Anti-Atom-Demo am AKW Isar 1:"Jetzt reicht's!"

Lesezeit: 3 min

Nach der Atomkatastrophe in Japan reicht es auch den Menschen in Bayern: Bei einer Mahnwache vor dem Atomkraftwerk Isar 1 bei Landshut demonstrierten tausend Menschen für die Abschaltung des Reaktors.

Max Hägler

Wer in ein Wirtshaus mit dem Namen "Am Kraftwerk" kommt, dem kann man eine gewisse natürliche Expertise in Sachen Energiepolitik wohl nicht absprechen. Da sei wirklich was los gewesen am Kraftwerk gerade eben, sagt der junge Mann, als er an diesem Montagabend die Wirtsstube betritt.

Mahnwache gegen Atomkraft und Isar 1: Das Finale eines außergewöhnlichen Tages für Niederaichbach. (Foto: dpa)

So wie der Gast aussieht, ist man gewillt, ihm zu glauben: Groß, breit gebaut, um den Oberarm zieht sich eine große Tätowierung, auf dem T-Shirt steht "Masterrace". Viele Demonstranten seien das gewesen, und ganz schön laut waren die, sagt er. Es klingt beinahe respektvoll. Der Kanonenofen bollert, vor der Theke auf einem zusammengedroschenen Holzklotz liegt ein Hammer. Hau den Lukas vom vergangenen Wochenende, wahrscheinlich. An der Wand hängen zwei Plattencover: Heino und Bonanza.

Wer vor die Tür geht und einmal um die Hausecke hat vor Augen, worum es hier geht: Die beiden Atomkraftwerke Isar 1 und Isar 2. Die Atomdiskussion in Deutschland hat wieder begonnen und sie ist direkt angekommen, hier ein paar Kilometer vor Landshut, mitten in Niederbayern. Am Zaun des Atomkraftwerks, vielleicht zwei, drei Kilometer von dem Lokal entfernt, standen vor einer halben Stunde noch die Anti-Atom-Demonstranten. Wie jeden Montag seit dem Ausstieg aus dem Atomausstieg im vergangenen Jahr, als der alte Reaktor Isar 1 dank eines Entschlusses der schwarz-gelben Bundesregierung in die Verlängerung gehen durfte.

Doch heute, im Angesicht der drohenden Atomkatastrophe in Japan, sind es viel mehr gewesen als sonst. Rund 1000 Menschen haben sich um sechs Uhr abends vor dem Rathaus der Gemeinde Niederaichbach versammelt. "Verantwortung heißt Abschalten", steht auf den Plakaten und natürlich "Atomkraft - Nein Danke!" Kinder rennen umher, alte Leute tragen gelbe Papierlaternen mit dem Radioaktiv-Symbol über die Straße.

Der ÖDP-Chef und Zigaretten-Feind Sebastian Frankenberger hält ein Schild in der Hand: Rauchverbot für AKWs. Auf einer Straße, die parallel zur Isar läuft, zieht der Trupp bis zum Tor 13. Es ist eine beachtliche Zahl, wenn man bedenkt, dass dies hier ist keine so einfache Ich-bin-dann-mal-dabei-Demo ist wie in Großstädten. Wer hier unter der Woche am Dorf mit dabei ist, ist viele Kilometer gefahren: Regensburg, Landshut, Mühldorf, Dingolfing und Freising steht auf den Nummernschildern der Autos und Busse. Der Risikobereich des Atomkraftwerks eben. Eine andere Dynamik sei das heute, ruft Mira Neumeier, als die bunte Menge vor dem dunklen Gittertor zu stehen kommt. Bisher sei man montags immer hier gestanden und habe gedacht: Es wird nichts passieren. Es darf nichts passieren.

Seit der Naturkatastrophe in Japan und den beschädigten Reaktoren dort sei die Situation verändert. Die blonde Schauspielerin und Künstlerin Neumeier hat diese Mahnwache ins Leben gerufen. Als sie den vielen neuen Teilnehmern an diesem Montag erklärt, dass diese Mahnwache ein Ort sei "an den man hingehen kann, um zu sagen: jetzt reichts", da wird die Luft erst von Sirenen, Trillerpfeifen und Trompeten erfüllt. Bis 1000 Menschen nach Leibeskräften "Abschalten!" rufen.

Anti-Atomkraft-Demo in München
:"Abschalten! Abschalten!"

Hitzig ging es bei der Anti-Atomkraft-Demo in München zu: Mehrere tausend Menschen forderten den Ausstieg aus der Atomenergie - und die sofortige Abwahl von Kanzlerin Merkel.

Beate Wild

Es ist, wenn man so will, das Finale eines außergewöhnlichen Tages für Niederaichbach, das für einen Tag all die Diskussionen und Emotionen um Atomkraft widerspiegelt, einschließlich der überraschenden Kehrtwende der Bundesregierung. Viele Niederaichbacher sind in den beiden Atomkraftwerken beschäftigt, mehr als die Hälfte der Gewerbesteuer bekommt Niederaichbach von dem Energiekonzern Eon überwiesen.

Mittags erzählten die Kinder in der Volksschule, dass sie trotz der schlimmen Bilder im Fernsehen keine Angst vor Atomkraft hätten - die Atomkraftwerke hier seien doch die sichersten Europas. Aber untertags ist in dem Ort doch Verunsicherung zu spüren, ausgelöst durch das Atom-Unglück in Japan. Der Bürgermeister spricht von offenen Fragen, die viele Bürger und auch er selbst jetzt hätten angesichts der Katastrophe. Die Erwachsenen auf der Straße reden nicht nur vom Alltag mit dem Atomkraftwerk, sondern - das ist neu - auch von Angst. Auch wenn sie laut und mit Namen noch kaum jemand in Niederaichbach aussprechen will.

Es ist dann überraschend der bayerische Umweltminister Markus Söder, der vermeldet, was wohl nicht nur die Demonstranten, sondern mittlerweile auch viele Menschen in dem Ort mehr als Erlösung empfinden, denn als Arbeitsplatzabbau: Der ältere der beiden Reaktoren, Isar 1, soll abgeschaltet werden in diesem Jahr. Die Demonstranten erreicht die Nachricht mit Verzögerung.

Gerade hat die Menge noch ganz still der Opfer in Japan gedacht. Da erklimmt ein Jugendlicher den Autoanhänger, der als Bühne dient. Im Fernsehen hätten sie erzählt, dass Neckarwestheim in Baden-Württemberg und auch Isar 1 abgeschaltet werden soll. Die Menschen jubeln. Ein Liedermacher singt: "Frau Merkel, kehrt's doch endlich um - und verkauft's uns ned für dumm."

Und Mira Neumeier spottet über die Regierungspolitiker, die nicht nur ein Atomkraftwerk in Baden-Württemberg vom Netz nehmen wollen, sondern auch in Bayern: "Es war ihnen peinlich, dass sie nur Reaktoren in Wahlkampfgebieten abschalten." Für den nächsten Montag verabredet man sich wieder. Gleiche Strecke, gleicher Ort. Solange bis diese und die anderen Buden zugenagelt ist, wie die Demonstranten sagen.

Eine halbe Stunde danach, in der Stube vom Wirtshaus "Am Kraftwerk" rauscht das Radio, die Frequenz ist nicht genau getroffen. Ab und an klingen die Nachrichten von Bayern 3 durch, mit den aktuellen Nachrichten aus Japan. "Ich frage mich ja, was mit dem Meerwasser passiert, das sie gerade in die Reaktoren pumpen", sagt der eine. "Da gibts dann Turbo-Fische", sagt der andere. Pause. "Ich wollte eigentlich auch hinfahren zur Demo", sagt der nächste. - Wieso? - "Ich wohn' direkt daneben."

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Atomkraftwerke in Bayern
:Sechs Reaktoren, vier Standorte

Die aktuellen Geschehnisse in Japan lassen die Debatte um die Laufzeiten von Atomkraftwerken aufleben. Ein Überblick über die bayerischen AKW-Standorte in Bildern.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: