Prototyp von ZF TRW:Ein Airbag, der den Fahrer vor dem Beifahrer schützt

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Der Center-Airbag soll verhindern, dass Fahrer und Beifahrer bei einem Seitenaufprall miteinander kollidieren und sich gegenseitig schwer verletzen. (Foto: ZF / PR Newswire)

Bei einem Seitenaufprall stoßen häufig die Köpfe der Insassen gegeneinander, das macht den Autounfall besonders gefährlich. Ein neues System soll das verhindern - und den Ruf des Airbags retten.

Von Thomas Harloff

Als Béla Barényi in den frühen Fünfzigerjahren die Knautschzone patentieren ließ, erschuf er damit eines der bis heute wichtigsten Sicherheitsmerkmale im Automobilbau. Die Idee des Mercedes-Konstrukteurs, in ein Fahrzeug Bereiche zu integrieren, die sich bei einem Aufprall verformen und einen Großteil der dabei entstehenden Energie aufnehmen, wird von Barényis Nachfolgern bis heute umgesetzt und weiterentwickelt.

Das Problem: Wirklich wirksam sind Knautschzonen nur an Front und Heck, dort steht der entsprechende Platz zur Verfügung. Bei einem Seitenaufprall sind die Möglichkeiten dagegen begrenzt. Die ganze Technik, die in den Türen verbaut ist - Lautsprecher, Fensterheber oder Schlösser -, verschärft das Problem.

Seitenairbags, die den Oberkörper vor dem Aufprall auf Fahrzeugteile schützen sollen, sowie Kopf- und Vorhangairbags, die sich blitzschnell auf Fensterhöhe entfalten, mildern die Unfallfolgen bei einem seitlichen Crash. Das können sie effektiv aber nur bei dem Insassen, der auf der - wie sie Unfallforscher nennen - stoßzugewandten Seite sitzt. Doch genau der kann zum Risiko für denjenigen werden, der neben ihm sitzt. Etwa dann, wenn die Köpfe von Fahrer und Beifahrer durch die Wucht des Aufpralls aneinanderstoßen und sie sich dadurch schwer verletzten.

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Durch die Rückrufaktion von General Motors ist auch der Airbag in Verruf geraten. Unter Fachleuten war er jedoch schon immer umstritten. Bei vielen Unfällen ist der Luftsack gar Verursacher schwerer Verletzungen.

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Der Center-Airbag hält die Insassen auf ihren Sitzen

Ein Szenario, das laut Unfallforschung für viele Verletzungen und Todesfälle verantwortlich ist, aber bisher bei der Entwicklung von Sicherheitssystemen vernachlässigt wurde. Und bei dem weder die Knautschzone noch Sicherheitsgurte oder die Standardairbags schützen können.

Der Zulieferer ZF TRW aus Friedrichshafen hat nun ein Sicherheitssystem entwickelt, das bei einem Seitenaufprall sowohl den Insassen auf der stoßzugewandten als auch auf der stoßabgewandten Seite schützen soll. Der Center-Airbag ist in die Innenseite der vorderen Sitzlehne integriert und entfaltet sich bei einem Unfall über der Mittelkonsole zwischen Fahrer und Beifahrer. Er entwickelt eine Dreiecksform und reicht vom Dachhimmel bis unterhalb der Schultern. So soll er die Insassen in ihren Sitzen stabilisieren, damit sie nicht zur Seite schleudern können.

Der Center-Airbag ist auch ein Versuch, die Bedeutung der Luftsäcke für Sicherheitskonzepte in Autos wieder zu erhöhen. Von den Siebzigerjahren bis hinein in die frühen Zweitausender entwickelte sich der Airbag neben dem Sicherheitsgurt zum wichtigsten passiven Sicherheitssystem im Auto. Er rettete so viele Autofahrerleben, dass er im Laufe der Jahre an immer mehr Stellen verbaut wurde. Ob Beifahrer-, Knie-, Seiten- oder Vorhang-Airbags: In so manchem Auto erreicht die Anzahl der eingebauten Luftsäcke zweistellige Werte.

Doch mit immer intelligenteren elektronischen Assistenzsystemen ging die Relevanz des Airbags - zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung - zurück. Der Skandal um den Zulieferer Takata, der fehlerhafte Gasgeneratoren in seine Luftsäcke einbaute, wodurch diese unvermittelt platzen und durch heiße Metallteile die Insassen in Gefahr bringen konnten, hat der Reputation des Airbags ebenfalls nicht geholfen - zumal der Hersteller die Panne jahrelang verschleierte. Im Gegenteil, mancher sah in dem eigentlichen Lebensretter eine Gefahr.

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Lebensretter oder Gesundheitsrisiko?

Gleich mehrere Studien und Statistiken stützen diese These. Einerseits finden Forscher immer wieder heraus, dass Airbags zu selten auslösen, obwohl sie es eigentlich tun müssten - meist wegen fehlerhafter Kabel und Steckverbindungen oder Problemen mit den Crashsensoren. Einige Wissenschaftler bemängeln aber auch, dass die Luftsäcke Verletzungen hervorrufen, die es ohne sie nicht gegeben hätte. Zwar schützen Airbags ihrer Meinung nach effektiv vor Kopfverletzungen, aber verursachen teils erhebliche Verletzungen an Brust und Armen. Bei Unfällen mit geringer Aufprallgeschwindigkeit können sie demnach sogar ein echtes Gesundheitsrisiko darstellen.

Wann der Center-Airbag seinen Beitrag leisten kann, um den Ruf der Lebensretter zu verbessern, steht noch nicht fest. Bisher ist er lediglich ein Prototyp, einen konkreten Zeitplan für den Serieneinsatz gibt es noch nicht. Aber spätestens 2018 könnte es so weit sein. Dann plant das Sicherheitsprogramm Euro NCAP, seine Crashtest-Anforderungen zu verschärfen und die Sicherheitsvorkehrungen eines Autos beim Seitenaufprall höher zu gewichten. Gut möglich, dass ein neues Modell dann den Center-Airbag braucht, um die Höchstpunktzahl von fünf Sternen zu erreichen.

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