Pannenserie bei Talent-2-Zügen:Hervorragendes Konzept, schlampige Umsetzung

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Die Talent-2-Züge sind ständig defekt. Und damit Sinnbild für den Zustand der deutschen Bahnindustrie. Ein Drittel ihres Umsatzes liegt auf Eis. Denn die Zulassungsverfahren für neue Züge wurden verschärft, die Auslieferung verzögert sich. Schuld daran: die vielen Pannen.

Klaus C. Koch

Seinen Spitznamen hat der neue Regionaltriebwagen schon weg. "Hamsterbacke" nennt man ihn wegen der schmalen Scheinwerfer in der ansonsten schnittigen Frontpartie. Sie erwecken den Eindruck, als seien eigens Schweller eingebaut worden, um den Zug breiter erscheinen zu lassen als er ist. Es gibt aber noch andere Parallelen zu dem tierischen Namensgeber. Den Zug zeichnet eine gewisse Sammelleidenschaft aus - für Pannen. Seit Jahren zieht sich die Leidensgeschichte des Talent 2, das Kurzwort steht für "Talbot Leichter Nahverkehrs-Triebwagen", nun schon hin. Das Paradoxe daran: Vom Hersteller Bombardier bis hin zur Deutschen Bahn sind sich im Prinzip alle Beteiligten einig, dass es sich um ein hervorragendes Konzept handelt. Nur mit der Umsetzung hapert es.

Die Deutsche Bahn will auf den Strecken von Leipzig nach Cottbus und Dresden ab Dezember 2012 Elektrotriebwagen der Baureihe "Talent 2" einsetzen. (Foto: dapd)

Die Deutsche Bahn verpflichtete sich bereits 2007 dazu 321 Stück abzunehmen. DB Regio gewann mit dem Versprechen, den von zwei bis zu sechs Wagen nahezu beliebig kombinierbaren Gelenkzug einzusetzen, etliche Ausschreibungen von Regionalverkehrsstrecken. Der Zug soll bis zu 160 km/h schnell fahren und vermittelt durch seine Begehbarkeit auf bis zu 90 Metern Länge einen komfortablen Eindruck. Die Züge sind klimatisiert, behindertengerecht und passen sich dem Bahnsteigniveau an. Für die S-Bahn in Nürnberg wurde sogar darauf geachtet, dass die Betätigung der Türschalter mit Hinweisen in Blindenschrift ertastbar und zusätzlich mit akustischen Signalen ausgestattet ist.

Von 2009 an sollte der Talent 2 an der Mosel verkehren. Doch die Auslieferung verzögerte sich, weil Änderungen internationaler Standards und Normen im Zulassungsverfahren berücksichtigt werden mussten. 2010 schließlich tauchten Fehler in der Computersteuerung auf, die den Motor, Bremsen und weitere Komponenten betrafen. Nachdem der Hersteller einige Verbesserungen vorgenommen hatte, erteilte die Aufsichtsbehörde, das Eisenbahn-Bundesamt, die Betriebserlaubnis - aber nur für eine Höchstgeschwindigkeit von 140 km/h. 160 km/h Spitze wären aber notwendig gewesen, um wie geplant einen schnelleren Takt fahren zu können. Anfang 2012 kam es bei Testfahrten erneut zu Schwierigkeiten: Wegen eines Programmfehlers bremste einer der Züge zu spät. Die gesamte Auslieferung wurde gestoppt. Und Ende Juli lockerten sich beim Rhein-Sieg-Express Schrauben im Türbereich.

Die Industrie kann nicht liefern, was der Kunde will

Für schnelle Abhilfe zu sorgen war jedoch einfacher gesagt als getan. Denn wenn es in zentralen Bereichen wie dem Antrieb oder den Bremsen klemmt, besteht die Aufsichtsbehörde darauf, das komplette Zulassungsverfahren neu zu durchlaufen. Weil auch die Behörde unter Druck steht, Zulassungen nicht zu verzögern, wurde bei einem Optimierungsprojekt zusammen mit Industrie und Politik untersucht, wo es hakt. Ergebnis: Die Kunden wollen neue Züge sehr schnell haben, aber, warnt die Behörde: "Seriös lässt sich ein neues Fahrzeug innerhalb von zwei Jahren nicht entwickeln, erproben, behördlich zulassen und produzieren."

Im Rohzustand wirkt der Wagenkasten des Talent 2 beim Werksbesuch noch wie ein Großraumwagen. Sind aber dann erst einmal sämtliche Aggregate, Lüfter, Haltegriffe, Ablagen und Dutzende Kilometer an Kabel verlegt, schrumpft der Eindruck schnell auf Kompaktwagengröße. Kleinere Pannen, räumen die Ingenieure im traditionsreichen Hennigsdorfer Bombardier-Werk ein, gebe es bei neuen Fahrzeugen immer mal wieder. Hier, wo einst ein Emil Rathenau die ersten Straßenbahnen bauen ließ, wo Sohn Walter, Mitbegründer der Deutschen Demokratischen Partei und Reichsaußenminister, 1922 von Rechtsradikalen ermordet, im Aufsichtsrat der "Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft" AEG saß, hier also im brandenburgischen Landkreis Oberhavel verbringen die Züge Tausende Stunden auf Deutschlands zweitgrößtem Bahnprüfgelände, einem Vier-Kilometer-Rundkurs im benachbarten Velden. Sie absolvieren unzählige Sprints auf der 800-Meter-Prüfstrecke direkt auf dem Werksgelände. Und doch: Das tatsächliche Zusammenwirken zahlreicher Komponenten, "das steht erst im Alltagsbetrieb so richtig auf der Probe", sagt Josef Fischer, seit 2011 Projektmanager für den Talent 2. Darüber dürfe man sich keine Illusionen machen.

Als problematisch erweisen sich immer wieder Computerprogramme, die bei den modernen Zügen von der Türsteuerung über die Klimaanlage bis hin zur Beschleunigung inzwischen alles regeln, was geregelt werden muss. Ein Handicap aus Herstellersicht ist, dass das Eisenbahn-Bundesamt seit dem ICE-Unfall bei Köln und den Rissen, die dort in einem Radsatz auftauchten, extrem vorsichtig geworden ist. Beim Talent 2 kamen, als die ersten paar Dutzend Triebwagen bereits fertig waren, in einer kritischen Phase neue Standards und Normen hinzu, von deren Änderung zuvor keine Rede war. "Das war zum Teil völlig überraschend", sagt Bombardiers Deutschlandchef Michael Clausecker, der auch Präsident des Verbandes der deutschen Bahnindustrie ist.

Auch die Konkurrenz kann das bestätigen, sie hat es ebenfalls mit ganzen Fahrzeugserien getroffen. Fast ein Drittel des Jahresumsatzes der deutschen Bahnindustrie, die wegen ihrer Qualität als vorbildlich gelte, so Clausecker, liege derzeit wegen der verschärften Zulassungsverfahren auf Eis. "Stellen Sie sich mal vor", sagt er, " wenn das bei einem großen Autohersteller so wäre."

© SZ vom 13.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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