Auch wer den Segelsport als bisweilen elitär empfindet und deshalb wenig damit zu tun haben möchte, dem ist vielleicht schon mal dieser Spruch untergekommen: "Länge läuft". Er besagt, laienhaft ausgedrückt, dass Schiffe mit einem längeren Rumpf flotter unterwegs sind als kürzere Boote. Mittlerweile scheint das Motto auch in der Fahrradbranche angekommen zu sein: Immer mehr Hersteller setzen auf lange (oder mitunter auch breite) Lastenfahrräder. Auf der Fahrradmesse Eurobike im vergangenen Sommer jedenfalls war kaum ein Stand eines Herstellers auszumachen, an dem kein Lastenrad präsentiert wurde - zumal Kommunen wie München, Mannheim oder auch der Landkreis Bamberg die Anschaffung finanziell fördern.
Zu den Neulingen im Segment der Cargobikes zählt zum Beispiel die Hamburger Fahrradmarke Bergamont. Die hat in dieser Saison sogar gleich zwei Lastesel neu ins Programm aufgenommen: Mit dem Modell Bakery ein klassisches "Bäckerrad", wie man es etwa aus Filmen aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren kennt - mit großem Ladekorb vor dem Lenker und einem langen Gepäckträger über dem Hinterrad, an dem beispielsweise Packtaschen befestigt werden können. Und mit dem LJ 70 ein sogenanntes "Longjohn"-Cargobike, also eines mit einem kleinen Vorderrad und einer langen Ladefläche. Der Fahrer sitzt direkt dahinter und hat die Ladung stets im Blick. Unterstützt wird er dabei bis zu einem Höchsttempo von 25 Kilometern pro Stunde vom 250 Watt starken Cargo-Line-Elektromotor von Bosch. Den haben die Stuttgarter extra für Lastenräder entwickelt.
Pedelec von Schaeffler:Winzling mit Ladefläche
Der Autozulieferer Schaeffler entwickelt ein vierrädriges Pedelec für Pendler und Lieferanten. Aber reicht der Platz auf dem Radweg dafür aus?
Wer mit dem LJ 70 von Bergamont eine Weile unterwegs ist, der merkt sehr schnell: Länge läuft tatsächlich - nicht nur auf dem Wasser, sondern auch auf der Straße. Das ohne Zuladung gut 45 Kilogramm schwere Rad kommt dank der Motorunterstützung leicht vom Fleck, die über ein Gestänge an das 20 Zoll große Vorderrad übertragenen Lenkbewegungen setzt das Rad direkt und ruckelfrei um, selbst bei voller Beladung, wenngleich das LJ 70 dann naturgemäß etwas träger unterwegs ist.
Nicht besonders handlich in Innenstadtgassen
Viel Spaß macht auch die stufenlose Enviolo-Schaltung, die sich auch unter Volllast geschmeidig schaltet. Selbst mit ordentlich Gepäck auf der Ladefläche stellen auch heftigere Steigungen kein Problem dar - der Motor schiebt zudem ordentlich. Und arbeitet dabei auch noch relativ leise.
Deutlich robuster dagegen wirkt die Optik des LJ 70: Die 70 Zentimeter lange und 45 Zentimeter breite Ladefläche aus Bambus ruht auf einem massiven Aluminium-Chassis; um den 625 Wattstunden fassenden Akku zu verstauen, haben die Bergamont-Entwickler dem LJ 70 einen massive Lenksäule verpasst - das Fachmagazin Elektrorad bezeichnete das als "Industrial-Design". Sicher ist: Mit seinem Radstand von etwas mehr als zwei Meter und einer Gesamtlänge von 2,70 Meter ist das LJ 70 insbesondere in engen Innenstadtgassen nicht besonders handlich; zudem sollte man genügend Fläche in Garage oder Hausflur zur Verfügung haben, um das mit 5399 Euro nicht gerade günstige Cargobike über Nacht sicher verstauen zu können.
Jede Menge Zubehör - gegen Aufpreis
Um genau diesem Problem zu begegnen hat der Hersteller i:SY, der sich eigentlich auf kompakte Fahrräder mit 20 Zoll großen Laufrädern spezialisiert hat, seine Version eines Lastenrades im Programm. So verzichtet das kompakte Cargobike - anders als viele andere Longjohn-Konkurrenten - auf ein großes Hinterrad; dort haben die i:SY-Entwickler ebenso wie vorne ein 20 Zoll großes Laufrad verbaut. Zudem ist die Ladefläche deutlich kleiner als beim Bergamont. So kommt das i:SY Cargo auf eine Gesamtlänge von nur 2,10 Meter. Damit ist man in der Stadt deutlich wendiger unterwegs als mit dem langen LJ 70.
Zumal im Alltagstest der SZ die geringere Länge des i:SY kaum eine Rolle spielte: Denn beide Lastenräder kamen ohne Zubehör, von dem zahlloses gibt: Kisten, Seitenwände, Abdeckungen für die Ladefläche, außerdem Kindersitze und weitere Anbauten, die die Räder zu vielseitig einsetzbaren Transportallroundern machen. Der SZ-Tester behalf sich indes mit einer großen Klappkiste vom Baumarkt, verzurrt mit Spanngurten, um den Großeinkauf vom Supermarkt nach Hause oder den Grünschnitt aus dem Garten zum Wertstoffhof zu fahren - nur mit dem Unterschied, dass die Kiste auf dem LJ 70 längst, auf dem i:SY indes quer verzurrt wurde. Unterm Strich stand so die gleiche Ladekapazität zur Verfügung. Mit dem richtigen Zubehör aber "schluckt" das LJ 70 mehr - zumal dessen zulässiges Gesamtgewicht (220 Kilo) höher ist als das des i:SY (200 Kilogramm).
Der Fahrspaß indes ist auch beim kompakten i:SY Cargo ähnlich groß wie beim Bergamont. Auch hier schiebt der 250 Watt starke Performance CX-Motor von Bosch kraftvoll und relativ lautlos an; und auch hier passt die stufenlose Enviolo gut ins Gesamtbild. Voll beladen aber ließ sich das i:SY (Preis: 4499 Euro) nicht ganz so präzise steuern wie das Bergamont: In Kurven und schnellen Abfahrten flatterte das Rad dann leicht. In diesen Momenten zeigte sich, was viele Segler eh schon wissen: Länge läuft eben.