Wer im Sportboot nicht stehen will, braucht Kissen: Jeder noch so spiegelglatte See wird zur Buckelpiste, sobald der Gashebel voll durchgedrückt ist. Schießt der Bug über Wellenkämme hinaus und fällt mit Gischtfontänen zurück, ist es für die Suche nach den Flauschkörpern zu spät. Umweltfreundlich ist der Rodeo-Ritt mit oft dreistelligen PS-Zahlen ohnehin nicht. Im aufreibenden Geschäft der Wasserverdrängung werden konventionelle Motoren zu Spritsäufern - und dem Batterieantrieb geht bald der Strom aus.
Bei der Candela Seven soll alles ganz anders sein. Auf den ersten Blick unterscheidet sich die 7,7-Meter-Yacht allerdings kaum von anderen Flitzern für Seen und Binnenmeere. Carbon-Rumpf, Teak-Deck und Sitze mit dünnsten Dämpferauflagen wirken eher puristisch für ein rund 250 000 Euro teures Boot. Auffallend sind höchstens zwei vertikale Balken hinter den Frontsitzen in leuchtendem Warn-Orange. An Tragflächen lassen sie den Laien nicht denken; die Rennmaschine wirkt nicht viel spektakulärer als eine Elektro-Nuckelpinne im Bootsverleih. Doch das ändert sich, sobald 16 Knoten (etwa 30 km/h) erreicht sind. Schon vorher waren die Balken im Bootskörper verschwunden. Dass sie den Frontflügel tragen und im Millisekundentakt steuern, spüren die Passagiere erst, wenn sich die Candela majestätisch über die Wasseroberfläche erhebt.
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Ohne Flugsteuerung würde das Boot abstürzen - so wie es die Entwickler öfter erlebt haben
Hydrofoils, die fast ohne Wellen durch das Wasser schneiden: Die Ausfahrt über den Starnberger See hat etwas Virtuelles, so ruhig liegt das Elektroboot im Wasser. Selbst beim erlaubten Höchsttempo von 40 km/h könnte man Tee aus flachen Tassen trinken, so wenig schwankt die Candela. Auch die großen Heckwellen des Seedampfers passiert der Hüpfer ohne zu zucken. Kurven lassen sich ohne Krängung kinderleicht fahren, weil das Boot einen flachen Boden hat. Doch man sollte sich nicht täuschen: Es ist alles andere als leicht, einen 1,3 Tonnen schweren Bootskörper beim Tanz über die Kreuzwellen stabil zu halten. Ohne eine spezielle Flugsteuerung mit 92 000 Programmzeilen wäre die Candela Seven mit ihren Stummelflügeln (unter Wasser) so instabil wie ein modernes Kampfflugzeug. "Die ersten Versuche endeten 2017 regelmäßig mit Bauchplatschern auf dem Wasser", erinnert sich Candela-Sprecher Mikael Mahlberg: "Vor allem Kurvenfahrten müssen wegen der Gewichtsverlagerung vorne und hinten genau ausbalanciert werden. Vor gar nicht so langer Zeit wäre diese Inflight-Steuerung mit ihrer Datenverarbeitung nahezu in Echtzeit noch Raumfahrttechnik gewesen. Erst die Smartphones mit einer Vielzahl von Mini-Sensoren und kleinen Hochleistungsrechnern haben die Candela möglich gemacht. Die 20 Entwickler des schwedischen Start-ups nutzen auch die Fortschritte bei der Steuerung von Drohnen und den Carbon-Leichtbau von modernen Hubschraubern. Batterien und Elektromotoren kommen vom Starnberger Spezialisten Torqueedo, der die Energiespeicher von BMW bezieht. Seit 2017 liefert die Dingolfinger Batteriemontage Akkus mit der höchsten für Bootsantriebe erhältlichen Energiedichte - bei niedrigen Kosten pro Wattstunde, wie die Starnberger betonen.
Leicht ist die Batterie mit 273 Kilogramm trotzdem nicht. Deshalb musste Candela die überschüssigen Pfunde (und mehr) mit dem aufwendigen Carbon-Leichtbau wieder herunterhungern. Dabei reicht der Akku für mehrere Stunden im Foiling-Flugmodus, weil er den Fahrtwiderstand um rund 60 Prozent verringert. "Wir hatten ein sieben Meter langes Boot mit V8-Motor", erzählt Candela-Gründer Gustav Hasselskog, der auf einer der kleinen Inseln vor Stockholm lebt. "Jeder Trip in die Stadt kostete rund 50 Euro für Benzin. Deshalb haben wir nach einer effizienteren Alternative gesucht." Weil es kein Elektroboot dieser Leistungsklasse mit rund 100 Kilometer Reichweite gab, startete er 2014 das Candela-Projekt. Schnell wurde klar, dass es ohne Hydrofoils nicht gehen würde. Selbst klassische Tragflügel, die wie Skier über das Wasser gleiten, erzeugen zu viel Widerstand. "Wir diskutieren gerade mit Verantwortlichen für den öffentlichen Nahverkehr in Stockholm, ob man nicht eine größere Candela im Fährverkehr einsetzen könnte - elektrisch angetrieben und autonom fahrend", verrät Hasselskog.
Schneller Fährverkehr ohne Lärm, Dieselabgase und Wellen - das könnte den Transport auf den Wasserwegen vieler Städte revolutionieren. Doch bis dahin ist es noch ein Stück Weg. 20 Boote will Candela in diesem Jahr bauen, 2021 sollen es hundert sein. Bisher sind es ausschließlich Tesla-Fahrer, die sich den Traum vom extrem effizienten Elektro-Boot geleistet haben. Nur etwa 16 Kilowattstunden verbraucht die Candela Seven bei 19 Knoten. Da ist der vergleichsweise schmächtige 75-PS-Motor noch lange nicht am Ende. Er könnte die Sportflunder auf mehr als 50 km/h beschleunigen. Was die geschmeidige "Candela-Federung", wie es die Mitarbeiter lachend nennen, doch etwas straffer werden ließe. Selbst beim gemütlichen Reisetempo von umgerechnet 35 km/h scheinen die anderen Boote auf dem See wie festgefroren zu sein, besonders die Segler schauen dem vermeintlich schwebenden und lautlosen Geisterschiff ungläubig hinterher. Wie alle Ruhesuchende sind sie froh, dass es nur 255 Privatlizenzen für konventionelle Motorboote auf dem Starnberger See gibt. Elektroboote sind von dieser Regelung allerdings ausgenommen. Wer es sich leisten kann, darf also ohne eine zehnjährige Wartezeit mit den Carbon-Planken aufs Wasser. Und einen Flugschein benötigt er auch nicht.