollte, musste in jenen Workshop gehen, der die Sicht der Kinder herausarbeiten sollte - auch wenn dort keine Kinder saßen. "Was braucht denn ein Kind in der Zukunft?", lautete eine Frage. Antwortete eine Mutter: "Volle Akkus, damit alles funktioniert."

© SZ vom 04.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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