Bayerischer Humor:Bellen, nicht beißen

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Günter Grünwald: Privat ist er zurückhaltend. (Foto: Johannes Simon)

Günter Grünwald, seit 30 Jahren Kabarettist, ist auf der Bühne brüllend komisch, im Fernsehen nicht. Warum? Ein Besuch bei einem, der im Rampenlicht derb ist, im Leben aber schüchtern

Porträt von Gerhard Fischer

Günter Grünwald hat vier Töchter und einen Sohn. Als der BR-Moderator Werner Schmidbauer den Kabarettisten zu seiner Reihe "Gipfeltreffen" einlud, stellte er ihm diese Frage: "Wenn du mal stirbst, was sollen deine Kinder bei der Beerdigung über dich sagen?" Grünwald antwortete: "Ach, der war nett."

Wer Günter Grünwald auf der Bühne erlebt, dem würde die Vokabel "nett" nicht einfallen. "Derb" schon eher. Am Mittwoch trat er in Augsburg auf, vor fast 1500 Zuschauern. Und ja, er kann derb sein. Als er über die Orangenhaut einer Frau im Swinger-Club redet, fragt er am Ende: "Schläft die im Bett oder in der Obstkiste?" Aber es wäre ungerecht, Grünwald auf grobe Gags zu reduzieren: Er schimpft gegen Rechte und verteidigt Homosexuelle. Er attackiert meistens Proleten, die egozentrisch und dumm durchs Leben marodieren, ohne Rücksicht auf Verluste. Es ist eine Art Notwehr, sie anzugreifen.

"Auf die Leute zugehen - das war noch nie meine Sache."

Günter Grünwald, 59, lebt in der Nähe von Ingolstadt. Als der Fotograf ihn beim Besuch bittet, sich mit dem Stuhl auf die Straße zu setzen, sagt er: "Gut, dass ich nicht am Stachus wohne." Grünwald wohnt in einer Seitenstraße. Anfangs denkt man, er mache immer Späße, etwa als er vom Urinal in seiner Toilette spricht. Kommt jetzt gleich ein Witz mit Urinal und Elmex? Nein, er kommt nicht.

Günter Grünwald ist nicht immer lustig. Warum sollte er? Es fällt auf, dass er zwar aufmerksam, aber zurückhaltend ist. "Auf die Leute zugehen - das war noch nie meine Sache", sagt Grünwald. Er sei schüchtern. In einem Interview hat er mal gesagt, er möge es gar nicht, "bei einem Hochzeitsessen aufzustehen und an den vielen Leuten vorbei auf die Toilette zu gehen".

Trotzdem stellt er sich auf die Bühne. Warum ist das anders? "Ich weiß es nicht", sagt er und lächelt, "und das möchte ich vielleicht auch gar nicht wissen." Falls er der Beklommenheit auf den Grund ginge, etwa mit der Hilfe eines Coaches, "dann kann ich am Ende vielleicht an den Hochzeitsgästen vorbeigehen, aber nicht mehr auf der Bühne stehen." Das ist ein echter Grünwald.

Mit Anfang 30 hatte er Frau und Kinder, aber keine Ausbildung - und keine Angst

Dass er nicht so genau hinschauen will, hat wohl mit seiner Kindheit zu tun - mit seinem Vater, der ihn geschlagen hat. Mag sein, dass das Schüchterne daher kommt. Mag sein, dass er deshalb Sicherheiten braucht und am liebsten in der Nähe seines Heimatortes Ingolstadt wohnt. Mag sein, dass auch seine Verachtung für Autoritäten daher kommt. "Ich wollte mir nichts anschaffen lassen", sagt Grünwald, als es um seine vielen gescheiterten Arbeitsverhältnisse geht.

Er hat die Schule nach der 9. Klasse verlassen, eine Mechanikerlehre abgebrochen, die Handelsschule hingeschmissen. Er machte dann Jobs im Kaufhaus, fuhr Getränke aus, versuchte es mit einem Bioladen und einem Schallplattenladen. Nichts war von Dauer. "Ich hätte allen Grund gehabt, Existenzängste zu haben, aber ich hatte keine", sagt Grünwald. Warum nicht? "Ich weiß es nicht."

Grünwald war kein Klassenclown, er war keine Plaudertasche, aber wenn er auf der Bühne steht wie hier in Karlsfeld, kann das schon clowneske Züge annehmen. (Foto: joergensen.com)

Er war dann Anfang 30, hatte eine Frau und drei Kinder, aber keine Ausbildung. Das Arbeitsamt hatte eine Stelle für ihn, in einer Schuhfabrik in Eichstätt. Irgendwas am Band. Nein, das wollte er nicht.

Er wollte es lieber mit dem Kabarett versuchen. "Ich hatte im Fernsehen Polt gesehen und dachte, der verdient damit sicher so viel Geld, dass er davon leben kann", erzählt Grünwald. Er war kein Klassenclown, er war keine Plaudertasche, aber er hatte einen sehr guten Witz, sehr viel Fantasie und die Fähigkeit, Menschen zu imitieren.

Grünwald sitzt ganz ruhig an seinem Esstisch und erzählt. Er sagt, dass Polt, Karl Valentin, Groucho Marx und W. C. Fields seine Vorbilder seien. "Ich habe nie Inhalte von ihnen geklaut", sagt er, "aber ich habe mir den Aufbau von Gags angeschaut." Er ist achtsam, wartet, bis sein Gegenüber den Satz, den er gerade gesagt hat, niedergeschrieben hat. Er wirkt unprätentiös. Uneitel. Unehrgeizig. Unaggressiv. Es sind viele Uns, und sie beschreiben ihn gut: Er wirkt eher defensiv als offensiv.

Grünwald vereinbart einen Termin mit einer Kneipe in Ingolstadt und schreibt danach sein erstes Kabarett-Programm. Es geht gut. Er spielt dann in Studentenwohnheimen. Es geht wieder gut. "Die Leute lachten, obwohl ich nicht viel Übung hatte, da dachte ich mir: Das ist mein Weg." Ende 1988 bekommt er das Scharfrichterbeil in Passau, das ist der Ritterschlag für jeden Nachwuchs-Kabarettisten. Der Preis beinhaltet auch, dass man im Fraunhofer in München auftreten darf.

Im Frühjahr 1989 steht also ein Mann Anfang 30 im Fraunhofer - und reißt die Karten der Zuschauer ab. Wenig später steht dieser Mann auf der Bühne. "Ich musste damals nicht nur die Karten abreißen, ich habe auch die Stühle aufgestellt", erzählt er. Kabarett an der Basis. Günter Grünwald ist sehr derb an diesem Abend, viel derber als heute. Er sagt, er mache Werbung für "Sackfett". Auf das "Hohoho" aus dem Publikum sagt Grünwald, er müsse jede erdenkliche Werbung machen - er habe schließlich drei Kinder zu ernähren.

Dann reißt er ein Stück schwarzes Klebeband ab und pappt es sich unter die Nase. Ein Hitler-Bart. Heute macht das jeder drittklassige Comedian. Damals musste man sich etwas trauen, um das zu tun. Er brauchte den Bart für einen Sketch gegen Rechts. In dieser Zeit hat er vor allem junges, studentisches Publikum. Manche dachten damals, Grünwald sei subversiv, rebellisch, politisch. Er selbst sagt, er habe keine politische Mission gehabt und "nächtelanges Geschwafel über die Weltrevolution sei ihm zuwider gewesen". Dafür ist er wohl zu bodenständig. Und auch zu klug.

Auf der Bühne ist er witzig, weil er seiner oft absurden Fantasie freien Lauf lässt. (Foto: Claus Schunk)

Seit 2003 hat er seine eigene Fernsehsendung, auf der Bühne ist er lustiger

Er hat den Alltag gezeigt, bloß unwesentlich überspitzt, etwa den besoffenen Hausmeister Bamberger, den Kleinkriminellen Bonzo, die vielen Tanten und Onkel, die egozentrisch und dumm sind. Fast alles hat er sich selbst ausgedacht, für wenige gibt es reale Vorbilder, etwa für seinen Liebling, den Hausmeister Bamberger, der mit der Flasche Bier in der Hand Gott und die Welt erklärt - und kommentiert. Dafür gab es ein Vorbild, den Hausmeister an der Hohen Schule in Ingolstadt.

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Schnell macht Grünwald Karriere, auch wenn er selbst über das Wort Karriere wohl lachen würde. Er tritt in den Neunzigerjahren im Fernsehen auf, bei Kanal fatal und bei den Komikern. Seit 2003 hat er eine eigene Sendung: Grünwalds Freitagscomedy. Allerdings ist er im Fernsehen nicht so lustig wie auf der Bühne.

Zum Beispiel am vorvergangenen Freitag. Da kam er ins Fernsehstudio, stellte sich vor das Publikum, schwadronierte drauf los und war witzig. Aber es ist fast nie komisch, wenn er sich dann mit der Außenreporterin Veronika Bergmann unterhält. Grünwald schickt sie auf den Weihnachtsmarkt oder in die Eisdiele, und dann streiten die beiden. Er nölt. Sie giftet. Am Ende zieht Grünwald den Stecker und das TV-Bild mit der Reporterin weicht einem grauen Flimmern. Auch der gespielte Sketch am Ende der Sendung ist öfters seicht. Warum gibt es diesen Qualitätsunterschied zwischen Bühne und Glotze? Muss es im Fernsehen dem Achtjährigen genauso gefallen wie dem 80-Jährigen, dem Banker genauso wie dem Denker?

"Beim Fernsehen sind halt viele Menschen beteiligt."

Natürlich haut Grünwald seinen Sender nicht in die Pfanne. Er sagt als Erstes, er habe "die absolute Freiheit vom BR - die Fälle, dass ein Unterhaltungschef in den 13 Jahren eine Nummer bedenklich fand, kann ich an zwei Fingern abzählen". Er sagt dann mehrmals, dass Fernsehen halt anders sei, anders funktioniere. "Auf der Bühne quatsche ich zwei Stunden am Stück, da kann man Nummern ganz anders aufbauen." Irgendwann sagt er dann: "Beim Fernsehen sind halt viele Menschen beteiligt, da schwimme ich nicht nur in der eigenen Suppe." So ist das also.

Im Fernsehen lässt die Qualität der Späße von Günter Grünwald manchmal nach. Im Foto mit Kollegin Sabrina Litzinger. (Foto: BR)

Eigentlich hatte Günter Grünwald gesagt, er müsse um 11 Uhr weg. Es ist mittlerweile 11.45 Uhr. Er plaudert jetzt doch. Er spricht darüber, dass er 59 sei, aber die Begeisterungsfähigkeit für manche Dinge nicht verloren habe; für das Gitarre spielen zum Beispiel. "Frank Zappa ist mein großer musikalischer Held", sagt er. Außerdem mag er Emerson, Lake and Palmer. Als Keith Emerson neulich gestorben ist, hat ihn Grünwald rauf und runter gehört - während er seine Kabarett-Texte schrieb.

Grünwald tritt manchmal selbst auf, mit der Late Night Band aus seiner Sendung. "Nur zum Spaß", sagt er. Auf kleinen Bühnen. Man kann sich nicht vorstellen, dass sich Grünwald in seiner Freitagscomedy hinsetzt und auf seiner Gitarre klampft. Er muss nicht zeigen, dass er das auch noch kann.

"Ich bin in Bezug auf die Rechten noch gnadenloser als früher"

Dann redet er noch einmal über sein Programm. Dass er ja doch manchmal politisch werde, etwa wenn es gegen Neonazis gehe. "Ich bin in Bezug auf die Rechten noch gnadenloser als früher", sagt er, "weil sie heute einen gefährlichen Rückhalt in der Bevölkerung haben." Früher seien es nur ein paar Skinheads gewesen; und einige Ewiggestrige am Stammtisch.

Seine Frau hat sich dazu gesetzt. Sie haben sich in einer Buchhandlung kennen gelernt, in der sie gearbeitet hat. Ulrike ist seine zweite Frau, mit ihr hat er den Sohn. Im November wird Günter Grünwald 60. Ist das ein Alter, das ihm Angst macht? "Überhaupt nicht", sagt er. Diese Haltung sei aber keine große Willensleistung, sondern es sei "einfach so". Er hat wohl die Fähigkeit, Dinge einfach hinzunehmen.

Einen wichtigen Satz sagt Grünwald fast am Ende. Er sagt, dass er "mehr über den Instinkt" komme als "über den Intellekt". Das sei vielleicht auch authentischer. Man fährt weg aus dem kleinen Ort bei Ingolstadt und denkt: "Ach, der war nett."

© SZ vom 16.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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