Gesundheit:Die Corona-Krise ist "voll angekommen"

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Das Kabinett verbietet Großveranstaltungen und verschiebt Semesterbeginn. Staatliche Konzerthäuser bleiben zu, Starkbierfeste fallen aus. Ministerpräsident Söder will auch keinen Wahlkampf mehr machen.

Von Lisa Schnell, München

Ministerpräsident Markus Söder erläutert nach der Kabinettssitzung in der Staatskanzlei die Pläne der Staatsregierung, mit denen dem Coronavirus begegnet werden soll. Mit dabei sind Gesundheitsministerin Melanie Huml und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Wenn der leidenschaftliche Bierzeltredner Markus Söder Volksfeste verbietet, dann ist die Lage ernst. Wie ernst, das machte der Ministerpräsident am Dienstag nach der Kabinettssitzung klar. "Die Corona-Krise ist voll in Bayern angekommen", sagte Söder über die Ausbreitung des Virus. Einen Anlass zu Panik sieht er nicht, aber "zu sehr ernsthafter Sorge". Um eine Situation wie in Italien zu verhindern, wo das öffentliche Leben vollkommen lahmgelegt ist, verabschiedete das Kabinett einen "Corona-Plan", den Söder mit mehreren Ministern vorstellte.

Er soll zum einen die Ansteckungsgefahr eindämmen, deswegen werden Veranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern verboten, vorerst bis zum Ende der Osterferien am 19. April. Zudem wird der Semesterbeginn an den Hochschulen für Angewandte Wissenschaften sowie an Kunst- und Musikhochschulen auf den 20. April verschoben. Zum anderen soll es Hilfen für die Wirtschaft geben, für die die Krise Söder zufolge "mindestens so groß, wenn nicht größer" ist.

Zunächst zu den Veranstaltungen: Bei mehr als 1000 Besuchern finden sie nicht statt, also keine Fußball- oder Eishockeyspiele, keine größeren Theater- und Opernaufführungen, keine Volksfeste. Bei Sportveranstaltungen gebe es die Möglichkeit, die Spiele ohne Publikum durchzuführen, sagte Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU). Staatliche Theater, Konzertsäle und Opernhäuser sollen vom 11. März an bis zum Ende der Osterferien geschlossen bleiben. Für private Veranstalter, die meinen, die Anordnung mit ein paar Absperrbändern an einigen Stuhlreihen umgehen zu können, hat Söder eine klare Botschaft: "Bei dem Thema trickst man nicht." Ein paar Sitze leer zu lassen, um so auf nur 998 Zuschauer zu kommen, das gehe nicht.

Schulen, die etwa 1000 Schüler haben, seien von der Regelung nicht betroffen, sagte Huml. Es gehe um Freizeitveranstaltungen. Flächendeckende Schulschließungen seien bis auf weiteres nicht geplant. Im Hinblick auf die großen Ostergottesdienste vertraue Huml auf das vernünftige Vorgehen der Kirchen, sagte sie, aber auch dabei könne der Staat eingreifen.

Auch bei Veranstaltungen von 500 bis 1000 Menschen sieht die Staatsregierung ein hohes Risiko. Es gebe klare Empfehlungen des Landesamts für Gesundheit, sagte Söder. Welche das genau sind, können Bürgermeister und Gemeinden von Mittwoch an über eine Hotline des Gesundheitsministeriums erfahren. Generell gelte aber größte Zurückhaltung, sagte Söder: "Im Zweifel lieber absagen." Und ja, das gelte auch für Starkbierfeste, die Söder für "nicht mehr vertretbar" hält. "Starkbier kann man auch in drei Monaten noch trinken." Bei Zusammenkünften von weniger als 500 Menschen solle jeder selbst entscheiden, ob er oder sie das Risiko eingehen wolle. Söder selbst kündigte in der Endspurtphase vor der Kommunalwahl am Sonntag an, keine größeren Wahlkampfveranstaltungen mehr zu machen.

Wer nun etwas ratlos auf seine Opernkarten blickt, der muss sich zwar eine andere Abendgestaltung überlegen, das Geld aber bekommt er zurück, zumindest in staatlichen Häusern. So kündigte es Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU) an, der von etwa vier Millionen Euro sprach, die alleine bei der Staatsoper für Rückzahlungen vorgesehen seien. Auch Nürnberg plane eine ähnliche Regelung. Wie private Veranstalter vorgehen wollen, wurde nicht klar. Huml verwies allerdings darauf, dass die Ansteckungslage durch ein Virus wie Corona rechtlich ähnlich wie Naturkatastrophen als höhere Gewalt einzustufen sei. Kosten, die Veranstaltern nun entstehen, sollten deshalb durch deren Versicherungen gedeckt sein. Auf die Einbußen, unter der die Industrie aufgrund des Coronavirus leidet, dürfte das nicht zutreffen.

Söder nannte die Lage für die bayerische Wirtschaft "sehr ernst". Aus dem Beben an der Börse könne eine neue Banken- und Finanzkrise entstehen. In Kombination mit Corona sei das "toxisch". Auch die Staatsfinanzen wären betroffen. Söder geht von "schweren Steuerausfällen" aus. Der Haushaltsplan müsse nach Mai angepasst werden. Am Ende werde es wohl ein neues Konjunkturpaket brauchen. Der Bund hat ein solches, auch auf Drängen Söders, gerade beschlossen. Wie das bayerische Pendant dazu aussehen soll, müsse "strategisch genau überlegt werden", sagte Söder. Als erste Maßnahme sollen die Bürgschaften der LfA Förderbank für Unternehmen um 100 Millionen Euro erhöht werden. Falls dies nicht reiche, könne "ständig nachgesteuert werden". Die SPD fordert eine Erhöhung auf eine Milliarde Euro.

Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) war von einem Wirtschaftswachstum von rund einem Prozent für 2020 ausgegangen. Dass der Aufwärtstrend durch Corona "derhagelt" werde, sei "jammerschade", sagte er. Mit einem Handelsvolumen von rund 33 Milliarden Euro sei China der wichtigste Handelspartner Bayerns. In der Tourismusbranche gebe es Stornierungsraten von teilweise 50 Prozent. Bis Mai werde es keine Messen mehr geben. Der Freistaat versuche Steuervorauszahlungen zu reduzieren, Stundungen von Steuern sollten zudem nicht mehr mit sechs Prozent bezinst werden. Man bewege sich "an der Grenze des Machbaren".

Ob die Maßnahmen verlängert würden, sei nicht absehbar, sagte Söder. "Wer weiß, was noch kommt?"

© SZ vom 11.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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