Asyl in Bayern:"In der Türkei wird man ja im Moment für alles festgenommen, selbst für einen Like auf Facebook"

Lesezeit: 3 min

Asylantrag erfolglos: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Foto: imago/Future Image)

Ein kurdisches Paar wird in der Türkei zu Gefängnis verurteilt. Nur weil es an einer Demonstration teilgenommen habe, sagt das Paar. Nun droht die Abschiebung.

Von Dietrich Mittler, München/Augsburg

Sinem Mut und ihr Verlobter Anil Kaya blicken in eine ungewisse Zukunft. Ihren Antrag auf Asyl hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abgelehnt. Das kurdische Paar klagte gegen diese Entscheidung vor dem Verwaltungsgericht Augsburg und scheiterte. Ebenso im Berufungsverfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof. Reisen beide nicht bis zum 21. August "freiwillig" aus, so droht ihnen die Abschiebung und danach eine hohe Haftstrafe in der Türkei. Kaya und Mut können es nicht fassen. Freunde, die wie sie aufgrund der gleichen Anklagepunkte und der deshalb zu erwartenden Urteile geflohen seien, hätten etwa in Nordrhein-Westfalen sowie auch in der Schweiz längst einen Aufenthaltstitel.

Für das Augsburger Verwaltungsgericht war das nicht ausschlaggebend. Sowohl bei dem 33-Jährigen als auch bei seiner 29-jährigen Partnerin handele es sich um politisch aktive Personen - was beide auch gar nicht bestreiten. Wohl aber das, was ihnen die türkische Justiz vorwirft: Die Urteile gegen Anil Kaya und Sinem Mut, in denen in ihrer Abwesenheit Haftstrafen von mehr als sechs Jahren verhängt wurden, fußen auf dem Vorwurf der Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation sowie der Propaganda für eine Terrororganisation - in diesem Fall für die Maoistische Kommunistische Partei der Türkei (MKP). Das Paar weist das von sich: "Wir hatten mit der Partei nichts zu tun." Richtig sei nur, dass es sich an politischen Demonstrationen in der Türkei beteiligt habe - aber in keinem einzigen Fall an tätlichen Übergriffen auf Sicherheitskräfte.

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Das Verwaltungsgericht Augsburg schenkt den Angaben des Paares offensichtlich aber weniger Glauben als den vorliegenden Unterlagen - so auch jenen der türkischen Justiz. Es kam bei Kaya zur Überzeugung, "dass der Vorwurf der Mitgliedschaft in beziehungsweise der Propaganda für die MKP" in seinem Fall "zumindest nicht völlig aus der Luft gegriffen ist". Auch bei Mut seien keine objektiven Umstände zu erkennen, die darauf schließen ließen, dass ihr "eine härtere als die sonst übliche Bestrafung" widerfahren sei. "Die in der Türkei gegen uns erhobenen Vorwürfe stimmen nicht", sagt indes Mut. Sie und ihr Partner seien aktive Mitglieder eines legalen und demokratischen Vereins gewesen, sie hätten sich für die Menschenrechte in der Türkei eingesetzt. Von der türkischen Justiz seien ihnen jedoch Querverbindungen zu Gruppierungen unterstellt worden, die auf der Terrorliste des türkischen Innenministeriums stehen. "Die Ungerechtigkeit, die wir in der Türkei erlebt hatten, war offensichtlich", sagt Mut.

Auch Gülseren Demirel, asylpolitische Expertin der Landtagsgrünen, spricht von Urteilen türkischer Gerichte, die "nicht nachvollziehbar" seien. "In der Türkei wird man ja im Moment für alles festgenommen, selbst für einen Like auf Facebook", sagt Demirel, "und bei solchen Festnahmen heißt es dann oft gleich, dass es sich da um Terroristen handele." Außerdem: Das bei dem Paar gefundene Buch, in welchem der Revolutionär Ibrahim Kaypakkaya eine Rolle spielt, stehe auch bei ihr im Regal.

Gülseren Demirel, Asylexpertin der Grünen im Landtag, hält viele türkische Gerichtsentscheidungen "nicht nachvollziehbar". (Foto: Florian Peljak)

Mut und ihr Verlobter machen aus ihrer Enttäuschung über ihre Erfahrungen mit der bayerischen Justiz keinen Hehl. Sie hätten das Gefühl, "als würde man uns in der Türkei verurteilen, als seien wir dort und nicht hier". Sie verstehen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht. Vor allem deshalb nicht, weil auch das Gericht betonte, "dass der von türkischen Behörden und Gerichten angewandte Begriff des ,Terrorismus' unscharf" sei - "und Vorwand für die Bandbreite an Repressalien".

Abgesehen davon sieht das Verwaltungsgericht "keine objektiven Umstände", die darauf schließen ließen, dass sowohl Kaya als auch Mut "eine härtere als die sonst übliche Bestrafung widerfuhr". Beide hätten ihre Furcht vor Verfolgung "nicht glaubhaft gemacht". Außerdem: Eine "flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung" sei bei einer Rückkehr der beiden in die Türkei "nicht zu erwarten". Es bestehe "keine beachtliche Gefahr einer Inhaftierung in der Türkei zu unmenschlichen Bedingungen", die Todesstrafe sei abgeschafft, auch liege bei Kaya "kein Risiko von Folter" vor. Zumindest sieht das Gericht bei ihm keinen Umstand, der die Wahrscheinlichkeit einer Folter erhöhen könnte. Auf Sinem Muts Hinweis, sie sei in einem Frauengefängnis während ihres zweimonatigen Gewahrsams den Übergriffen eines Gefängniswärters ausgesetzt gewesen, ging das Verwaltungsgericht nicht direkt ein, sondern hielt ihr vielmehr entgegen, sie habe sich nach dem Gewahrsam "weitgehend ungehindert beruflich betätigen" können. Auch seien gegen sie Meldeauflagen sowie das Ausreiseverbot im Zuge des Verfahrens wieder aufgehoben worden.

Das Akademikerpaar hatte 2019 auf dem Luftweg die Türkei verlassen und war über die Ukraine nach Deutschland eingereist. Offenbar, nachdem es gewarnt worden war, dass die Gerichtsurteile in der Türkei gegen beide negativ ausfallen werden. "Wir bemühen uns, das Paar zu unterstützen - mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen", sagt die Grünen-Abgeordnete Gülseren Demirel. Helfen könnte Anil Kaya und Sinem Mut etwa auch eine Petition. "Aber das wird ein anstrengender Weg", betont sie.

© SZ vom 09.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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