Der Europaparlamentarier Michael Theurer ist üblicherweise ein energischer, aber zurückhaltender Mensch. Jetzt aber platzt dem FDP-Politiker aus Baden-Württemberg der Kragen: "Skandalös" sei die Sturheit, Ignoranz und Verzögerungstaktik der EU-Kommission angesichts "der akuten Gefahrenlage".
Grund für die ungewöhnliche Aufregung bei Theurer: Schon jetzt seien Tausende Fahrzeuge mit dem "Killer-Kältemittel" R1234yf auf Europas Straßen unterwegs - und die EU schaue tatenlos zu.
Wie andere Politiker und vor allem Autoingenieure sieht Theurer eine neue Chemikalie als lebensgefährliches Risiko: R1234yf, ein farbloses Gas, das als sogenanntes Kältemittel in Auto-Klimaanlagen eingefüllt wird. Als Vorgabe der EU. Das Gas ist zwar weit weniger schädlich für das Weltklima als das bisherige Kältemittel mit ähnlich kryptischem Namen. Doch hat sich vor allem durch Untersuchungen des Autoherstellers Daimler herausgestellt: Das Mittel ist brandgefährlich, im Wortsinne: Bei einem Unfall könnte es austreten und sich im Brandfall in Giftgas und ätzende Flusssäure verwandeln. Daimler hat das bei eigenen Prüfungen geschafft und R1234yf aus seinen Fahrzeugen verbannt. Untersuchungen der TU München haben die Gefahren jüngst bestätigt, während die Chemiehersteller natürlich heftig widersprechen.
FDP-Mann Theurer will Klarheit: Welche Verbindungen gibt es zwischen EU und Industrie?
Theurer hat deshalb nachgehakt und darauf gedrungen, dass die EU-Norm geändert oder zumindest ausgesetzt wird, die künftig die Verwendung von R1234yf vorschreibt. Doch seine Anfrage bleibt ohne Erfolg: Es gebe "keinen Beweis für eine ernsthafte Gefahr durch die Verwendung des Kältemittels in mobilen Klimaanlagen unter normalen und vorhersehbaren Verwendungsbedingungen", behauptet nun EU-Industriekommissarin Elżbieta Bieńkowska. Und: Die Kommission habe zu "keinem Zeitpunkt" zusätzliche Prüfverfahren einführen wollen. Das bezieht sich wohl auf den Test von Daimler, der nicht unter normierten Laborbedingungen zu dem so überraschenden wie gefährlichen Unfall führte.
Insgesamt also die gleiche Antwort wie in den vergangenen Monaten aus Brüssel. Und diesmal noch mit großem Verzug: Ein Monat verspätet kam die Antwort; das passiert im EU-Apparat extrem selten. War das wirklich nur dem Wechsel an der Spitze des Kommissariats geschuldet oder waren vielleicht zeitaufwendige Abstimmungen mit den Herstellern von R1234yf dafür mitverantwortlich?
Dupont und Honeywell als Monopolanbieter
Auch die Formalia tragen dazu bei, dass Theurer nun eine erneute Anfrage stellt, wie er der Süddeutschen Zeitung sagte. Er will nun eine Erklärung über sämtliche Industriekontakte der beteiligten Mitglieder der Kommission. Spannend dabei: Wer hatte welche Kontakte mit den Chemiekonzernen Dupont und Honeywell, die als Monopolanbieter mit dem neuen, von ihnen patentierten Kältemittel ein Milliardengeschäft machen?
Urteil im Kältemittel-Streit:Daimler darf Kompaktmodelle in Frankreich verkaufen
Entscheidung im Streit um das Kältemittel R1234yf: Die A-Klasse und andere Kompaktfahrzeuge von Daimler dürfen auch weiter in Frankreich verkauft werden. Das oberste Verwaltungsgericht in Paris beendete den Zulassungsstopp für Mercedes-Modelle.
Angesichts der Ungereimtheiten formiert sich der Widerstand mittlerweile parteiübergreifend. Die Angelegenheit müsse etwa auch vom Wettbewerbskommissar beleuchtet werden, fordert Michael Cramer, Grünen-Abgeordneter im Europaparlament, der wie viele Umweltverbände für den Umstieg auf CO2 als Kältemittel plädiert und bis dahin das alte Mittel in den Klimaanlagen sehen will: Das ist zwar klimaschädlicher - aber ungiftiger für Menschen. "Wir müssen parteiübergreifend daran arbeiten, dass die Kommission den Rechtsrahmen ändert", sagt Cramer. Es könne doch nicht sein, dass man erst auf einen tödlichen Unfall warten müsse, bis R1234yf verboten werde.