Irgendwann wird selbst das Gute zu viel, so gerade in Kopenhagen geschehen: Die Stadt hat mehr Menschen dazu gebracht, mit dem Fahrrad zu fahren als mit jedem anderen Verkehrsmittel. Fahrrad-Hauptstadt, das war das erklärte Ziel. Die Stadtplaner haben Fahrrad-Schnellwege geschaffen, Fahrrad-Brücken gebaut und breite Spuren nur für Radler angelegt, die sich oft in blauer Farbe über Kreuzungen ziehen. Selbst die Mülleimer neigen sich dem Radler entgegen, damit er sie im Vorbeifahren besser trifft.
Nur, jetzt radeln dermaßen viele Menschen durch Kopenhagen, dass sie sich gegenseitig im Weg sind. Zur Hauptverkehrszeit schieben sie sich oft Reifen an Reifen durch die Innenstadt, ein zwei- bis dreispuriger Strom, wie auf der Autobahn. Wenn dabei einer zu langsam fährt und ein anderer unüberlegt ausschert, dann staut es sich. An manchen Kreuzungen stehen die Radfahrer Schlange, nur um über die Ampel zu kommen. Da dauert es mehrere Grünphasen, bis es weitergeht.
Fahrrad:Faltrad? Klingt nach Origami
Zusammenklappbare Fahrräder können für Pendler eine gute Lösung sein. Die Räder sind ausgefeilt und stabil - doch kämpfen die Hersteller mit einem Image-Problem.
Natürlich sind Fahrrad-Staus Gift für das Kopenhagener Konzept. Denn die Menschen dort steigen laut Umfrage vor allem aus einem Grund aufs Rad: Sie kommen so schneller an. Die Stadt will nun intelligente Tafeln aufstellen, um Staus zu vermeiden. Rote und grüne Pfeile zeigen an, ob der Weg frei ist oder der Radfahrer auf die Nebenstraßen ausweichen sollte.
Die erste dieser Tafeln steht bereits an der Lieblingsstraße der Radfahrer, auf der Nørrebrogade, die für Autos teilweise ganz gesperrt ist. Dort hat die Stadt bis zu 48 800 Fahrräder am Tag gezählt und fragt sich, ob das nicht sogar Weltrekord ist. Vier weitere Tafeln sollen bald an anderen viel befahrenen Radwegen folgen. Die Stadt feiert ihre Idee als Weltneuheit.
Ein "erster sehr, sehr kleiner Schritt"
"Die Schilder sind nötig, denn wir haben Verkehrsstörungen auf den Radwegen", sagt Morten Kabell, der in der Stadt für Technik und Umwelt zuständig ist. Er hofft, dass die Kopenhagener Radfahrer dadurch neue Routen ausprobieren.
Für Erik Hjulmand jedenfalls sind die Schilder nur ein "erster sehr, sehr kleiner Schritt" zu einer echten Lösung. Er leitet die Kopenhagener Abteilung des dänischen Fahrradverbandes und sagt, die Stadt wolle mit den Schildern vor allem testen, ob die Radfahrer tatsächlich ausweichen. Für ihn ist klar: Wirklich helfen würden mehr und noch breitere Radwege.
Außerdem, sagt Hjulmand, sollte man die Ampelphasen häufiger an die Bedürfnisse der Radfahrer anpassen. Dort zum Beispiel, wo Autos abbiegen wollen und die Fahrräder deswegen länger an roten Ampeln stehen. "Wir müssen erkennen, dass die Radfahrer nun in der Mehrheit sind", sagt Hjulmand. "Wir glauben, es gibt immer noch zu viele Orte in der Stadt, wo die Autos zu viel grünes Licht haben."
Die Stadt hat den Autofahrern bereits viel Platz weggenommen und den Radfahrern gegeben. Und Platz ist in Kopenhagen immer knapp, Kanäle und Häfen zwingen zusätzlich zu Umwegen. Auf der wichtigen Königin-Luise-Brücke im Zentrum haben die Radler trotzdem komfortable vier Meter Platz auf jeder Seite, während die Autos mit einer Spur pro Richtung auskommen müssen. Das Ergebnis: Fahrräder machen inzwischen etwa 86 Prozent des Verkehrs auf der Königin-Luise-Brücke aus.
Die Stadt fasst die Erfolge ihrer Fahrrad-Politik gerne in Zahlen, jedes Jahr veröffentlicht sie einen "Fahrrad-Bericht". Im neuesten steht, dass zwei Drittel der Kopenhagener täglich mit dem Rad zur Arbeit, Schule oder Uni fahren. Und: dass die Stadt vergangenes Jahr zum ersten Mal seit 1970 mehr Fahrräder in der Innenstadt gezählt hat als Autos. Gesamtlänge des Radwegenetzes: 375 Kilometer. Strecke, die alle zusammen täglich mit dem Rad zurücklegen: 1,4 Millionen Kilometer. Durchschnittliche Geschwindigkeit: 16,3 Kilometer pro Stunde. Jetzt gefährden also Staus diese Erfolgsbilanz.
Fußgänger, Auto- und Radfahrer: Manchmal sind alle genervt
"Wenn die Leute sehen, dass sie nicht mal mehr mit dem Rad durchkommen, kann man sie nicht mehr dazu bringen, das Rad zu benutzen", sagt Niels Agerholm, Experte für Verkehrssystemmanagement von der Universität Aalborg. Er glaubt nicht daran, dass die neuen Tafeln viel an den Routen ändern werden. Doch die Tafeln sollen den Radlern zeigen, dass die Stadt ihre Probleme ernst nimmt - nebenbei würden sie Staus auch erträglicher machen. "Auf den Bus zu warten fällt ja auch leichter, wenn man weiß, wie lange man warten muss", sagt Agerholm. Eine Sache dürfe man nicht vergessen, sagt der Verkehrsexperte. Die Kopenhagener Fahrrad-Politik sei eine Erfolgsgeschichte. Schon klar.
Den Erfolg bekommen in der dänischen Hauptstadt vor allem Fußgänger und Autofahrer zu spüren, die sehr häufig auch genervt sind von diesen wahnsinnig breiten Radwegen, von der Kopenhagener Fahrradflut. Die macht selbst manchen Fahrradfahrern Angst. "Wir hören immer öfter von Leuten, die gerne mit dem Rad fahren würden, dass sie sich nicht trauen", sagt Erik Hjulmand vom Radverband. Manchmal, sagt er, seien für die Radfahrer nicht die Autos das größte Problem. Es sind die anderen Radfahrer.