Abschaltung des AKW Grafenrheinfeld:Stationen einer Entfremdung

Lesezeit: 4 min

Wenn die Kühltürme des Atomkraftwerks ausgedient haben, könnte eine neue Gas-Anlage in Betrieb gehen. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld hat dem Dorf in Unterfranken zu ordentlichem Wohlstand verholfen. Im Mai 2015 soll der Meiler abgeschaltet werden - aber niemand sagt den frustrierten Bürgern, was danach kommen wird.

Von Olaf Przybilla, Grafenrheinfeld

Alle drei Exemplare von Gudrun Pausewangs Roman "Die Wolke" stehen derzeit im Regal, trotz Ferienzeit. Wobei die Frau an der Ausleihe in der Gemeindebibliothek Grafenrheinfeld eher glaubt, dass die Bände gerade wegen der Ferien dort stehen. Das Buch, in dem das Wort "Grafenrheinfeld" an prominenter Stelle auftaucht, werde inzwischen wohl vor allem im Unterricht gelesen, vermutet sie. Der Roman hat den Ort bei Schweinfurt berühmt gemacht, noch berühmter als er zuvor schon war. Erzählt wird die fiktive Geschichte einer 14-Jährigen, die zum Strahlenopfer wird, nach einem Unfall im Atomkraftwerk Grafenrheinfeld.

Ein Jahr noch, dann soll dieses Kraftwerk abgeschaltet werden. Wer fragt, was das für den Ort bedeutet, ist in der Gemeindebibliothek ganz gut aufgehoben. Weniger weil dort gleich drei Exemplare des Pausewang-Romans stehen, dazu ein Hörbuch und eine DVD mit der Verfilmung. Die Bücherei des Ortes erzählt vielmehr die Geschichte, was alles ging in Grafenrheinfeld in den vergangenen Jahrzehnten, als sie in den Nachbardörfern über die kommunale Finanzkrise klagten. Mehr als 25 000 Medien kann man in der opulent ausstaffierten Bücherei ausleihen, für einen Ort mit weniger als 3500 Einwohnern ist das enorm. Die Ausleihe kostet nichts, nur für die DVDs müssen die Grafenrheinfelder eine Kleinigkeit berappen. Es gab Zeiten, da hatte diese Bücherei den Preis als tollste Bibliothek Bayerns in ihrer Kategorie quasi abonniert. Das mache einen schon stolz, sagt die Frau an der Ausleihe.

Die Straßen sind wie geschleckt

Und es war ja nicht der einzige Luxus, den sich der Ort leisten konnte. Die Straßen in der Gemeinde sind wie geschleckt, durch den Ort plätschert ein künstlich angelegter Bach, das Rathaus wäre eine Zierde für jede Kreisstadt. Verlaufen können sich Besucher im übersichtlichen Grafenrheinfeld kaum, aber hübsche Wegweiser wollte man sich schon leisten, damit jeder gleich orientiert ist, dass man hier mehr zu bieten hat als die Dampfschwaden am Ortsrand, die man in halb Unterfranken am Horizont erkennen kann. Die Bibliothek, die neue Grundschule, die imposante Kulturhalle, wo die Großen der Szene so selbstverständlich auftreten, als wäre es Würzburg oder Nürnberg. Und der Kindergarten, wo es das dritte Jahr lange gratis gab.

Energiewende in Bayern
:AKW Grafenrheinfeld soll früher vom Netz

Eon bringt Schwarz-Rot bei der Energiewende in Bayern in Bedrängnis: Das AKW Grafenrheinfeld soll bereits Ende Mai 2015 stillgelegt werden - sieben Monate früher als geplant.

Überhaupt die Bevölkerungsentwicklung. Die Zahl derer, die in einem Ort mit Atomkraftwerk leben wollen, hat in den vergangenen Jahrzehnten nicht abgenommen. Die Bauplätze für junge Familien waren immer begehrt, sagt Ludwig Weth, und ein bisschen dürfte das wohl an den Annehmlichkeiten gelegen haben, die das Leben im Schatten eines Atommeilers geboten hat.

Weth ist Zweiter Bürgermeister der Gemeinde und einer derjenigen, die sich in den letzten Jahren am wenigsten verbiegen mussten im Ort: als mal die Laufzeiten verlängert werden sollten, nach Fukushima plötzlich alles anders war und vor vier Wochen durchsickerte, dass der Meiler jetzt rascher abgeschaltet wird, als alle erwartet hatten. Weth hat in dieser wechselvollen Zeit immer seinen Standpunkt vertreten: Ja, man profitiere von der Gewerbesteuer. Aber nein, die Frage der Endlagerung sei nicht geklärt, deshalb Ausstieg, je früher desto besser. Er sei schon auch angefeindet worden im Ort, sagt Weth.

Natürlich wird es jetzt Einschnitte geben. Andererseits habe man sich schon seit zwei Jahren vorbereiten können darauf, "seit Eon keine Gewerbesteuer an die Gemeinde mehr zahlt", sagt Bürgermeisterin Sabine Lutz. Die Grund- und Gewerbesteuersätze wurden sachte angehoben und für den Kindergarten zahlen Eltern aus Grafenrheinfeld künftig fünf Euro mehr.

ExklusivStilllegung von AKW
:Eon bringt Bayern beim Atomausstieg in die Bredouille

Schon im Frühjahr 2015 plant der Energiekonzern die Stilllegung des Reaktors Grafenrheinfeld - ein halbes Jahr früher als vorgesehen. Das könnte die Energieversorgung in Bayern gefährden. Möglicherweise sollen die Stromkunden für den Weiterbetrieb zahlen.

Von Michael Bauchmüller, Berlin, und Mike Szymanski

"Alles noch konkurrenzlos günstig", sagt Weth. Und trotzdem habe sich die Stimmung im Ort gewandelt. Galt der Kraftwerksbetreiber den meisten Grafenrheinfeldern lange als großer Bruder, der das Dorf reich und schön gemacht hat, kam man zuletzt immer häufiger ins Grübeln. Erst wollte Eon zehn Millionen Euro an Gewerbesteuervorauszahlungen zurück. Und inzwischen fühlen sich viele einfach schlecht informiert: Wie lange werden sie noch mit dem Zwischenlager leben müssen? Wann kommen die längst angekündigten zehn Meter hohen Schutz-Mauern? Wird in der Umgebung ein Gaskraftwerk entstehen, und wenn ja in welcher Größenordnung? Vor allem aber: Wird der radioaktive Bereich des Werks nach dem Abschalten für Jahrzehnte einbetoniert, ehe die Abrissbirne kommt?

Die Stimmung im Werk ist getrübt

Oder beginnt 2015 der Rückbau, was für die etwa 300 Angestellten im Werk bedeuten könnte, dass sie noch gebraucht werden. "Wir werden sparsam informiert", sagt Weth, die Ungewissheit habe seit dem Beschluss abzuschalten eher zugenommen. Wie es weitergeht in Grafenrheinfeld? Eine Eon-Sprecherin teilt mit, dazu könne man "keinerlei Informationen geben", weil es "darüber im Unternehmen keine Entscheidungen beziehungsweise konkrete Planungen" gebe. Ein Jahr vor dem Abschalten.

Gerhard Riegler kennt die Klagen, aber er wirbt auch um Verständnis. Riegler war von Beginn an dabei, er hat am Bau des Kraftwerks "quasi noch mitgebuddelt", sagt er. 1981 war das, seither arbeitet der CSU-Gemeinderat im Meiler, inzwischen unterweist er Angestellte im Strahlenschutz. Der Beschluss, früher abzuschalten, habe die Leute im Kraftwerk "schon getroffen", sagt Riegler. Die Stimmung sei getrübt, zumal keiner wisse, ob er 2015 noch gebraucht werde. Auf das Werk aber lässt er nichts kommen: Mehr als 30 Jahre läuft einer der leistungsstärksten Reaktoren der Republik, aber einen "wirklich ernsthaften Störfall" habe es nie gegeben. Da habe das Unternehmen schon einen Vertrauensvorschuss verdient, findet Riegler.

Demnächst sollen wieder "sämtliche Schrauben im Werk umgedreht werden", sagt Riegler, die wohl letzte große Revision steht an. Etwa 1000 Montagearbeiter werden dann wieder für einige Wochen im Ort sein, für die Grafenrheinfelder muss sich das in etwa so anfühlen wie für die Bayreuther während der Festspielzeit. Alle Gasthäuser sind dann voll, die Betten belegt. "Auch hier werden wir künftig Einbußen haben", sagt Bürgermeister Weth.

© SZ vom 24.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: