Videokameras im Auto:Wann die Dashcam zum Einsatz kommen darf

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Die günstigsten Dashcams kosten zwischen 20 und 30 Euro. Doch ihr Einsatz ist höchst umstritten. (Foto: dpa-tmn)
  • Seit einem Gerichtsurteil wird wieder über Videokameras diskutiert, mit denen aus der Windschutzscheibe gefilmt werden kann.
  • Im verhandelten Fall wurden die Bilder dieser Dashcam als Beweismittel zugelassen.
  • Die Rechtslage ist diffus, sowohl Datenschützer als auch Verkehrsanwälte und Richter wünschen sich Klarstellungen.

Von Thomas Harloff

In Russland gelten Dashcams als gängiges Autozubehör. Mit den kleinen Videokameras, die an der Windschutzscheibe oder auf dem Armaturenbrett (englisch: dashboard) befestigt werden, lassen sich kleine und große Autofahrersünden dokumentieren. Falls etwas passiert, sollen die Bilder zeigen, wer schuld war.

Offenbar haben auch immer mehr deutsche Verkehrsteilnehmer das Bedürfnis, ihre Erlebnisse auf den Straßen filmisch festzuhalten. Der Kamerahersteller Rollei, in Deutschland Marktführer, verkaufte 2014 nach eigenen Angaben etwa 75 000 Dashcams, 6000 mehr als im Jahr zuvor. Insgesamt wurden in Deutschland im vergangenen Jahr mehr als 150 000 Dashcams verkauft - ein neuer Rekord.

Die günstigsten Geräte kosten zwischen 20 und 30 Euro. Sie zeichnen die Bilder in HD-Auflösung (1280x720p) auf. Mehr Technik, Ausstattung und Speicherplatz geht immer. Bessere Apparate im dreistelligen Eurobereich bieten etwa eine Full-HD-Auflösung (1920x1080p). Manche filmen nicht nur nach vorne, sondern auch den Innenraum. Highend-Dashcams reagieren gar auf Erschütterung, wenn das Auto geparkt ist - und filmen beispielsweise Parkrempler.

Dashcam-Video als Beweismittel

Seit einigen Tagen verzeichnen die einschlägigen Händler und Elektronikmärkte noch höhere Absatzzahlen als sonst. Grund ist ein Urteil des Amtsgerichtes Nienburg in Niedersachsen, in dem ein Autofahrer wegen Nötigung samt fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs sowie Beleidigung zu einer Bewährungsstrafe von acht Monaten sowie zehn Monaten Führerscheinentzug verurteilt wurde (Az: 4 Ds 155/14, 4 Ds 520 Js 39473/14 (155/14)). Als Beweismittel dienten nicht nur Zeugenaussagen, sondern auch die Dashcam-Aufzeichnungen des Geschädigten.

Das ist ungewöhnlich, denn ob solche Videokameras von Autofahrern überhaupt benutzt werden dürfen, ist höchst umstritten. Vor allem Datenschützer haben mit ihnen ein erhebliches Problem. Sie fürchten, dass Autofahrer mit den Dashcams alles und jeden aufnehmen und sich dann entscheiden, für welche Zwecke sie das Video nutzen - vielleicht sogar, für jeden frei zugänglich, im Internet veröffentlichen. Dieses anlasslose Aufzeichnen sei ein erheblicher Eingriff in die Rechte unbeteiligt Gefilmter, die heimliche Videoüberwachung verstoße gegen das Bundesdatenschutzgesetz.

Vor allem in Bayern wird das Gesetz rigoros umgesetzt. Wer im Freistaat mit aktivierter Dashcam erwischt wird, dem drohen im Extremfall bis zu 300 000 Euro Bußgeld. Die Polizei hat in Kooperation mit Datenschützern schon einige Verfahren gegen filmende Autofahrer bewirkt.

Verkehrsanwälte raten von Dashcams ab

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In Russland Alltag, hierzulande in der Kritik: Videokameras auf Armaturenbrettern oder an Frontscheiben können bei Autounfällen Beweise liefern. Das Verwaltungsgericht Ansbach hat den Einsatz von Dashcams nun unter bestimmten Bedingungen für unzulässig erklärt.

Thomas Kranig, Präsident des Bayerischen Landesamtes für Datenschutzaufsicht, kann trotz dieser strikten Haltung mit dem Nienburger Urteil leben: "Die dort vorgenommene Interessensabwägung widerspricht nicht unserer gängigen Praxis beim Datenschutz", sagt Kranig. Das erscheint paradox, doch ein entscheidendes Detail besänftigt den Datenschützer: Der bedrängte Fahrer schaltete die Dashcam erst ein, als er genötigt wurde. Darin sah der Richter "rechtmäßiges" und "anlassbezogenes" Handeln und war froh, bei der Urteilsfindung mehr Beweise zu haben als die gegensätzlichen Zeugenaussagen.

Sollten sich Autofahrer nun also eine Dashcam anschaffen und nur bei Bedarf einschalten, sobald sie dokumentieren müssen, dass ihnen Unrecht widerfährt? Verkehrsanwältin Daniela Mielchen rät davon ab, eine Dashcam zu benutzen. Sie verweist auf ein Urteil des Verwaltungsgerichtes Ansbach vom August 2014 (AN 4 K 13.01634). Das Filmen mit einer Dashcam sei demnach "in den allermeisten Fällen unzulässig" und kann, wie das Beispiel Bayern zeigt, sehr teuer werden. Außerdem könne man sich damit nur allzu leicht selbst belasten.

Die Begründung des Verwaltungsgerichts Ansbach: "Grundsätzlich sind die Datenschutzinteressen der heimlich Gefilmten höher zu bewerten als das Interesse des Autofahrers an einem Videobeweis für den Fall eines Unfalls", sagte der Kammervorsitzende Alexander Walk. Der Nienburger Richter urteilte dagegen nur wenige Monate später, dass die "abstrakte Furcht vor allgegenwärtiger Datenerhebung und dem Übergang zum Orwell'schen Überwachungsstaat nicht dazu führen dürfe, dass den Bürgern sachgerechte technische Hilfsmittel zur effektiven Rechtsverfolgung vorenthalten werden".

Zwei Richter, zwei völlig gegensätzliche Meinungen und Rechtsauslegungen? Das ist nur auf den ersten Blick der Fall. "Obwohl strenger Datenschutz richtig ist: Die Justiz muss alle Beweise verwerten dürfen, wenn keine anderen mehr zur Verfügung stehen - auch wenn sie unzulässig aufgenommen wurden", erklärt Verkehrsanwältin Mielchen. Eine Praxis, die zuletzt in anderen Fällen öffentlich diskutiert wurde: beispielsweise bei der Überführung von Steuersündern, auf die die Justiz durch unrechtmäßig erstellte Steuer-CDs aufmerksam wurde.

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Datenschutz auf der einen, willkommene Beweise auf der anderen Seite: Zu solchen Interessensabwägungen im Einzelfall dürfte es künftig öfter kommen, denn die deutschen Gesetze bleiben in Sachen Dashcams - und Datenschutz allgemein - diffus. "Wir haben eine komplett ungesicherte Rechtslage", sagt Mielchen. "Das Datenschutzrecht ist immer auslegungsfähig und man weiß nie, was ein Richter daraus macht." Deshalb müsse es unbedingt geändert und in Bezug auf das Verkehrsrecht viel konkreter gefasst werden. Mielchen geht davon aus, dass hier in den kommenden zehn Jahren nachgebessert werde.

Auch Datenschützer Kranig hält eine Klarstellung für sinnvoll. Nicht nur in Deutschland, sondern innerhalb der EU. Doch die kulturellen und demzufolge auch die rechtlichen Unterschiede in Bezug auf Videoüberwachung sind groß. "In England gibt es Versicherungsverträge, die Autohalter dazu verpflichten, mit Dashcam zu fahren", sagt Kranig. In Österreich sei das Thema dagegen noch strenger geregelt als in Deutschland. "Stellen Sie sich vor, ein Engländer fährt nach Österreich: Das hat Konfliktpotenzial."

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Die EU-Kommission hat sich des Themas angenommen und erarbeitet derzeit eine Datenschutzgrundverordnung. Sie hat bereits einen entsprechenden Gesetzesvorschlag vorgelegt, über den die Innen- und Justizminister im Juni debattieren werden. "Wenn diese Verordnung kommt, dann ist das ganze deutsche Datenschutzrecht unwirksam", sagt Kranig. Wann die EU-Datenschutzverordnung Realität wird, ist jedoch offen, schließlich müssen konträre Positionen wie die der Briten und Österreicher unter einen Hut gebracht werden.

Es wird also auf absehbare Zeit verzwickt bleiben - und läuft vor Gericht wie bei den Autofahrern auf eine Interessenabwägung hinaus. Wer die Kameras einsetzt, sollte sich zumindest gute Argumente überlegen - vor allem gegenüber bayerischen Polizisten.

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