Artenschwund:Vogelexperte will bedrohte Arten gezielt nachzüchten

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An der Uferschnepfe hat sich der aktuelle Streit entzündet. (Foto: Frank Derer/LBV)

In anderen Ländern ist dieser "Naturschutz extrem" verbreitet, den der Biologe Norbert Schäffer für Uferschnepfen und andere vom Aussterben bedrohte Arten vorschlägt. In Bayern allerdings gibt es Kritik.

Von Christian Sebald, München

Die Uferschnepfe (Limosa limosa) zählt zu den bedrohtesten Vogelarten in Bayern. Nur noch 19 Brutpaare haben Ornithologen 2021 gezählt - im ganzen Freistaat. Und das obwohl seit 2014 ein millionenschweres Artenhilfsprogramm für Wiesenbrüter läuft, zu denen der große, elegante Watvogel zählt. "Uferschnepfen sind sogenannte Livings Deads, lebende Tote", sagt der Vorsitzende des Landesbunds für Vogelschutz (LBV), Norbert Schäffer, "zwar sind noch einige lebende Exemplare hier bei uns heimisch. Aber sie haben viel zu wenige Nachkommen. Es wird nicht mehr lange dauern, dann ist die Art bei uns verschwunden."

Schäffer will das Aussterben der Uferschnepfe in Bayern unbedingt verhindern. Unter dem Schlagwort "Naturschutz extrem" fordert er ein neues, ebenso radikales wie aufwendiges Programm für die Art. "Wir sollten den wenigen Brutpaaren hier die Eier aus den Gelegen holen und sie künstlich ausbrüten", sagt der LBV-Chef. "Dann sollten wir die Jungvögel aufziehen und sie erst auf geeigneten Feuchtwiesen in die Natur entlassen, wenn sie flügge sind."

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Die Methode wäre ein Novum im Vogelschutz in Bayern. Schäffer will damit sicherstellen, dass aus den Eiern der 19 Brutpaare auch tatsächlich flügge Jungvögel werden. "Die Uferschnepfe ist so akut vom Aussterben bedroht, dass wir es uns nicht leisten können, Gelege zu verlieren", sagt Schäffer - sei es durch ungünstige Witterung, durch Füchse, Marder und andere Nesträuber oder durch Spaziergänger oder Freizeitsportler, die die Vögel so bei der Brut stören, dass diese ihre Gelege aufgeben.

Uferschnepfen waren einst weit verbreitet in Bayern. Die langbeinigen, bis zu 45 Zentimeter großen, schlanken Watvögel haben einen langen, geraden Schnabel, mit dem sie auf feuchten Wiesen der Fluss- und Bachlandschaften nach Würmern und anderem Getier stochern. Am Körper sind sie grau-braun gefiedert, ihr Kopf und die Unterseite sind rostrot und braun gebändert. In Bayern kommen Uferschnepfen nur noch am Regen bei Cham, im mittelfränkischen Wiesmet, an der Altmühl und der Donau bei Straubing sowie im Erdinger Moos und im Bergener Moos nahe Traunstein vor. Auch im übrigen Deutschland ist die Art vom Aussterben bedroht. Der Hauptgrund ist die Trockenlegung von Mooren und anderen Feuchtgebieten für die Landwirtschaft.

Deutliche Kritik an der radikalen Methode

Josef H. Reichholf erhebt Einspruch gegen einen "Naturschutz extrem" für die Uferschnepfe. Der Zoologe und frühere Leiter der Sektion Ornithologie an der Zoologischen Staatssammlung ist einer der führenden Ökologen Deutschlands. "So bedroht die Uferschnepfe bei uns ist, global gesehen sind die Bestände noch gesichert", sagt er. "Wenn die Uferschnepfe bei uns heimisch bleiben soll, müssen wir ausreichend Lebensräume bereitstellen." Also feuchte Wiesen und Moore renaturieren und auf eine extensive, vogelfreundliche Landwirtschaft setzen. "Dann siedeln sich auch wieder welche an", sagt Reichholf. Er beruft sich dabei auf Beobachtungen in seiner Heimat in Aigen am Inn.

Der Grund für Reichholfs Kritik an "Naturschutz extrem": Er hat ebenso ungewisse Erfolgsaussichten wie traditionelle Methoden und ist außerdem extrem personalintensiv und teuer. "Unerfahrene, gerade flügge gewordene Jungvögel dürften eine genauso hohe Ausfallquote haben wie die Brutpaare, bei denen die Brut scheitert", sagt der Zoologe. Denn die Jungvögel sind ja ebenfalls Witterungsunbilden, Fressfeinden und der Rücksichtslosigkeit mancher Menschen ausgesetzt.

Aus Reichholfs Sicht verspricht es mehr Erfolg, "wenn wir das Geld und das Personal, das für einen Naturschutz extrem nötig ist, in die Wiederherstellung der Uferschnepfen-Lebensräume stecken". Schäffer entgegnet, dass "die Uferschnepfen bei uns ausgestorben sind, bis ausreichend Feuchtwiesen und Moore für sie renaturiert sind". Dem müsse man zuvorkommen. "Denn wenn es keine Uferschnepfen mehr gibt, wird keiner mehr ihre Lebensräume wiederherstellen wollen."

Feuersalamander leben in Mischwäldern mit naturnahen Bächen. Die werden immer seltener und müssten besser geschützt werden. (Foto: Boris Roessler/dpa)

Es gibt freilich Arten, bei denen auch Reichholf "Naturschutz extrem" für richtig hält. Den Feuersalamander (Salamandra salamandra) zum Beispiel. Die Lurche werden von einem Pilz namens Bsal bedroht. Er ist so aggressiv, dass Naturschützer um die gesamten Feuersalamander-Bestände in Bayern fürchten. Seit Kurzem läuft deshalb ein Hilfsprogramm für die auffällig schwarz-gelb gefleckte Lurchart.

Der LBV organisiert im Rahmen seiner Möglichkeiten eine "Erhaltungszucht". Dabei werden in Terrarien Feuersalamander aus den verschiedenen Regionen Bayerns gehalten und gleichsam auf Vorrat gezüchtet. Sollte Bsal dann tatsächlich eine lokale Population dahinraffen, hätte man passgenaue Zuchtexemplare, die man freisetzen könnte. "Das macht deshalb Sinn, weil es gegen den Bsal keine andere Möglichkeit gibt", sagt Reichholf. "Die Lebensräume für die Feuersalamander in Bayern sind ja vergleichsweise intakt."

Die natürlichen Lebensräume von Kreuzkröten - trockene, sandige Böden, etwa auf Sand- und Kiesbänken von Bächen und Flüssen sowie an Überschwemmungstümpeln in deren Auen - sind in Bayern fast komplett verschwunden. (Foto: Farina Graßmann/Imago Images)

Ein anderes Beispiel ist die Kreuzkröte (Bufo calamita). Die Froschlurche mit den weißlich-gelben Streifen auf dem Rücken, deren Rufe bisweilen mehr als zwei Kilometer weit zu hören sind, leben auf trockenen, sandigen Böden, zum Beispiel auf Sand- und Kiesbänken von Bächen und Flüssen sowie an Überschwemmungstümpeln in deren Auen. Solche Landschaften sind in Bayern fast zur Gänze verschwunden. Und mit ihnen die Kreuzkröten.

Inzwischen hat sich freilich herausgestellt, dass sich Kreuzkröten in Sandabbaustätten und Steinbrüchen wohlfühlen. Denn dort gibt es genau die Tümpel und Sandflächen, die sie brauchen. "Aber die Vorkommen sind so weit voneinander entfernt, dass es keinen Austausch unter den jeweiligen Kreuzkröten gibt", sagt Schäffer. Der aber ist für eine vitale Population unerlässlich. Also würde der LBV-Chef gerne "kübelweise Kreuzkröten-Kaulquappen" von einem Steinbruch zum anderen verpflanzen, damit sich der Bestand insgesamt stabilisiert. Reichholf findet die Idee gut.

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