Manchmal sagt ein Name schon alles. Real Driving Emissions (RDE), so heißt das neue Verfahren in Europa, mit dem künftig die Abgase von Dieselfahrzeugen ermittelt werden. Geprüft wird also, was auf der Straße (real driving) an Stickoxiden wirklich aus dem Auspuff kommt. Ein entlarvender Titel, denn wenn Straßentests real sind, was sind dann die anderen Tests?
Längst weiß man: Was bisher im Labor gemessen wurde, waren geschönte Werte, die nur der Autoindustrie nutzten. Weil Hersteller wie Daimler, Fiat, Opel oder VW sich auf diese Weise hohe Ausgaben für eine gründliche Abgasreinigung sparen konnten. Mit RDE, sagt die Europäische Union (EU), werde es besser. Schön wär's.
CO₂-Messungen von Benzinern finden weiter im Labor statt
Trotz des neuen Prüfverfahrens bleibt noch viel zu tun. Das ist nach Informationen von SZ, NDR und WDR die Erkenntnis aus mehreren vom Bundestag angeforderten Gutachten. Der größte Mangel: Bei Benzinern wird weiter im Labor gemessen, wie viel Kohlendioxid (CO₂) sie in die Luft pusten. CO₂ ist jenes Treibhausgas, das hauptsächlich zur Aufheizung der Erde führt. Je mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre geblasen wird, desto schlechter ist das für die Menschheit.
Je genauer gemessen wird, was der Straßenverkehr dazu beiträgt, desto schlechter ist das aber für die Autoindustrie. Den Herstellern drohen in der EU Strafen in Milliardenhöhe, wenn sie die ab 2020 geltenden Grenzwerte nicht einhalten. Die Geldbußen wären freilich nur dann fällig, wenn ungeschönte Prüfergebnisse vorlägen. Konzerne wie BMW und Daimler würden auf diese Weise mehr denn je unter Druck geraten, sich mehr für die Umwelt einzusetzen.
Auch bei RDE gibt es "Unzulänglichkeiten"
Etwa zehn Gutachten hat der vom Bundestag auf Betreiben der Grünen und der Linken eingesetzte Untersuchungsausschuss angefordert, der die Abgasaffäre umfassend aufklären will. Am 9. September sollen die Experten im Parlament erzählen, was sie wissen über manipulierte Tests bei VW und anderswo und über das jahrelange Versagen von Behörden und Politik ( die SZ berichtete in der Wochenendausgabe). Und was sich ändern muss, damit zum Schutz von Mensch und Natur weniger Stickoxide und weniger CO₂ aus den Auspuffen kommt. Am wichtigsten, so ein Fazit, wären noch bessere Prüfverfahren, als sie derzeit vorgesehen sind.
Auch bei RDE gebe es "Unzulänglichkeiten", warnt Peter Mock vom ICCT, einer Organisation, die sich für einen sauberen Verkehr einsetzt. Das ICCT war in den USA an der Enthüllung der Volkswagen-Manipulationen beteiligt. Mock schreibt, bei RDE würden die in der Regel sehr hohen Emissionen beim Start der Autos nicht berücksichtigt. Außerdem sei geplant, den bei einem "anspruchsvollen" Fahrverhalten ermittelten Stickoxid-Ausstoß anschließend auf dem Papier "nach unten" zu korrigieren. Gemeint sind besonders forsche Autofahrten, bei denen besonders viel Schadstoffe in die Luft geblasen werden.
Die Grenzwerte werden weiter überschritten - mit Billigung der EU
Mock zieht daraus den Schluss, dass die tatsächliche Umweltverschmutzung auch nach dem Start der RDE-Tests "deutlich höher" liegen dürfte, als es der jeweilige Grenzwert besagt. Der beträgt für die neuesten Dieselfahrzeuge 80 Milligramm Stickoxide pro Kilometer, darf aber ohnehin weit überschritten werden. Bis 2020 erlaubt die EU 168 Milligramm, danach 120 Milligramm. Das ist so, als ob die Höchstgeschwindigkeit von 50 Kilometern pro Stunden in Ortschaften bis 2020 ausnahmsweise auf 105 heraufgesetzt würde und anschließend noch Tempo 75 gefahren werden dürfte. Und das nur, um der Autoindustrie einen Gefallen zu tun. Und weil es auch beim neuen Messverfahren RDE auf der Straße ebenso wie früher auf dem Prüfstand Ausnahmen zugunsten der Hersteller gebe, geht Mock davon aus, dass selbst die heraufgesetzten Grenzwerte von 168 und später 120 Milligramm deutlich überschritten werden. Mit Billigung der EU.
Wenigstens werden Dieselfahrzeuge künftig auf der Straße untersucht (was einem weiteren Gutachten zufolge schon seit Jahren möglich gewesen wäre). Der CO₂-Ausstoß von Benzinern wird hingegen weiterhin im Labor ermittelt, wenn auch bald unter realistischeren, weniger geschönten Bedingungen als bisher. Ein vorgegebener Fahrzyklus im Labor könne aber "nicht alle möglichen" Situationen auf der Straße abdecken, schreibt Professor Christian Beidl von der Technischen Universität Darmstadt. Und auch der neue, bessere CO₂-Testzyklus im Labor biete keine "höhere Sicherheit", also keinen besseren Schutz vor manipulierten Ergebnissen. Ein anderer Gutachter schreibt, Betrügereien seien weiter technisch möglich.