Bayerische Geschichte:Wenn Schätze heimkehren

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Die staatlichen Archive präsentieren neu erworbene Zeitdokumente, die oft jahrzehntelang verschollen waren

Von Hans Kratzer, München

Die Plünderung von Altertümern hat weltweit epidemische Ausmaße angenommen. Mittlerweile werden in manchen Staaten mit den Erlösen aus dem Verkauf von antiken Relikten sogar Kriege finanziert. Andere Räuber versuchen sich durch den Verkauf von gestohlenen Preziosen persönlich zu bereichern. Diese Malaise betrifft längst nicht mehr nur antike Statuen, Schmuck und Grabbeigaben. Schon lange gelten auch alte Aktenstücke und Urkunden, Verträge, Briefe und Karten als begehrte Handelsware. Problematisch wird die Sache freilich dann, wenn solche Schriftstücke aus staatlichen oder kirchlichen Archiven stammen. "Dann muss damit gerechnet werden, dass die angebotene Ware in den Archiven widerrechtlich abhanden gekommen ist", sagt Bernhard Grau, der stellvertretende Leiter der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns. Er hat gerade zusammen mit Johannes Moosdiele-Hitzler eine spannende Ausstellung zum Thema Verlust und Wiedererwerb von verschollenen Archivalien konzipiert. Die meisten der dort präsentierten Fälle, die vom späten Mittelalter bis zu den Sechzigerjahren datiert sind, lesen sich wie spannende Kriminalgeschichten.

Ein bezeichnender Vorfall kam beispielsweise 2015 ans Tageslicht, als neun mittelalterliche Urkunden des Domkapitels Passau, die im Bayerischen Hauptstaatsarchiv verwahrt werden, plötzlich auf der Internet-Plattform Ebay zum Verkauf angeboten wurden. Im Archiv läuteten die Alarmglocken. Eine Prüfung ergab, dass alle Urkunden in den Findbüchern des Archivs verzeichnet waren. Bei der Nachschau stellte sich allerdings heraus, dass sie fehlten. Sofort wurde das Landeskriminalamt eingeschaltet, das beim Anbieter acht Urkunden sicherstellte. Eine Urkunde war bereits in die USA verkauft worden. Wie sich dann herausstellte, waren die Urkunden schon im Krieg aus dem Hauptstaatsarchiv verschwunden. Bei einem Luftangriff in der Nacht auf den 3. Oktober 1943 war das Archiv- und Bibliotheksgebäude an der Münchner Ludwigstraße schwer beschädigt worden. Zerstört wurde auch jener Raum im Südflügel, in dem damals 361 Urkunden des Domkapitels Passau bearbeitet wurden. Sie konnten in der Ruine nicht sofort geborgen werden und galten seither als verloren. Allerdings hatten sich, wie sich herausstellte, Privatpersonen Zugang in die Räume verschafft und die Urkunden mitgenommen.

Neuerwerbung des Hauptstaatsarchivs: Die Brieftasche des seit 1917 vermissten Soldaten Jakob Braun kam 2014 aus England zurück. (Foto: Bayerisches Hauptstaatsarchiv)

Die Staatsanwaltschaft stellte ihre Ermittlungen im Februar 2016 ein, weil dem Anbieter kein Diebstahl nachzuweisen war. Angesichts einer drohenden zivilrechtlichen Auseinandersetzung gab er die Urkunden aber freiwillig an das Hauptstaatsarchiv zurück. Letztlich konnte sogar die in die USA verkaufte Urkunde wieder zurückgewonnen werden.

Ein weiterer in der Ausstellung präsentierter Fall betrifft ein Tagebuch, das der bayerische Leutnant Franz Sauer während des Russlandfeldzugs von 1812 verfasst hat. Sauer zählte zu den wenigen Überlebenden dieser Katastrophe. Obwohl er seine Ausrüstung verloren hatte, blieb sein Tagebuch erhalten. Es war so klein, dass er es die ganze Zeit in einer Tasche seiner Uniform bei sich trug. In winziger Schrift schildert er seine Kriegserlebnisse bis zu seiner Verwundung, die ihn, wie er später bedauerte, "im schönsten Alter schon zum Krüppel" gemacht hatte. Wertvoll sind seine Aufzeichnungen schon deshalb, weil die Truppenakten der bayerischen Armee aus dem Russlandfeldzug verloren sind. Sauers Tagebuch, das vom Hauptstaatsarchiv auf einer Auktion erworben wurde, schließt damit eine Überlieferungslücke.

Gerade solche Exponate seien für die bayerische Politik- und Kulturgeschichte von herausragender Bedeutung, sagt Bernhard Grau. Ulrich Raulff, der Leiter des Marbacher Literaturarchivs, bezeichnet Schätze wie diese als die "Goldreserve des digitalen Zeitalters". Das Problem besteht nur darin, dass Archivalien, die zum Kauf angeboten werden oder im Auktionshandel zur Versteigerung kommen, nicht mehr automatisch an die Archive gelangen. Deren Ankaufsmittel sind begrenzt, die Preise sind aber exorbitant hoch, vor allem wenn es sich um Dokumente aus der Zeit des Nationalsozialismus handelt.

Die Luftaufnahme zeigt Obermedlingen - Teil eines Luftbildarchivs mit 100000 Aufnahmen aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren. (Foto: Bayerisches Hauptstaatsarchiv)

Umso wichtiger war es für das Hauptstaatsarchiv, dass es 2013 den für die Erforschung der NS-Zeit relevanten Teil des Bayreuth-Nachlasses von Wolfgang Wagner als Schenkung übernommen hat. Zudem wurde 2015 im Festspielhaus ein Film aufgespürt und ebenfalls übernommen. Der Streifen, den der 16-jährige Wolfgang Wagner im Sommer 1936 gedreht hat, zeigt Adolf Hitler bei einem privaten Besuch während der Bayreuther Festspiele und belegt die enge persönliche Beziehung, die Hitler zur Familie Wagner pflegte.

Zu den wertvollen Erwerbungen, die in der Ausstellung gezeigt werden, gehören unter anderem das Reisetagebuch des Grafen von Spreti, der 1829 die junge Amélie von Leuchtenberg nach Brasilien begleitet hatte, wo sie Kaiserin wurde. Dann eine Fotosammlung mit privaten Aufnahmen aus dem Hause Wittelsbach, die Patenschaftsurkunde des Freistaats Bayern für die Sudetendeutschen vom November 1962 und der letzte Brief König Ludwigs II. vom 10. Juni 1886. All diese Objekte belegen, dass die von der Politik zum Ankauf zur Verfügung gestellten Mittel gut investiert sind. Oft genug scheitern die Bemühungen der Archivare. 2015 wurde bekannt, dass ein Berliner Auktionshaus eine von Ludwig II. am 25. Januar 1871 unterzeichnete Ratifikationsurkunde versteigerte, also jenen Staatsvertrag, der Bayerns Beitritt zum Norddeutschen Bund besiegelte. Letztlich ging die Urkunde an einen Unbekannten, der das Angebot der Archive überbot. "Damit ist das Stück bis auf Weiteres wieder verschollen", sagt Bernhard Grau. Vermutlich wird es irgendwann wieder im Handel auftauchen, billiger wird es aber gewiss nicht mehr werden.

Die Büste stellt Friedrich Rehse, einen Pionier des zeitgeschichtlichen Sammelns, dar. (Foto: Bayerisches Hauptstaatsarchiv)

Geborgene Schätze. Ausgewählte Neuerwerbungen des Bayerischen Hauptstaatsarchivs. München, Schönfeldstr. 5, bis 30. Juni, Mo-Do 8.30-13.30 Uhr, Führungen: Tel. 089/28638-2530.

© SZ vom 13.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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