Streckenreaktivierungen:Die Bahnretter

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Stillgelegtes Gleis in der Eifel: Viele Strecken könnten reaktiviert werden - um mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene zu holen. (Foto: Oliver Berg/dpa)

Ein Verein von Eisenbahn-Enthusiasten versucht, bereits stillgelegte Gleistrassen neu zu beleben - mit ganz unterschiedlichen Konzepten.

Von Joachim Göres

Seit vergangenem Jahr wird Zement vom Zementwerk Burglengenfeld in der Oberpfalz wieder über die Schiene transportiert. Möglich wurde dies durch die Bayerische Regionaleisenbahn. Die Gesellschaft hatte zuvor die acht Kilometer lange Strecke nach Maxhütte-Haidhof von der Deutschen Bahn (DB) übernommen und zahlreiche Gleismängel behoben. "Wo sich die DB in der Fläche zurückzieht, weil es für sie rein betriebswirtschaftlich unrentabel wird, kommt die DRE ins Spiel", sagt Geschäftsführer Gerhard Curth. Die DRE - diese Abkürzung steht für Deutsche Regionaleisenbahn, zu der auch die Bayerische Regionaleisenbahn (BRE) mit Sitz in Schwarzenbach in Oberfranken gehört. Und hinter der DRE steckt eine ziemlich clevere Idee von Bahn-Enthusiasten.

Als die Bahn sich Mitte der Neunzigerjahre daranmachte, bundesweit mehr als 500 Strecken stillzulegen und sich mehr und mehr aus der Fläche zurückzuziehen, wollten einige engagierte Bahnkunden dies nicht einfach so hinnehmen - und gründeten die Deutsche Regionaleisenbahn. Die DRE pachtet oder kauft seitdem Bahnstrecken, für die sich sonst niemand mehr interessiert, insbesondere der große Bahnkonzern DB. Die DRE-Leute suchen Partner, die auf diesen Strecken Personen- und/oder Güterzüge fahren lassen möchten.

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Vor allem in den neuen Bundesländern liegen viele DRE-Gleise - genau dort, wo zu DDR-Zeiten die Eisenbahn oft einen wesentlichen Baustein der Mobilität darstellte. Und nach der Wende im Herbst 1989 der reguläre Bahnverkehr häufig eingestellt wurde. Im Westen konzentriert sich die DRE vor allem auf Bayern, wo 96 Kilometer zum DRE-Netz gehören, zum Beispiel die 14 Kilometer lange Strecke von Bayreuth nach Weidenberg. Dort fahren Personenzüge des Betreibers Agilis im Stundentakt. Zusammen mit der BRE, unter deren Regie in Bayern, Thüringen und Sachsen-Anhalt weitere 83 Schienenkilometer stehen, wie etwa die von der Bundeswehr genutzte Strecke Bretleben-Bad Frankenhausen, kommt die Deutsche Regionaleisenbahn auf bundesweit insgesamt 735 Kilometer - sie ist damit nach der Deutschen Bahn die Betreiberin des zweitlängsten Streckennetzes in Deutschland.

Übernimmt die DRE eine Strecke, ist es deren Ziel zunächst einmal, eine Entwidmung und den Abbau der Schienen zu verhindern und die Infrastruktur dauerhaft zu erhalten. Dazu gehört, das Grün entlang der Strecken regelmäßig zurückzuschneiden, damit die Gleistrassen nicht zuwachsen. Pro Jahr kommen allein dafür Kosten von etwa 4000 Euro pro Kilometer zusammen. In einem zweiten Schritt geht es dann darum, stillgelegte Verbindungen wieder zu reaktivieren, also wieder einen regelmäßigen Zugverkehr auf die Beine zu stellen.

In Bayern setzt sich die Fraktion der Grünen aktiv für Reaktivierungen alter Strecken ein - hier die Fraktionsmitglieder bei einer Tagung. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

41 Strecken konnten so bereits gerettet werden, heißt es bei der DRE. Dennoch verkehren derzeit nur auf etwa der Hälfte des DRE-Netzes Züge von Partnerunternehmen. Das zeigt: Erhalt und Reaktivierung alter Bahnstrecken ist ein mühsames Geschäft, von dem normalerweise in der Öffentlichkeit kaum jemand Notiz nimmt. Doch zuletzt hat sich das geändert - paradoxerweise durch einen prominenten Autohersteller: Der US-Konzern Tesla will in Brandenburg im großem Stil Elektroautos produzieren und ist für den Transport von Material und Fahrzeugen an einer 3,5 Kilometer langen DRE-Bahnlinie interessiert, die zu seinem künftigen Werk nach Grünheide führt.

Laut DRE-Chef Curth möchte Tesla die Strecke, die von Fangschleuse nach Freienbrink führt, gerne verlegen; schließlich trennt sie den Tesla-Standort östlich von Berlin derzeit in zwei ungleiche Teile. "Die Abstimmungen hierüber laufen noch. Wir hoffen auf eine Verständigung noch in diesem Jahr", sagt Curth. Und er betont, dass er das Güterverkehrszentrum im nahen Freienbrink gerne weiterentwickeln möchte - dorthin fuhren Züge zuletzt Anfang 2019. Mit Tesla könnte sich das ändern, hofft Curth. Zuglängen von bis zu 600 Metern wären auf der Nebenstrecke möglich, Höchsttempo: 40 Kilometer pro Stunde.

Bremsen die Bundesländer?

Auch in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gehören der DRE viele Trassen. "Grundsätzlich gibt es derzeit durch die in Aussicht gestellte Aufstockung von EU- und Bundesmitteln gute Chancen für die Reaktivierung von Bahnstrecken", glaubt Curth. Entscheidend sei aber der politische Wille der Bundesländer - und da fehle vor allem in Brandenburg und Sachsen-Anhalt das Interesse, weil die dortigen Busbetriebe die Bahn als Konkurrenz ansähen.

Curth, der auch dem Deutschen Bahnkunden-Verband vorsteht, setzt beim Erhalt von Zugstrecken auch auf sogenannte Bürgerbahnen. Dabei bieten Vereine mit eigenen Fahrzeugen beispielsweise zu besonderen Tagen einen Ausflugsverkehr an. "Es ist wichtig, stillgelegte Strecken in den Alltag zurückzuholen", sagt Curth. "Auch eine Ausflugsbahn kann dazu beitragen." Ein Beispiel dafür ist die Rodachtalbahn in Oberfranken, die nach jahrelanger Pause seit 2007 wieder fährt - dank des Engagements von 130 Vereinsmitgliedern. Die Museumsbahn mit den historischen Triebwagen aus den Fünfzigerjahren verkehrt an Sonn- und Feiertagen zwischen Mai und Oktober auf einer elf Kilometer langen DRE-Strecke zwischen Steinwiesen und Nordhalben. Wegen der Corona-Pandemie fielen in diesem Jahr die Fahrten aus, derzeit ruft der Verein zu Spenden auf, um Strecke und Fahrzeuge auch künftig in Schuss halten zu können. Das Beispiel zeigt: Der dauerhafte Erhalt der ehrenamtlich betriebenen Bahnen steht mitunter auf wackligen Füßen.

Ähnlich läuft es in Passau. Dort fuhr nach fast 20 Jahren Stillstand im September erstmals wieder ein Personen-Sonderzug vom Hauptbahnhof Passau über den Inn in den Stadtteil Rosenau. Ziel eines lokalen Fördervereins ist es, den Verkehr auf der als Granitbahn bekannten Linie bis ins 25 Kilometer entfernte Hauzenberg in einigen Jahren zu verlängern. Ein ehrgeiziges Ziel, für das die Ehrenamtlichen im wahrsten Sinne des Wortes viel Kraft benötigen: "Wir brauchen Motorsägen, Motorsensen mit Faden, Astscheren", heißt es im Aufruf an die Mitglieder zum Arbeitseinsatz, um eine Teilstrecke freizuschneiden. Vereinsvorsitzende Heidi Bauer ist jedoch optimistisch: "Wir sind ganz überzeugt, dass die Zeit des Zuges noch kommt", sagte sie dem Bayerischen Rundfunk.

Die Zahl der Fahrgäste soll verdoppelt werden

Zuversichtlich gibt sich auch die DRE, bei der 52 Mitarbeiter im vergangenen Jahr einen Umsatz von drei Millionen Euro erwirtschafteten. Um die Klimaziele zu erreichen, hat die Bundesregierung das Ziel ausgegeben, die Zahl der Bahnfahrgäste bis 2030 zu verdoppeln. Auch der Güterverkehr auf der Schiene soll wachsen, der Anteil von derzeit 19 auf 25 Prozent gesteigert werden. Das kann nach Ansicht von Fachleuten nur durch die Reaktivierung stillgelegter Strecken gelingen. Nach letzten Berechnungen beträgt die Länge des deutschen Bahnnetzes 38 500 Kilometer. 1994, als die (westdeutsche) Bundesbahn mit der Reichsbahn der DDR zur Deutschen Bahn AG verschmolzen wurde, betrug die Streckenlänge noch 44 600 Kilometer.

Mit der Bahnreform damals "war programmiert, dass viele Strecken den Bach runtergehen", sagt Curth und verlangt grundsätzliche Veränderungen in der Verkehrspolitik. So erhalte die DB über sogenannte Leistungs- und Finanzierungsvereinbarungen Geld vom Bund für den Unterhalt ihres Schienennetzes, "die anderen Bahnen bekommen nichts", sagt Curth. "Diese Ungleichbehandlung muss beseitigt werden."

Kleine Erfolge jedenfalls können Curth und seine Mitstreiter von der DRE immer mal wieder vermelden. So gebe es zum Beispiel für eine Strecke in der Altmark in Sachsen-Anhalt mit einer Kiesgrube in der Nähe konkrete Anfragen von Kunden, die den Verkehr über die Schiene und nicht über die Straße abwickeln wollen. Und auch in Passau habe die DRE kürzlich vom Hauptbahnhof zum Anleger für die Donau-Kreuzfahrtschiffe eine Bahnverbindung geschaffen - dort, wo bis zur Corona-Krise jährlich 200 000 Reisende gezählt wurden.

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