Güterverkehr:"Es ist allerhöchste Eisenbahn"

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Der Güterverkehr soll sich in Zukunft mehr auf die Schiene verlagern. (Foto: Armin Weigel/dpa)

Wie lässt sich mehr Güterverkehr von der Straße auf die Schiene holen? Bahnexperte Peter Westenberger sagt: Vor allem sollte endlich gehandelt werden.

Interview von Marco Völklein

2021 soll nach dem Willen der EU-Kommission zum "Europäischen Jahr der Schiene" werden. Was genau verbirgt sich dahinter? Und inwiefern profitiert der Verkehrsträger Schiene davon? Fragen an Peter Westenberger vom Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE), in dem sich knapp 80 Verkehrsunternehmen aus der Schienengüterbranche zusammengeschlossen haben.

SZ: Herr Westenberger, was genau muss man sich vorstellen unter dem "Europäischen Jahr der Schiene"?

Peter Westenberger: Das weiß ich auch nicht so recht. Ich habe neulich zu dem Thema mal eine Präsentation gemacht und die überschrieben mit: die drei Fragezeichen. Wer? Was? Wann? - auf all diese Fragen habe ich bislang keine guten Antworten bekommen. Ich muss sagen: Schade um die schöne Idee.

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In ihrem "Green Deal" allerdings hat die EU-Kommission betont, dass Europa, um seine Klimaziele zu erreichen, im Verkehrsbereich massiv auf die Schiene wird setzen müssen.

Das ist ja auch der richtige Ansatz, keine Frage. Nun aber müsste es darum gehen, dafür die politischen Schrauben in die richtige Richtung zu drehen. In der neuen EU-Verkehrsstrategie stehen viele richtige Dinge drin, ebenso in den deutschen Masterplänen zum Schienen- und zum Schienengüterverkehr. Jetzt muss aber gehandelt werden, und zwar ganz schnell.

Was schlagen Sie vor, ganz konkret?

Konkret müsste die Lkw-Maut europaweit so ausgestaltet werden, dass sie eine Verkehrsverlagerung von der Straße auf die Schiene bewirkt. Da könnte man sich an der Schweiz orientieren: Während ein schwerer Lkw auf der A 5 nach Basel weniger als 20 Cent Maut pro Kilometer zahlen muss, wird auf der Weiterfahrt durch die Schweiz etwa fünfmal mehr fällig. Das zeigt, was man bei den Rahmenbedingungen tun muss, wenn man viele kontinentalen Lkw-Verkehre auf Schiene und Schiff verlagern will.

Geht es tatsächlich nur um die Kosten?

Nein, auch bei der Infrastruktur muss sich dringend etwas tun. Bislang setzen die EU-Kommission, aber auch viele Mitgliedsstaaten auf teure Hochgeschwindigkeitsstrecken, um auch eine Alternative zum Flugverkehr zu bieten. Das ist ja auch richtig, für den Güterverkehr passiert aber zu wenig. Zum Beispiel ist es lange überfällig, die wichtige Strecke Emmerich - Oberhausen von zwei auf vier Gleise zu erweitern. Während die Niederländer eine eigene Strecke bereits vor zwölf Jahren in Betrieb genommen haben, bekommen wir in vielleicht zehn Jahren das eine Gleis fertig, an dem seit Langem geplant wird.

Aus Ihrer Sicht wird also zu viel gefaselt und zu wenig getan?

Faseln ist ein starkes Wort, aber es wird sehr viel schwadroniert. Das sehen Sie auch in der deutschen Verkehrspolitik: Mitte Dezember wurde im Bundestag der Bundeshaushalt für 2021 debattiert, und es wurde wieder mehr Geld für die Straße als für die Schiene bewilligt. Da passen Reden und Handeln einfach nicht zusammen.

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) erklärte dabei, vom Jahr 2022 an werde der Bund erstmals mehr Geld in die Schiene investieren als in die Straße.

Schön wär's ja. Seit knapp drei Wochen warten wir darauf, dass uns das Verkehrsministerium das mal vorrechnet. Im Moment gehe ich eher davon aus, dass bisheriges Bundesbudget für die Instandhaltung von Fernstraßen in die neue Autobahn-GmbH verlagert wird.

Also ein Rechentrick? Bei der Bahn läuft es anders?

Ja, da gibt es die LuFV, die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung des Bundes und der Deutschen Bahn für Ersatzinvestitionen im bestehenden Schienennetz. Wenn zum Beispiel die jetzt fällige Elbbrücke in Magdeburg nicht saniert würde, wären die Strecken nach Dessau und Potsdam bald dicht. Das ist zwar unstreitig eine Investition, aber eben nur, um den bisherigen Verkehr weiter fahren zu können. Verkehrswende und -verlagerung brauchen aber zusätzliche Gleise.

Und daran hapert es?

Und zwar gewaltig. Hinzu kommt: Während die Länder und Kommunen bei der Schiene kaum etwas investieren, haben sie beim Straßenbau teils enorme Etats. Das macht einen erheblichen Unterschied. Wir haben das mal wissenschaftlich untersuchen lassen: Für jeden Euro, den der Bund ins Straßennetz investiert, bringen Länder und Kommunen weitere zwei Euro aus eigener Tasche auf.

Für Klima- und Umweltschutz verheerend.

Ja, aber das sind die Leitlinien im Bundesverkehrsministerium seit bestimmt zehn Ministern: Man steht im Sturm der Interessen und möchte möglichst allen Verkehrsträgern wohl- und keinem wehtun. So aber lassen sich Verkehrsmarktanteile sicher nicht verändern. Hier braucht es eine klare Prioritätensetzung für mehr Schienenverkehr. Und dazu ist es jetzt allerhöchste Eisenbahn.

Immerhin: Seit Mitte Dezember fährt der ICE auf der Strecke Berlin - Hamburg im Halbstundentakt. Scheuer lobt das als Einstieg in den Deutschlandtakt. Mit dem sollen Fernzüge künftig viele Städte in dichtem Takt miteinander verbinden.

Das ist gut gemeint, aber schlecht gemacht. Schauen Sie sich den Fahrplan mal genauer an: Von einem echten 30-Minuten-Takt kann da keine Rede sein, das ist eher ein Stolpertakt mit unregelmäßigen Abfahrtszeiten. Viel schlimmer aber ist, dass die Strecke leider vor der Angebotsverdichtung nicht so ausgebaut wurde, dass sie den zusätzlichen Zugverkehr auch wird schultern können.

Das heißt: Die langsameren Güterzüge müssen künftig öfter zur Seite fahren, damit die schnellen ICEs überholen können?

Genau, eines unserer Mitgliedsunternehmen hat die Folgen analysiert: Mit der Verdichtung des ICE-Angebots im Dezember bekamen die Güterzüge auf der Strecke Hamburg - Berlin Fahrzeitverlängerungen von durchschnittlich neun Minuten pro Zug.

Das klingt nicht gerade nach irrsinnig viel.

Ist aber in der Welt der Logistik entscheidend, vor allem dann, wenn man in direkter Konkurrenz zum Lkw steht. Offiziell soll der Deutschlandtakt im Güterverkehr eine Verringerung der Transportdauer durch weniger Überholungshalte bringen. Doch im konkreten Fall hätte man mit dem dichteren Takt für die ICEs warten müssen, bis einige kleinere Baumaßnahmen realisiert sind.

Die Strecke wurde doch ausgebaut ...

Sogar zweimal nach der Wende. Gut 16 Jahre liegt die zweite Stufe aber auch schon zurück, und eigentlich war das eine Art Notausbau, einige Überhol- und Ausweichgleise wurden sogar verkürzt, der Abzweig in Hagenow nach Schwerin, Rostock und Rügen ist nach wie vor eingleisig. Und Bahnhöfe wurden zu klein dimensioniert, sodass Nahverkehrszüge, die dort enden, die Durchfahrtsgleise für den Güterverkehr blockieren. Auch viele neue Weichen wurden für ein Höchsttempo von 60 oder 80 Kilometer pro Stunde ausgelegt.

In Österreich gilt da standardmäßig Tempo 100.

Ja, da können Güterzüge, ohne abzubremsen, vom normalen aufs Gegengleis wechseln und werden so vom schnelleren Personenzug "fliegend" überholt. Hierzulande stehen Güterzüge mindestens eine Viertelstunde im Überholgleis und verbraten beim Wiederanfahren wertvollen und teuren Strom. Für sich genommen sind das alles Kleinigkeiten, in der Summe jedoch beschränken sie die Wettbewerbsfähigkeit der Schiene enorm.

Geht's bei solchen "Notausbau-Maßnahmen" immer nur ums Geld? Also darum, möglichst günstig zu bauen?

Leider fehlt beim Bund die langfristige Perspektive, und die DB selbst nimmt für Kapazitätserweiterungen kein Geld in die Hand. Zudem interessieren sich viele Verkehrspolitiker ohnehin nur für ICE-Verbindungen. Für die war der Güterverkehr nur kurz wichtig, als es in der Pandemie um die Versorgungssicherheit ging. Und es steckt insgesamt zu wenig Manpower drin: In Scheuers Ministerium kümmern sich zwei Mitarbeiter um sämtliche Planungen zum Deutschlandtakt. Zum Vergleich: In der Regierungsbehörde der Schweiz, die mit dem integralen Taktfahrplan schon 1982 begonnen hat und ihn stetig verbessert, beschäftigen sich allein drei Personen mit diesen Themen - und dabei ist die Schweiz viel kleiner als Deutschland.

Peter Westenberger vom Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE). (Foto: privat)

Peter Westenberger, 56, ist seit 2015 Geschäftsführer beim Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE). Davor hat er sich beim Umweltverband BUND um Verkehrsthemen gekümmert und war 14 Jahre lang im Umweltbereich der Deutschen Bahn tätig.

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