Unterwegs mit der Bundespolizei:Stress am Gleis

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Stets die Züge und die Reisenden im Blick: Eine Streife der Bundespolizei im Münchner Hauptbahnhof. (Foto: Bundespolizei)

Nicht erst seit der tödlichen Attacke vom Frankfurter Hauptbahnhof stehen die Beamten der Bundespolizei im Fokus. Unterwegs mit denjenigen, die an Bahnhöfen und Zugstrecken für Sicherheit sorgen.

Von Marco Völklein

Schlägereien, herrenloses Gepäck, Personen im Gleis - die Bundespolizei soll die Sicherheit an den Bahnhöfen garantieren. Nicht zuletzt nach dem Vorfall in Frankfurt, wo ein Mann eine Frau und deren achtjährigen Sohn vor einen einfahrenden Zug schubste, sind die Beamten besonders gefordert. Unterwegs mit der Dienstgruppe E der Bundespolizeiinspektion München - zunächst in einer Tagschicht und (etwa eineinhalb Wochen später) auch in einer Nachtschicht.

Dienstag, 23.7., 7.00 Uhr, Hauptbahnhof

Schichtbeginn. Vize-Dienstgruppenleiter Mike Kaufmann informiert die Beamten. Um 6.30 Uhr hatten die Kollegen der Nachtschicht einen Polen am Eingang Bayerstraße aufgelesen. Der Mann ist volltrunken. Und er hat Verletzungen an den Knöcheln. Wurde er geschlagen? Vielleicht beraubt? Die Verständigung ist schwierig. Der Pole kann sich kaum artikulieren und spricht weder Deutsch noch Englisch. Er kommt zunächst in eine Zelle zum Ausnüchtern.

8.42 Uhr, Hauptbahnhof

Die Schließfachaufsicht der Bahn hat bei einem Kontrollgang einen offenbar herrenlosen Koffer entdeckt. Ein Routinefall für die Bundespolizisten, ein "NZG", ein nicht zuzuordnender Gegenstand. Kaufmann und drei Kollegen sperren den Schließfachbereich mit Flatterband ab, ein Sprengstoffspürhund wird angefordert. Bahnkunden indes, die ihr Gepäck holen und ihre Züge erreichen wollen, müssen warten. Nicht jeder sieht das ein, mancher schimpft laut.

9.09 Uhr, Hauptbahnhof

Vom Bahnhofsvorplatz her tönt ein Martinshorn. "Der Hund kommt", sagt Kaufmann. Hundeführer Mario Bornkessel lässt "Herkules" zunächst benachbarte Schließfächer beschnüffeln, dann führt er den Hund an den fraglichen Koffer heran. Wäre Sprengstoff darin, würde sich Herkules flach auf den Bauch legen. Der Hund aber bleibt aufrecht. "Gut so", sagt Julia Trentzsch, die als zweite Hundeführerin dabei ist. "Sonst hätten wir jetzt umfangreichere Maßnahmen einleiten müssen."

10.14 Uhr, Hauptbahnhof

In der Dienststelle sitzt eine Beamtin vor einem Monitor. Videoaufnahmen aus einer S-Bahn sind zu sehen, Menschen steigen ein, andere aus. An einer Tür kommt es zu einer Rangelei; die Beamtin sichert die Aufnahmen, druckt Fotos aus, auch das Video geht an die Staatsanwaltschaft. "Ich verstehe nicht, wie man sich in der S-Bahn noch schlägern kann", sagt Dienstgruppenleiter Kaufmann. "Mittlerweile dürfte doch bekannt sein, dass jede Münchner S-Bahn mit Kameras ausgestattet ist." Insbesondere für die Aufklärung von Straftaten seien die Bilder wichtig, sagt Kaufmann. Werteten die Beamten der Münchner Inspektion 2015 noch 1228 Aufnahmen aus, waren es 2018 bereits 1761. Zumal auch in immer mehr Bahnhöfen Kameras hängen. Diese ständig im Blick behalten kann aber niemand. Dazu fehlt schlicht das Personal.

10.53 Uhr, Bahnhof Trudering

Ein Lokführer hat eine Frau im Gleisbereich gemeldet. Eine Bundespolizeistreife rast mit Blaulicht und Martinshorn in den Münchner Osten, auch zwei Streifen der Landespolizei eilen herbei, um den Bereich abzusuchen. Parallel lässt Kaufmann den Streckenbereich rund um den Bahnhof Trudering sperren. "Auch wenn das die Bahn und viele Fahrgäste nervt", sagt Kaufmann. "Menschenleben haben Vorrang."

11.15 Uhr, Bahnhof Trudering

Trotz intensiver Suche finden die Beamten die Frau nicht. Ein Fehlalarm. Kaufmann lässt die Streckensperrung aufheben. Die Fern-, Regional- und Güterzüge sowie S-Bahnen können dort nun wieder rollen.

12.50 Uhr, Hauptbahnhof

Der zweite Einsatz für Spürhund Herkules. Wieder ein NZG, wieder schlägt der Hund nicht an. Die Tasche landet im Fundbüro.

14.32 Uhr, Hauptbahnhof

Die Beamten Michael Fischer und Lydia Egger starten einen Streifengang durch die Haupthalle. Mit dabei: zwei Polizeianwärter. Die Bundespolizei bildet intensiv aus, viele Dienststellen leiden unter Personalmangel - nicht nur, weil 2015 viele Beamte von Bahnhöfen und Flughäfen zum Kontrolldienst an der Grenze zu Österreich abgezogen wurden. Die Sollstärke der Dienstgruppe E umfasst etwa 30 Beamte, tatsächlich stehen im Dienstplan nur knapp 20.

14.54 Uhr, Hauptbahnhof

Streifenbeamter Fischer spricht einen Mann an, der durch den Bahnhof torkelt. Die Abfrage per Funk ergibt, dass die Bahn gegen ihn ein Hausverbot verhängt hat. Fischer und seine Kollegin Egger weisen den Mann aus dem Bahnhofsgebäude.

14.50 Uhr, Hauptbahnhof

Der Pole ist mittlerweile ansprechbar, zudem ist eine Dolmetscherin eingetroffen. Der Mann sagt, dass ihm 5000 Euro fehlen. Wie die abhanden gekommen sind, kann er sich aber nicht erklären. Einen Streit jedenfalls hat es wohl nicht gegeben.

Hier sichert ein Beamter Videoaufnahmen. (Foto: Axel Heimken/dpa)

15.19 Uhr, Hauptbahnhof

Michael Fischer und Lydia Egger haben erneut mit dem torkelnden Mann zu tun. Am Eingang Bayerstraße will er wieder in den Bahnhof, schreit rum, wirft seine Jacke auf den Boden. Fischers Ton wird rauer: "Wollen Sie mitkommen auf die Dienststelle?" "Nein", sagt der Mann. "Ich geh' nach Hause." Die Beamten ahnen bereits: Den Mann werden sie heute noch öfter antreffen.

18.15 Uhr, Hauptbahnhof

Mitarbeiter der Bahnsicherheit rufen die Bundespolizisten ins Tiefgeschoss. Ein 31-Jähriger sitzt auf der Bahnsteigkante und lässt die Beine ins Gleis baumeln. Eine gefährliche Situation: Anfang Juli war ein Mann bei einer ähnlichen Aktion in Oberschleißheim von einem Zug erfasst und verletzt worden. Der 31-Jährige, der 3,13 Promille hat, muss mit auf die Wache. Dort schlägt er mit dem Kopf gegen die Zellenwand und übergibt sich mehrfach. Ein Rettungswagen bringt ihn in eine Klinik.

19.00 Uhr, Hauptbahnhof

Offizieller Dienstschluss für die Dienstgruppe E; nach zwölf Stunden im Dienst. Nicht selten aber kommt es vor, erzählen die Beamten, dass sie länger bleiben - etwa weil ein Einsatz noch nicht beendet ist.

Nach einigen weiteren Tagesdiensten sowie freien Tagen zur Erholung und einigen Tagen zur Aus- und Fortbildung rücken die Beamten der Dienstgruppe E zehn Tage später zu einer Nachtschicht an. Freitag, 2.8., 18.59 Uhr, Hauptbahnhof Noch vor Dienstbeginn gibt es einen Feueralarm im Tiefgeschoss. Alle Streifen helfen bei der Räumung des S-Bahnhofs, ebenso Kollegen der Bahnsicherheit und der städtischen U-Bahnwache. Die S-Bahnen lassen den Halt am Hauptbahnhof aus.

19.02 Uhr, Hauptbahnhof

Ein Löschzug der Feuerwehr trifft ein, die Helfer kontrollieren den Brandmelder in einer Bäckerei - Fehlalarm. Die Bundespolizisten geben das Tiefgeschoss wieder frei.

19.20 Uhr, Hauptbahnhof

Mit etwas Verzögerung beginnt die Dienstbesprechung. Vor wenigen Tagen ereignete sich die Attacke in Frankfurt. "Wegen des Vorfalls dort", sagt Dienstgruppenleiterin Kathrin Weigel, "sieht der Einsatzbefehl verstärkte Präsenz am Bahnsteig vor." Ein Kollege ergänzt: "Bitte nicht nur den Querbahnsteig bestreifen, sondern auch die Bahnsteige selbst." Der Münchner Hauptbahnhof ist ein Sackbahnhof, das bedeutet lange Wege für die Beamten. Zusätzliche Kräfte dafür gibt es heute allerdings nicht. Die mobile Unterstützungseinheit der Bundespolizei wird voraussichtlich erst wieder am Sonntag anrücken.

21.20 Uhr, Hauptbahnhof

Bahn-Mitarbeiter im ICE 725 haben um Hilfe gebeten. Im Speisewagen habe es eine verbale Auseinandersetzung mit fünf bis sechs jungen Männern gegeben. Gegen 21.35 Uhr wird der Zug auf Gleis 19 erwartet. Drei Beamte gehen zum Bahnsteig, auch Hundeführer Bornkessel ist mit dabei. Herkules ist nicht nur Spür-, sondern auch Schutzhund - und wirkt als solcher auf Randalierer durchaus einschüchternd.

21.36 Uhr, Hauptbahnhof

ICE 725 trifft ein, die DB-Mitarbeiter erklären, die jungen Männer hätten laut Musik gehört und auch auf die Bitten, sie leiser zu drehen, nicht reagiert. Eine Anzeige stellt niemand, die Bahner wollen nur heim. Die Bundespolizisten indes haben mit den Männern noch zu tun: Einer ist stark angetrunken, diskutiert mit den Beamten, will den Bahnhof nicht verlassen. Seine Freunde reden ihm gut zu, die Bundespolizisten begleiten die Gruppe nach draußen. Erst gegen 22.10 Uhr verlässt sie den Bahnhof.

22.26 Uhr, Südbahnhof

Ein Fahrdienstleiter der Bahn meldet, er habe Graffiti-Sprayer in Gleisnähe gesichtet. Eine Streife eilt los, ebenso Hundeführer Bornkessel mit Herkules. Der Zugverkehr auf dem Südring wird gestoppt.

22.37 Uhr, Südbahnhof

Über Funk kommt die Meldung: "Diensthund hat zwei Personen gestellt." Es handelt sich aber nicht um Sprayer, sondern um Rumänen, die sich in einem abbruchreifen Bahngebäude häuslich eingerichtet haben. Trotz verhängter Streckensperrung rauschen weiter Züge vorbei. "Hat wohl nicht funktioniert", sagt der Streifenbeamte Martin Aley. Den Rumänen erteilen die Polizisten einen Platzverweis, ebenso vier Jugendlichen, die hinter einem Zaun in Gleisnähe Bier getrunken haben.

22.40 Uhr, Südbahnhof

Es hat angefangen zu regnen. "Erfahrungsgemäß wird es dann ruhiger", sagt Aley. Tatsächlich fällt in dieser Nacht kaum noch etwas an, außer einigen NZG, einer Schlägerei am Ostbahnhof und einer Graffiti-Schmiererei in einer Abstellanlage für S-Bahnen in Deisenhofen. Um sieben Uhr morgens endet die Nachtschicht.

© SZ vom 10.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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