Asylpolitik:Knast ohne Konzept

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Noch ist die Eichstätter Justizvollzugsanstalt eine Baustelle. (Foto: Oliver Strisch)
  • In Eichstätt wird das Gefängnis zur Abschiebe-Einrichtung umgebaut.
  • Sie bietet dann Platz für 90 Männer und zehn Frauen und ist die zentrale Stelle in Bayern.
  • Die Mitarbeiter haben keine Ahnung, was auf sie zukommt.

Von Mirjam Uhrich, Eichstätt

Das Eichstätter Gefängnis hat keine Türen mehr, keine Kameras bewachen das Gelände. Sogar das schwere Metalltor steht einen Spalt breit offen und gibt den Blick in den Gefängnishof frei. Dort stapeln sich Drahtrollen, Zementsäcke und Holzpaletten. "Hier ist nichts mehr wie es einmal war", sagt JVA-Dienstleiter Hubert Schlamp, während er über eine Bohrmaschine steigt.

Seine Schuhe hat der Bauschutt schon weiß gefärbt. "In ein paar Monaten tummeln sich hier abgelehnte Asylbewerber, die die Ausreise aus Bayern verweigern. Wir brauchen nur noch neue Böden, neue Decken, neue Heizungen, neue Elektrik."

Der 57-Jährige kommt mit der Aufzählung kaum hinterher. Seine Stimme hallt in den leeren Gefängnisgängen, manchmal verschlucken Bohrgeräusche seine Worte. Von der Decke baumeln Dämmmaterial und Kabel, ein Bügelbrett steht einsam in der Ecke. Es riecht modrig, nach Mörtel und verbranntem Plastik.

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Im März ist der letzte Häftling ausgezogen, ein Jahr später sollen schon die nächsten Häftlinge einziehen. Bayerns zentrale Abschiebe-Einrichtung bietet dann Platz für 90 Männer und zehn Frauen. Das sind fast dreimal so viele Häftlinge wie in der provisorischen Einrichtung in Mühldorf, die bald schließen wird. Bedeuten mehr Zellen künftig auch mehr Abschiebehäftlinge? Hubert Schlamp nickt.

Im ersten und zweiten Stockwerk werden die "Unterkünfte" sein, wie Anstaltsleiter Friedhelm Kirchhoff die Zellen nennt. Die Türen stehen untertags offen. Die Häftlinge können duschen, wann sie wollen, ihre Kameraden beim Tischtennis herausfordern oder auf Sofas zusammensitzen - in derselben Industriehalle, in der Häftlinge bis vor Kurzem noch Spielzeugautos zusammengebaut haben. Der Umbau kostet knapp acht Millionen Euro.

Tischtennisplatten, Sofas: In Eichstätt kursieren schon Gerüchte. Von einer Art "Hotelbetrieb" ist die Rede, der "mit Freizeitgeräten aufgepimpt" werde. Nein, ein Hotel werde es nicht, sagt Schlamp, aber eben auch kein klassisches Gefängnis. "Abschiebehäftlinge sind keine Verbrecher. Sie werden hier nur drei, vier Wochen auf ihr Flugzeug warten." Deshalb gelten andere Haftbedingungen.

Die Frauen bekommen zum Beispiel eine eigene Waschmaschine. "Den Frauen ist es vielleicht unangenehm, ihre Wäsche in die Reinigung zu geben. Aber ein arabischer Mann wird kaum eine Waschmaschine bedienen", sagt Kirchhoff. Das sei natürlich alles nur eine Vermutung. "Wir haben kaum Erfahrung. Wir werden sehen, wie es klappt."

"Wir werden sehen, wie es klappt", sagt Friedhelm Kirchhoff. (Foto: Oliver Strisch)

Kirchhoff redet jetzt nicht mehr von der Waschmaschine, sondern vom ganz normalen Alltag. Von Besuchszeiten oder der Nachtruhe. "Es gibt in Bayern noch keine festen Regeln." Abschiebehaft ist ein Novum, Learning by Doing die Devise. Die Regeln werden wohl Kirchhoff und Schlamp festlegen. "Bei den Besuchszeiten können wir großzügig sein, haben wir uns gedacht. Vielleicht vier Stunden pro Monat", sagt Hubert Schlamp.

Doch die Besuchszeiten sind sein geringstes Problem. Seit Monaten zerbricht Schlamp sich den Kopf über neue Umgangsformen, fremde Sprachen und Kulturen. "Wir sind im Umgang mit schwierigen Personen ausgebildet. Nur kommen jetzt noch Traumata und Sprachprobleme dazu", sagt Schlamp. Dafür gibt es keine Schulung, nur eine neue Sprechanlage: In jeder Zelle wird ein Bildschirm installiert, damit können die Häftlinge telefonieren, fernsehen und Anträge übersetzen.

Die neue Technik mag zwar beim Dolmetschen helfen, aber sie löst keine kulturellen Konflikte. Wie die Gefängniskantine während des Ramadan funktionieren soll, zum Beispiel. Oder wer die Unterwäsche aus der Dusche klaubt. "In Mühldorf haben einige Häftlinge die Angewohnheit, in Unterwäsche zu duschen und die Wäsche dann einfach liegen zu lassen", erzählt Schlamp. "Was mache ich in einer solchen Situation?" Hubert Schlamp hat viele Fragen, aber kaum Antworten.

Was soll mit der Kapelle passieren? Noch so eine Frage. Künftig werden nur drei Prozent der Häftlinge Christen sein, die überwiegende Mehrheit Muslime. "Wir suchen ganz dringend nach muslimischen Seelsorgern, die deutsch sprechen. Aber es ist sehr schwer, jemanden zu finden", erklärt Kirchhoff. Also müssen Notlösungen herhalten. "Viele Muslime nutzen ihre Hafträume zum Beten. Wir müssen nur darauf achten, dass die Toiletten nicht im Osten sind. Direkt vor der Toilette wollen sie nicht beten", sagt Schlamp.

Wenn alles fertig ist, sollen Anfang 2017 die ersten Abschiebehäftlinge einziehen. (Foto: Oliver Strisch)

Auch die Kirchen wollen versuchen, die Situation aufzufangen. In einem Schreiben der Deutschen Bischofskonferenz heißt es: "Die Seelsorge in der Abschiebehaft muss Anwaltschaft für Menschenwürde und Humanität sein." Der Satz hinterlässt Fragezeichen bei Seelsorger Eugen Hartleitner. "Jetzt muss mir nur noch jemand erklären, wie ich diese Anwaltsfunktion für Menschenwürde umsetzen soll. Da bin ich noch gespannt." Seine evangelische Kollegin Astrid Zeilinger vermutet, dass ihre Arbeit wohl auf interkulturellen Dialog und Konzerte hinauslaufen wird.

"Im Prinzip weiß keiner, was Abschiebehaft bedeutet und wie hoch der Aufwand ist", bringt es Haftarzt Florian Weinhofer auf den Punkt. Es gebe keine Vorgaben oder Einrichtungen, an denen man sich orientieren könne. Er sei deshalb noch unschlüssig, ob er seine Arbeit in der Abschiebe-Einrichtung fortsetzen werde. "Ich möchte erst wissen, was das eigentlich für Menschen sind."

Das würde Hubert Schlamp auch gerne wissen. Der Dienstleiter der JVA kennt nur ein paar schwammige Daten: Junge Männer aus den Maghreb-Staaten, Afghanistan oder Sierra Leone werden es hauptsächlich sein. "Die Häftlinge haben nichts zu verlieren, das war bisher anders.

Flüchtlinge kann ich nicht mit vorzeitiger Haftentlassung locken", sagt Schlamp. Manche seien zu allem bereit, treten in Hungerstreik oder verletzen sich mit Rasierklingen, in der Hoffnung, ihre Abschiebung so doch noch verhindern zu können. "Ich nehme an, 90 Prozent sind handsam, aber ein Irrer langt. Wir müssen brutal aufpassen."

Mit dem Umbau werden die Sicherheitsvorkehrungen strenger. Statt bisher 40 werden 120 Kameras das Gelände überwachen. "Wenn wir bedroht werden, müssen wir nur noch laut schreien und mit der Hand gegen die Wand hauen, dann geht der Alarm schon los", erklärt Schlamp. Die Beamten werden von 24 auf 40 Mann aufgestockt, dazu kommen drei Sozialarbeiter und Psychologen.

"Wir brauchen dringend neue Stellen und Fahrzeuge", sagt Polizeihauptkommissar Harald Pinsker. Es sei nämlich Aufgabe der örtlichen Polizei, die Häftlinge zum Gefängnis, zum Arzt, zum Konsulat oder zum Gericht zu begleiten. Einen Teil der Fahrten wird die Bundespolizei übernehmen. Im Moment laufen noch die Planungen, wo sich die Bundespolizisten im Raum Eichstätt niederlassen werden.

Aber warum überhaupt Eichstätt, ein kleiner Ort, fast 30 Kilometer entfernt von der nächsten Autobahn? Eichstätt sei perfekt, weil die Stadt in der Nähe der Flughäfen in Manching und München liege, sagt das Innenministerium. "In Manching ist ein kleiner Militärflughafen, dort werden keine Flüchtlinge abgeschoben.

Die Häftlinge werden zu ganz normalen Linienflügen gebracht, ab München, Nürnberg oder Frankfurt", sagt dagegen Schlamp. Er verzieht das Gesicht. "Die Begründung beißt sich." Nach ein paar Sekunden Stille schiebt er hinterher: "Das ist alles ein bisschen doof gelaufen."

Das ganze Thema sei schwierig und unangenehm, aber er habe keine Wahl. "Den Job will keiner machen", sagt Schlamp. "Jetzt sind wir auserwählt, jetzt ziehen wir es halt durch." Dass seine letzten Berufsjahre noch so spannend werden, habe er nicht geahnt. "Aber ich wollte schon lang eine neue Farbe und ein neues Dach. Das hab ich jetzt geschafft", sagt Schlamp, die Hände in den Hosentaschen, den Kopf im Nacken, den Blick gerichtet auf den bröckelnden Putz und die blätternde Farbe.

© SZ vom 14.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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