Verkehrssicherheit:Mehr Platz für Radfahrer

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Radfahrer sollten künftig mehr Platz haben, finden die Fachleute des Deutschen Verkehrsgerichtstags. (Foto: Arne Dedert/dpa)

Immer mehr Menschen nutzen das Fahrrad, gleichzeitig steigt die Zahl der Radfahrer, die bei Unfällen getötet oder verletzt werden. Was also tun? Fachleute empfehlen eine Umverteilung des vorhandenen Verkehrsraums.

Von Joachim Göres

Die Zahl der Radfahrerinnen und Radfahrer steigt, vor allem in den Städten sind immer mehr Menschen mit dem Fahrrad (oder dem Pedelec) unterwegs. Gleichzeitig wächst aber auch die Zahl der Unfälle, an denen Radfahrerinnen und Radfahrer beteiligt sind. Wie also lässt sich das Problem lösen? Wie kann, auch aus Gründen des Klimaschutzes, der Radverkehr gefördert - und gleichzeitig die Verkehrssicherheit verbessert werden? Diesen Fragen gingen in dieser Woche Fachleute auf dem Deutschen Verkehrsgerichtstag (VGT) in Goslar nach. Die auf der Tagung gefassten Beschlüsse münden nicht selten in Gesetze und Verordnungen - wenn auch meist mit zeitlicher Verzögerung. Die wichtigsten Fragen und Antworten rund um das Thema:

Wie ist aktuell die Ausgangslage in Sachen Radverkehr?

Im Rahmen der angestrebten Energie- und Verkehrswende soll der Radverkehr in Deutschland stark ausgebaut werden. Schon in den vergangenen Jahren hat er deutlich zugenommen, insbesondere durch die steigende Nutzung von Pedelecs, also von Fahrrädern mit einem elektrischen Hilfsmotor. Allein im Jahr 2020 wurden etwa fünf Millionen Fahrräder in Deutschland verkauft, der Gesamtbestand hat mit geschätzt etwa 80 Millionen Rädern und Pedelecs einen neuen Höchststand erreicht.

Wie haben sich die Unfallzahlen entwickelt?

Gestiegen ist seit 2000 die Zahl der bei Unfällen getöteten und verletzten Radfahrerinnen und Radfahrer. Im vergangenen Jahr kamen 372 Radfahrer bei Verkehrsunfällen in Deutschland ums Leben, 14 966 wurden schwer verletzt. Erstmals verunglückten 2020 innerorts mehr Personen mit einem Fahrrad als mit dem Pkw. Kritiker beklagen häufig zu schmale oder fehlende Fahrradwege. So gibt es nur an 18 Prozent der Kreisstraßen, an 27 Prozent der Landstraßen und 41 Prozent der Bundesstraßen Fahrradwege. Auch bemängeln Fachleute immer wieder die zu wenig durchgängig befahrbaren Radwegnetze. Als besonders risikoreich gelten beispielsweise Grundstückszufahrten wie Firmengelände, Tankstellen und Supermärkte; fast jeder fünfte Radunfall mit einem Pkw ereignet sich an einer solchen Gefahrenstelle. Experten beobachten zudem immer häufiger ein rücksichtsloses Verhalten, wenn Auto- und Radfahrer im Verkehr aufeinander treffen und eine zunehmende Flächenkonkurrenz, die sich unter anderem in häufig zugeparkten Radwegen äußert.

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Was empfiehlt der Deutsche Verkehrsgerichtstag?

Die schon vorhandenen Regeln zur Planung und zum Bau von Radverkehrsanlagen sollten auch tatsächlich umgesetzt werden, fordert die für den Fahrradverkehr zuständige Arbeitsgruppe auf dem VGT. Außerdem sollte der Gesetzgeber das Radfahren unter Alkoholeinfluss stärker bekämpfen. Ferner müssten aus Sicht der Fachleute das Gewicht und die Maße von Pedelecs, von Lastenrädern und Gespannen gesetzlich begrenzt werden, da die Fahrradinfrastruktur dafür schlicht nicht ausgelegt sei. Auch seien Ordnungsbehörden und Polizei gefordert, die bestehenden Regeln durch mehr Kontrollen durchzusetzen - dazu müssten Länder und Kommunen die Behörden mit deutlich mehr Personal ausstatten. Der Fahrradhandel sollte Pedelec-Fahrerinnen und -Fahrern ein Fahrtraining anbieten. Und bei Kindern und Jugendlichen sollte in der Schule mehr Wert auf Verkehrsausbildung gelegt werden.

Gibt es weitere Empfehlungen?

Ja. Ein wichtiger Punkt in den Debatten beim VGT spielte eine mögliche Neuaufteilung des Verkehrsraumes - und zwar zugunsten des Fahrrades. Nur durch mehr Platz für Radlerinnen und Radler könne auch mehr Sicherheit für diese Gruppe erzielt werden. Wem dieser Platz konkret weggenommen werden soll, ließ der VGT in seiner Empfehlung indes offen. Arne Koerdt, Abteilungsleiter im Verkehrsministerium von Baden-Württemberg, hatte als einer der Referenten des zuständigen Arbeitskreises betont: "Um mehr Platz für den Radverkehr zu schaffen, muss man Autos fürs Fahren und Parken Fläche wegnehmen. Dafür braucht es politischen Mut." Die Befürchtung, dass es zu Protesten gegen eine solche Umverteilung des Straßenraums kommen werde, teilt er nicht. "Wir haben in Baden-Württemberg eine repräsentative Befragung durchgeführt, wonach 77 Prozent weniger Autoverkehr befürworten."

Wie kommen die Empfehlungen des VGT zustande?

Am Verkehrsgerichtstag nehmen jedes Jahr Fachleute aus Justiz, Behörden, Polizei, Versicherungen, Industrie, Wissenschaft, aus der Politik und zahlreichen Verkehrsverbänden teil, unter anderem von Automobilclubs wie dem ADAC, aber auch des Radfahrerverbands ADFC. Er zählt zu den wichtigsten Treffen von Fachleuten für Verkehrssicherheit und Verkehrsrecht in Deutschland. In Arbeitskreisen werden zahlreiche Themen diskutiert, Referenten und Teilnehmer tragen diverse Vorschläge zur Verbesserung der Verkehrssicherheit vor; am Ende wird darüber abgestimmt. Jeder Teilnehmerin, jeder Teilnehmer hat eine Stimme.

Wie sind die Chancen auf Umsetzung der Empfehlungen?

Der VGT hat in der Vergangenheit häufig Anstöße für neue gesetzliche Regelungen gegeben, so zum Beispiel bei der Einführung einer Entschädigung für Angehörige, die ein Familienmitglied durch einen Verkehrsunfall verloren haben. Häufig entwickeln die Empfehlungen aus Goslar auch eine indirekte Wirkung: Die dort diskutierten Themen geraten stärker in den Blick der Öffentlichkeit; und es wächst der Druck, zu neuen Regelungen zu kommen.

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Welche Positionen vertreten die verschiedenen Verkehrsclubs beim Thema sicherer Radverkehr?

Für den ADAC sind ausreichend breite Radwege an Hauptverkehrsstraßen wünschenswert. Deren Ausbau sollte möglichst nicht zu Lasten des Autoverkehrs gehen. Der Auto Club Europa (ACE) fordert neben dem Ausbau von Radwegen, Fahrradstraßen und Fahrradabstellanlagen sowie der besseren Pflege der vorhandenen Fahrradinfrastruktur, dass die Radverkehrsplanung und -förderung bei Kommunen, Ländern und dem Bund zur Pflicht wird. Der Radfahrerverband ADFC geht über solche Forderungen weit hinaus: Er macht sich unter anderem für ein Tempolimit von 70 Stundenkilometern auf Landstraßen ohne Radwege sowie für eine Erhöhung des Bußgeldes bei zu dichtem Überholen von Radfahrern von 30 auf mindestens 70 Euro stark.

Was sagt Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) zum Thema Radverkehr?

Wissing kündigte beim VGT an, die in diesem Jahr im Bundeshaushalt vorgesehenen Mittel für die Fahrradinfrastruktur in Höhe von mehr als 750 Millionen Euro bis 2028 "verstetigen" zu wollen. Nach seinen Worten soll Deutschland Fahrradland werden. Dazu zählen für ihn Radwege mit einer Mindestbreite von 2,50 Meter je Richtung sowie der massive Ausbau von Fahrrad-Parkhäusern und diebstahlsicheren Abstellplätzen. "Fahrräder haben heutzutage einen anderen Wert als in der Vergangenheit", sagte Wissing. Deshalb brauche es beispielsweise an Bahnhöfen sichere Abstellmöglichkeiten. Für einen schnellen Ausbau von Fahrradparkhäuser sei angesichts des Fachkräftemangels auch eine serielle Fertigung denkbar.

Der Minister ließ aber offen, ob die im Koalitionsvertrag festgelegte Änderung des Straßenverkehrsgesetzes wirklich kommt. Dieses ist die Grundlage für die Straßenverkehrsordnung. Die derzeitigen gesetzlichen Regelungen behindern laut ADFC die Anlage von Radfahrstreifen und die Anordnung von Tempo 30 innerorts. Die Ampelkoalition hatte sich eigentlich darauf geeinigt, das Straßenverkehrsgesetz um neue Ziele wie Klima-, Umwelt- und Gesundheitsschutz zu ergänzen - und somit auch eine weitgehendere Förderung des Radverkehrs zu ermöglichen.

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