New York ist bekannt als Stadt der Superlative. Auch das Image New Yorks als neue Fahrradstadt wurde maßgeblich von einem Superstar geprägt: Schauspieler Leonardo DiCaprio ist bekannt dafür, Manhattan bevorzugt auf zwei Rädern zu erkunden. Glaubt man der einschlägigen Klatschpresse, sind die Radtouren der ultimative Beziehungstest, dem sich jede neue Lebensabschnittsgefährtin des Umweltaktivisten unterziehen muss. Das ist natürlich sexistischer Quatsch. Auch wenn Radfahren in New York tatsächlich ein Test sein kann - für die geistige und die körperliche Gesundheit.
Das liegt zum einen am Zustand der Straßen: Von der gleichmäßig geteerten Fahrbahn-Idylle vieler westeuropäischer Großstädte ist New York unzählige Schlaglöcher entfernt. Stellenweise erinnern die überlappenden und stümperhaft verbundenen Asphalt-Stücke an eine unansehnliche großflächige Narbe. Zu den Buckelpisten-Verhältnissen kommen hupende Autos, schlingernde LKW, rasant überholende Fahrradkuriere und Fußgänger, die unvermittelt auf Radwegen auftauchen. Diese werden auch gerne mal blockiert, selbst von jenen, die es eigentlich besser wissen müssten - das dokumentiert der Tumblr "Cops in Bike Lanes". Zu sehen gibt es: Polizeiautos, die auf Radwegen parken.
Das Fahrrad als Verkehrsmittel - wie wird es in Ihrer Stadt genutzt, was funktioniert gut, woran hapert es? Diese Fragen haben wir den Auslands-Korrespondenten der SZ gestellt, ihre Texte dazu lesen Sie hier und alle Teile der Serie unter Radfahren in Städten.
Fahrradfahren im "Concrete Jungle" von New York ist im besten Fall eine Herausforderung. Im schlimmsten Fall kann es lebensgefährlich sein. An verschiedenen Stellen in der Stadt erinnern weiß angemalte Fahrräder - sogenannte Ghost Bikes - an einen tödlich verunglückten Radfahrer. Während die Zahl der im New Yorker Straßenverkehr getöteter Fußgänger 2017 ein Allzeit-Tief erreichte, stieg die Zahl tödlich verunglückter Radfahrer im Vergleich zum Vorjahr an: von 18 auf 23. (Zum Vergleich: In Berlin starben im vergangenen Jahr zehn Radfahrer bei Unfällen.) Das dürfte auch damit zusammenhängen, dass sich seit einigen Jahren immer mehr New Yorker regelmäßig aufs Rad schwingen. Trotz aller Risiken.
Von der U-Bahn gefrustete New Yorker pendeln mit dem Rad
Im vergangenen Jahr zählte die Stadt der New York Times zufolge durchschnittlich 450 000 Fahrradfahrten täglich - 2005 waren es noch 170 000 pro Tag. Jede fünfte Fahrt ist mittlerweile auf einen Pendler zurückzuführen. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass es mancher Radfahrer offenbar als stressfreier empfindet, sich oberirdisch durch den New Yorker Verkehr zu kämpfen, als unter der Erde mal wieder auf die U-Bahn zu warten. Die meisten U-Bahn-Linien sind in Richtung Manhattan ausgerichtet - wer vom Norden Brooklyns zum Arbeiten in den Süden muss, oder von Queens in die Bronx, ist oft lange unterwegs und muss oft umsteigen. Das Rad kann da einen echten Zeitvorteil bringen.
Wobei viele New Yorker gar kein eigenes Fahrrad besitzen, sondern Leihfahrräder nutzen. Sie sind es gewohnt, zu teilen: Appartements, Gemeinschaftsbüros, Mitfahrgelegenheiten. Warum also nicht auch Fahrräder?
Der Erfolg von Bikesharing im Big Apple kommt nicht von ungefähr. New Yorks Straßen sind voll. Mit Autos, Menschenmassen und nicht zuletzt: Mülltonnen. Stellplätze für Fahrräder? Eigentlich nicht vorgesehen. Um eine der beengtesten Metropolen der Welt zur Fahrradstadt zu machen, mussten sich New Yorks Stadtplaner also etwas einfallen lassen. 2011 schrieb das Department of Transportation (DOT) den Auftrag für ein stadtweites Bikesharing-Programm aus. Im Mai 2013 ging "Citibike", benannt nach dem Hauptsponsor Citibank, an den Start.
Radfahrer sollen an Kreuzungen einen Vorsprung bekommen
Mittlerweile umfasst die Flotte 12 000 Räder, die an mehr als 700 Stationen ausgeliehen und wieder angedockt werden können. Derzeit haben 146 000 Nutzer eine Jahres-Mitgliedschaft abgeschlossen. Kostenpunkt: 169 Dollar. (Ein Monatsticket für die U-Bahn liegt bei 121 Dollar.)
Für zwölf Dollar am Tag können Touristen bei schönem Wetter eine Runde durch den Central Park drehen oder auf der Westseite Manhattans den Hudson River entlang radeln, von Washington Heights bis hinunter ins Financial District. Der Blick auf Jersey City lässt sich dabei stressfrei genießen - Radfahrer müssen sich die Fahrbahn hier nicht mit Autofahrern teilen, der zweispurige Radweg verläuft parallel zur vielbefahrenen West Street.
Tragischerweise suchte sich ein Attentäter im Oktober vergangenen Jahres genau diesen geschützten Radweg als Anschlagsziel aus. Acht Menschen starben, als er einen gemieteten Pick-up Truck auf die Fahrradspur lenkte. Es war auch ein Anschlag auf das moderne, nachhaltige New York. Doch die Stadt hat nicht zum ersten Mal gezeigt, dass sie sich vom Terror nicht beirren lässt. Die neu entdeckte Liebe fürs Radfahren ist ungebrochen.
Was Woody Allen von einem Radweg auf der Upper East Side hält
Darauf versucht auch die Politik einzugehen: Bürgermeister DeBlasio hat angekündigt, das Netz geschützter Radwege in der Stadt weiter ausbauen zu wollen. Außerdem sollen Radfahrer an Kreuzungen künftig wie Fußgänger einen Vorsprung von mehreren Sekunden bekommen. Weil in den USA Abbieger-Ampeln unüblich sind, kommt es hier besonders oft zu Unfällen mit Fußgängern und Radfahrern. Außerdem arbeitet Citibike kontinuierlich daran, seine Leihrad-Flotte in immer mehr Gegenden zugänglich zu machen. Wenn es in der Vergangenheit Kritik am Bikesharing-Programm der Stadt gab, dann vor allem weil sozial benachteiligte Viertel wie die Bronx sowie der Osten von Queens und Brooklyn bislang weitgehend unerschlossen sind.
Neben einem prominenten Fan hat die Fahrradstadt New York im Übrigen auch einen namhaften Gegner. Regisseur Woody Allen wehrte sich per E-Mail an den Gemeinderat, als in seiner Nachbarschaft auf der Upper East Side vor einigen Zeit ein neuer Radweg angelegt werden sollte. Die Fahrradspur kam trotzdem.