Gefälschte Abgas-Werte:Abgas-Affäre: Viele Autokonzerne haben manipuliert, die Politik hat versagt

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Viel Verkehr, viele Schadstoffe. Die Autobahn A 8 bei Karlsruhe. (Foto: Uli Deck/dpa)

Selbst der industriefreundliche ADAC hatte die Politik schon vor Jahren vor den gefälschten Abgas-Werten gewarnt. An der Bundesregierung prallte das ab.

Von Thomas Fromm, Klaus Ott und Reiko Pinkert, Berlin/München

Abgas-Affäre? Gibt es so nur bei VW und nicht woanders. Das ist die Lesart nahezu aller Autokonzerne. Daimler, Fiat, Opel - sie alle weisen Verfehlungen weit von sich, obwohl auch bei ihnen überhöhte Schadstoffwerte bei Dieselfahrzeugen gemessen wurden. Die Bundesregierung lässt sie weitgehend gewähren, statt hart durchzugreifen. Strenge Auflagen gibt es lediglich für den Sünder VW.

Mit der Version, nur Volkswagen habe die Autofahrer getäuscht, räumen vom Bundestag befragte Techniker und Wissenschaftler jetzt aber gründlich auf. Einer der Gutachter, Denis Pöhler vom Institut für Umweltphysik der Universität Heidelberg, schreibt sogar von Manipulationen bei nahezu allen Herstellern. Pöhler betont in seiner Stellungnahme, spätestens seit 2010 sei durch eine damalige Studie bekannt, dass die Motoren moderner Diesel-Fahrzeuge darauf ausgelegt seien, die Grenzwerte für giftige Stickoxide nur bei den offiziellen Messungen im Labor einzuhalten.

Auf der Straße sei der Schadstoffausstoß vielfach höher. Der Zustand der Motoren sei "so manipuliert" worden, dass die Grenzwerte auf dem Teststand so eben noch eingehalten würden. "Die Schwächen der Prüfung wurden hier ausgenutzt. Das betrifft im Wesentlichen Dieselfahrzeuge aller Hersteller", so das Resümee.

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Der ADAC und andere Experten haben bereits 2010 das Umweltministerium auf die gefälschten Werte hingewiesen. Das Problem betreffe "alle Hersteller".

Von Klaus Ott und Thomas Fromm

Ausgerechnet der ADAC hat die Regierung früh gewarnt

Sie haben fast alle manipuliert. So hart hat das bislang kaum jemand gesagt. Und erst recht niemand, den der Staat als Gutachter eingeschaltet hat. Doch Pöhler verschont auch seinen Auftraggeber nicht von harscher Kritik. "Für alle Behörden" sei seit etlichen Jahren "ersichtlich", dass der tatsächliche Schadstoffausstoß auf der Straße von den offiziellen Werten bei der Zulassung der Fahrzeuge deutlich abweiche. Mit anderen Worten: Der Staat selbst hat hier versagt.

Pöhler ist einer von mehreren Experten, die der vom Bundestag eingesetzte Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Abgas-Affäre zu Rate gezogen hat. Den Ausschuss hatten Grüne und Linke initiiert. Mit Hilfe der Fachleute will sich das Parlament ein Bild davon machen, ob und wie die Autoindustrie betrogen hat. Das Ergebnis ist nach Informationen von SZ, NDR und WDR eine Katastrophe für die Autokonzerne und die Bundesregierung.

Was bringen strenge Auflagen dann noch?

Der Bundestag hat auch Reinhard Kolke gefragt, den Technik-Chef des eigentlich industriefreundlichen ADAC. Kolke hat seiner Stellungnahme einen Brief beigelegt, den der Automobilclub am 2. Juni 2010 an das Bundesumweltministerium geschickt hat. Der ADAC warnte damals eindringlich davor, dass die ständig strengeren Grenzwerte für Dieselfahrzeuge gar nichts bringen würden. Das Ziel, den Schadstoffausstoß zu senken, werde "verfehlt".

Was bringen strenge Auflagen, wenn die Abgasreinigung so ausgelegt sei, dass die Autos bei ihrer Zulassung die offiziell vorgegebenen Werte auf dem Prüfstand einhalten, im "täglichen Betrieb im realen Stadtverkehr" aber viel schlechtere Werte hätten?

Der ADAC hat also frühzeitig Alarm geschlagen, und das allein ist schon bemerkenswert. Doch gegen die Lobby der Autokonzerne ist das Umweltministerium weitgehend machtlos. Kanzlerin Angela Merkel und Verkehrsminister Alexander Dobrindt bestimmen die Autopolitik - zum Wohle der Konzerne.

Das Umweltbundesamt als unbequemer Mahner sagt viel, hat aber nichts zu sagen. Nicht einmal die ständigen Hinweise des Umweltamtes auf die Belastung in den Innenstädten fruchten. Dort, wo die meisten Menschen leben, sind die Stickoxidwerte besonders hoch. Asthma und Erkrankungen an Lunge, Herz sowie Kreislauf könnten die Folge sein, schreibt Fachmann Pöhler. Sein Gutachten enthält eine Grafik, die alles sagt: Die Europäische Union und ihre Mitglieder haben die Grenzwerte für Stickoxide über Jahre hinweg deutlich verschärft. Die neuesten Diesel-Autos dürften nur noch 80 Milligramm pro Kilometer ausstoßen.

Früher war ein Vielfaches erlaubt. Doch - siehe da - der Schadstoffausstoß auf der Straße ist in etwa gleich geblieben. Opel und viele andere Hersteller erklären das gerne mit dem Schutz ihrer Motoren. Bei niedrigen Temperaturen wäre die Abgasreinigung schädlich für das Fahrzeug. Diesen Einwand lässt Roland Baar von der Technischen Universität Berlin nicht gelten. Es sei technisch möglich, Motoren so zu konstruieren, dass sie "betriebssicher" laufen und gleichzeitig die aktuellen Grenzwerte erfüllen könnten, sagt Baar.

Einer der Gutachter rügt "zu enge Verflechtungen" von Behörden und Industrie

Mit anderen Worten: Den angeblichen Motorschutz braucht es in Wahrheit gar nicht. Stattdessen wäre, aus Sicht mehrerer Gutachter, eine andere Verkehrspolitik notwendig. So müssten die Fahrzeuge regelmäßig auf Sicherheit und tatsächlichen Schadstoffausstoß untersucht werden. Nur so werde der Staat seiner Aufgabe gerecht, Sicherheit und den Schutz von Gesundheit und Umwelt zu sichern.

Umweltphysiker Pöhler von der Uni Heidelberg wirft Deutschlands Umweltämtern vor, trotz Kenntnis der hohen Belastung durch Diesel-Fahrzeuge nicht genügend Druck auf das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) und die Politik ausgeübt zu haben. Das dem Verkehrsministerium unterstellte KBA ist für Fahrzeugzulassungen zuständig. Das KBA habe, sagt Pöhler, "nach meinem Kenntnisstand keinerlei Initiative ergriffen, diese Problematik anzugehen". Trotz vieler Belege für einen viel zu hohen Schadstoffausstoß. Und er schließt daraus: Vermutlich seien "zu enge Verflechtungen" mit der Autoindustrie die Ursache für die Untätigkeit des KBA gewesen.

Das KBA hatte erst nach der Aufdeckung der Manipulationen bei VW durch US-Behörden den wirklichen Schadstoffausstoß umfassend ermittelt. Man könnte sagen: Ein paar Jahre zu spät. Der ADAC schreibt in seiner Stellungnahme für den Untersuchungsausschuss des Bundestags, man habe bereits 2003 mit eigenen Tests begonnen. Ziel sei eine "ganzheitliche Bewertung des Umweltverhaltens von Pkw" gewesen. Der ADAC habe auf diese Weise frühzeitig dokumentieren wollen, dass die große Kluft beim Schadstoffausstoß auf dem Prüfstand und auf der Straße nicht hinnehmbar sei. Das war 12 Jahre vor Beginn der Abgas-Affäre.

© SZ vom 27.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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