Winterdienst:Durch die weiße Wüste

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Mit einem Pflug auf Schienen versucht die Bahn die Gleise vom schweren Schnee zu befreien

Von Matthias Köpf

Es ist noch keine Stunde her, dass hier der letzte Zug gefahren ist, aber jetzt sieht die Strecke vor Wolfgang Krüger schon wieder aus wie eine ziemlich breit geratene Loipe. Aus dem blank polierten Braun der Schienen sind zwei weiße Spuren geworden, die sich durch eine scheinbar endlose Wanne aus Schnee ziehen. Dort, wo sonst ein schmaler Weg die Gleise kreuzt, ist der Bahnübergang nur an den Spitzen der Andreaskreuze zu erkennen, sonst ist alles weiß. Wolfgang Krüger drückt trotzdem die Taste für das Horn. Das Signal mit dem "P" schreibt es vor, auch wenn der schrille Warnton höchstens ein paar Vögel aufschreckt. Albert Brunbauer und Andreas Steiert, die links und rechts von ihm im Führerstand sitzen, halten ihre Blicke stoisch auf die schmalen Streifen neben den Gleisen konzentriert, die Hände immer an den abgegriffenen Hebeln für die Hydraulik, mit der sich die seitlichen Schaufeln heben, ausstellen oder einholen lassen. Am Übergang müssen sie einholen, um Schäden an den Signalmasten oder den Seilzügen zu vermeiden. Schließlich wollen sie die Lage nicht noch schlimmer machen, als sie sowieso schon ist.

Denn am Anfang der Woche hat es noch einmal geschneit hier im Oberland, und prompt fielen bei der Bayerischen Oberlandbahn (BOB) wieder Züge aus, wie schon an vielen Tagen seit Jahresbeginn. Der Zug, der gerade noch hier entlang Richtung Schliersee gefahren ist, war ebenfalls wieder verspätet, aber das liegt auch an dem Räumzug, mit dem Wolfgang Krüger, Albert Brunbauer und Andreas Steiert gerade das Gleis freimachen. Täten sie das nicht, wäre es mit dem Bahnbetrieb hier aber schnell wieder ganz vorbei. Denn wenn der schwere Schnee, den der Pflug jetzt in hohen Bögen zur Seite spritzen lässt, stattdessen auf der Trasse festfrieren würde, dann könnte niemand mehr sicher sein, dass nicht irgendwann doch eine eisige Rampe eines der vergleichsweise leichten Triebfahrzeuge der BOB aus dem Gleis hebt. In den Bahnhöfen sind die Schürfspuren der Bodenwannen im festen Eis gut zu sehen. Und wenn erst einmal ein Triebwagen irgendwo liegen bleibt, dann bricht der Betrieb im weitgehend eingleisigen Netz der BOB schnell ganz zusammen. Dann kommt auch der Räumzug nicht durch, und alles versinkt in weißer Stille.

Ein Räumzug der DB durchs Oberland ist mit fünf Leuten besetzt: Drei bedienen den Pflug, einer steuert die Lok, ein Ortskundiger lotst das Gespann durch die Eigenheiten des BOB-Netzes. (Foto: Matthias Köpf)

Wie anfällig die Strecken südlich von Holzkirchen sind, hat sich nicht nur im Januar gezeigt, als die BOB an zehn Tagen überhaupt nicht fuhr. Auch jetzt besteht ein großer Teil des Tages für Wolfgang Krüger, Albert Brunbauer und Andreas Steiert aus Warten. Sie sitzen dann in ihrem überheizten Führerstand und rufen hin und wieder beim Fahrdienstleiter an, wann es weitergeht. Doch der lässt erst den Zug nach Schliersee vorbei, und dann muss auch noch der Gegenzug passieren, denn es gibt ja nur ein Gleis. In Schliersee müssen im Führerstand minutenlang Formulare ausgefüllt werden, denn an einem Bahnübergang gibt es eine technische Störung. Wenn es dann weitergeht, bleibt den Schneeräumern oft nur der Blick zurück, so wie auf der Weiterfahrt nach Bayrischzell. Dann zieht die 70 Tonnen schwere, mit einem Fahrer von der DB und einem ortskundigen Lotsen von der BOB bemannte Diesellok den Pflug hinter sich her. Erst auf der Rückfahrt Richtung Schliersee ist dann wieder der Pflug vorne und kann rumpelnd seine Arbeit tun, sein eigener Dieselmotor treibt mit stetem tiefem Sirren nur die Hydraulik an.

In Bayrischzell werden jetzt Özkan Reis und seine Kollegen in ihren übergezogenen Warnwesten wieder zu Pickel und Schaufel greifen und die vom Pflug zugeschütteten Weichen von Schnee und Eisbrocken befreien. "Ich hab noch nie im Leben so viel Schnee gesehen", sagt der 22-jährige Münchner Reis. Insgesamt 22 Menschen werden dem Pflug in den nächsten Stunden mit der Hand hinterherräumen, außerdem fährt am späten Abend noch eine Schneefräse auf Schienen die Bahnsteigkanten ab.

Wolfgang Krüger prüft sein Gerät, denn jeder herabfallende Brocken kann Weichen blockieren. (Foto: Matthias Köpf)

Der Mann, der für all das verantwortlich ist, heißt Herbert Scheller und bräuchte eigentlich Urlaub. Als Regionaler Netzleiter bei der DB Netz AG ist er für 2500 Kilometer Regionalbahnstrecken in Bayern zuständig, darunter die der BOB. Auch wenn er selbst das so nie sagen würde: Scheller verwaltet den Mangel an Material und Personal. Seit Anfang Januar arbeiten er und seine Leute im Krisenmodus. Dass so viel so schwerer Schnee fallen würde, habe sie schon überrascht, gibt er zu. Und irgendwann habe man dann eben eine Entscheidung treffen müssen. Die fiel dafür aus, den Fernverkehr und den S-Bahn-Verkehr in München aufrecht zu erhalten. Dafür hat die DB Netz zeitweise das Oberland und andere Regionalbahnen preisgegeben. Jetzt arbeiten sich Wolfgang Krüger, Albert Brunbauer und Andreas Steiert hier durch. Denn der nächste Schnee wird kommen, der nächste Winter auch. Ab 2020 soll die BOB bessere Triebfahrzeuge bekommen, für 2021 kündigt Scheller für Schliersee und Bayrischzell eine elektrische Stellwerkstechnik an. Bis dahin müssen Albert Brunnbauer und Andreas Steiert genau auf die alten Seilzüge neben den Gleisen achten. Özkan Reis und seine Kollegen werden sie gleich freischaufeln.

© SZ vom 16.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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