Infrastruktur:Brücken, die bröckeln

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Neben Sturmschäden, Temperaturschwankungen und aggressivem Tausalz setzt vor allem der stark gewachsene Schwerlastverkehr den Bauwerken zu. (Foto: Boris Roessler/dpa)

Immer mehr Brücken in Deutschland sind marode. Schuld ist vor allem der Lkw-Verkehr. Es fehlt nicht nur das Geld, um die Schäden zu beheben.

Von Annkathrin Weis

Stefan Tiefenmoser parkt den orangefarbenen VW-Bus etwa 50 Meter entfernt von der Brücke in Unterhaching-Ost bei München. An diesen Mittwochvormittag knöpft sich der Bauingenieur der Autobahndirektion Südbayern das Bauwerk an der A 8 vor. Die wärmeren Temperaturen eröffnen die Saison, von nun an kontrollieren er und seine Kollegin Natalie Zunac bis in den Herbst hinein Dutzende Brücken. Hammer, Klemmbrett, Warnweste - mehr braucht es nicht, um eine einfache Bauwerksprüfung vorzunehmen. In der Vergangenheit ist die Brücke nur durch kleine abgeplatzte Stellen im Putz aufgefallen, auch ein Teil des Schneezauns war verrostet. Mit dem Hammer klopft Tiefenmoser die betroffenen Stellen ab und sucht gleichzeitig nach neuen Schäden. Doch nichts beeinträchtigt die Verkehrssicherheit. Auch Zunac ist zufrieden. Der Brücke in Unterhaching geht es gut, Zustandsnote: 1,9.

Diese Überprüfung müssen die Bauingenieure spätestens alle drei Jahre vornehmen. Sie begutachten die Brücken und dokumentieren die Ergebnisse in einer Datenbank, in der die Geschichte eines jeden einzelnen Bauwerks über Jahrzehnte hinweg verzeichnet ist. Wer sich die Daten anschaut, der sieht: Den meisten Straßenbrücken in Deutschland geht es zwar gut. Von den knapp 40 000 Brücken an Bundesfernstraßen sind nur 1,7 Prozent in einem mangelhaften bis ungenügenden Zustand. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn unterm Strich verschlechtert sich der Zustand vieler Brücken zusehens, Fachleute wie der Baustatiker Norbert Gebekken warnen bereits vor einer "Zeitbombe". Und das wird nicht nur immer dann deutlich, wenn große Bauwerke, etwa die alte Schiersteiner Brücke bei Wiesbaden oder die Rheinbrücke zwischen Leverkusen und Köln, teilweise gesperrt werden, weil ihr Zustand bedenklich ist. Sturmschäden, Temperaturschwankungen, das aggressive Tausalz, vor allem aber das starke Verkehrswachstum nagen am Beton.

Für den neuen Brücken-TÜV fehlt die Handlungsanweisung

Nach dem Unglück im italienischen Genua, bei dem im August 2018 eine mehr als 200 Meter lange Brücke einstürzte, kündigte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) einen zusätzlichen Überwachungsmechanismus an: Beim Brücken-TÜV, den Fachleute als "Traglastindex" bezeichnen, sollen die Ingenieure noch tiefer als bei den bisherigen Überprüfungen in das Bauwerk reinschauen. Bislang knöpfen sie sich Brücken bei zeitlich versetzten Hauptuntersuchungen, bei einfachen Überprüfungen und laufenden Beobachtungen vor - und stufen sie in Zustandskategorien ähnlich wie bei Schulnoten von eins bis vier ein. Eins steht für sehr gut, vier bedeutet ungenügend.

Bis Ende 2019 sollen nun zusätzlich alle Brücken des Bundesfernstraßennetzes einer statischen Beurteilung oder sogar Neuberechnung unterzogen werden. Das sieht zumindest Scheuers Plan vor. Doch bislang wissen Praktiker wie Zunac und Tiefenmoser nicht, wie das laufen soll. Zu den genauen Abläufen hat Scheuers Ministerium noch keine Informationen veröffentlicht. Bis dahin halten es die Behörden wie bislang: Sie berechnen die Brückenstatik auch ohne die neue gesetzliche Aufforderung in den Fällen, in denen sie es für angebracht halten, etwa dann, wenn sich der Zustand als schlecht erweist. Ist Scheuers Brücken-TÜV also nur Symbolpolitik? "Uns liegt noch keine detaillierte Handlungsanweisung zum Brücken-TÜV vor", sagt Bauingenieurin Zunac. "Die Betrachtungen nehmen wir aber ohnehin schon vor. Neu wird aber sein, dass die einzelnen Punkte der Überprüfung zusammenfassend in einer Datenbank dargestellt werden."

Vor den Sanierungsmaßnahmen überprüfen Ingenieure der Straßenbauverwaltungen mittels regelmäßiger Checks den Zustand der einzelnen Bauwerke und dokumentieren das in umfangreichen Datenbanken. (Foto: Annkathrin Weis)

Straßenüberführungen können 50 bis 100 Jahre lang halten - eigentlich

Eigentlich gehen Brückenbauer davon aus, dass so eine Straßenüberführung 50 bis 100 Jahre alt werden kann. In der Praxis aber funktioniert das nicht immer. Norbert Gebekken beschäftigt sich an der Universität der Bundeswehr in München schon seit Jahren mit der Tragfähigkeit und der Lebensdauer der Bauwerke. Für ihn könnten bröckelnde Brücken zu einem "schweren Erbe für die nachfolgende Generation" werden. Für die Techniker sei es schwierig, schon im Vorhinein abzuschätzen, welchen Belastungen die Bauwerke über einen Zeitraum von mehr als 50 Jahren ausgesetzt seien.

So hätten die Ingenieure vor Jahren kaum damit gerechnet, dass heutzutage Massen von Lastwagen mit schweren Gütern über die Straßen rollen. "So kann es sein, dass eine immer noch gemäß Planung intakte Brücke das Verkehrsaufkommen nicht mehr bewältigen kann", sagt Gebbeken. Mit dem Brücken-TÜV sollen die Fachleute solche Schwächen aufspüren können.

Die Techniker der Autobahndirektion Südbayern hätten die Situation zwar unter Kontrolle, sagt Sachgebietsleiter Stephan Geuder. Seit Jahren sei der Anteil der als ungenügend eingestuften Brücken nicht gestiegen. Zugleich kämpft er mit seinen Leuten darum, die Zustandsnoten der Bauwerke nicht nur zu erhalten, sondern zu verbessern - so wie viele andere Straßenbauverwaltungen in der gesamten Republik. Doch das ist einfacher gesagt als getan: Wegen der damals guten Konjunktur wurden in den Achtzigerjahren zahlreiche Straßen neu gebaut, entsprechend viele Brücken errichtet. Doch die schiere Masse dieser Bauwerke macht den Prüfern nun zu schaffen: Viele bräuchten momentan aufgrund ihres Alters eigentlich eine Generalinstandsetzung. In den neuen Bundesländern stellt sich dieses Problem übrigens weniger, denn dort wurde ein Großteil der Brücken erst nach der politischen Wende im Herbst 1989 gebaut.

Wie groß der Handlungsbedarf ist, war schon Scheuers Vorgänger Alexander Dobrindt (CSU) bewusst: Er initiierte 2015 das "Sonderprogramm Brückenmodernisierung" und stellte bis Ende 2018 insgesamt 1,5 Milliarden Euro für Sanierungsmaßnahmen zur Verfügung. Zuletzt wurde das Programm verlängert, die Mittel dafür bis 2022 auf insgesamt 4,1 Milliarden Euro aufgestockt. Für kleinere Maßnahmen gibt es einen zusätzlichen Topf.

Doch trotz dieser vergleichsweise hohen Investitionssummen ist nur wenig Besserung in Sicht. Denn im Schnitt verschlechtert sich der Zustand der Brücken zunehmend. Hatten die Ingenieure im Jahr 2005 noch knapp 20 Prozent der Brücken des Bundesfernstraßennetzes mit gut oder sehr gut beurteilt, sank der Wert im Jahr 2018 auf nur noch 12,4 Prozent. Und eine Statistik der Bundesanstalt für Straßenwesen zeigt, dass erst 29 Prozent der im Jahr 2015 als vorrangig eingestuften Sanierungsarbeiten fertiggestellt wurden. Sachgebietsleiter Geuder spricht von einem "Sanierungsstau", der sich über die Jahre aufgetürmt habe - und der auch von der Politik zu spät angegangen wurde. "Eigentlich wurde bereits zwei Jahrzehnte lang zu wenig investiert", sagt Geuder.

Gerne würden er und sein Team mehr Arbeitstruppen zu den Brücken schicken, um die Infrastruktur rechtzeitig zu sanieren. Doch wie viele am Bau kämpfen auch die Straßen- und Brückenbauer mit einem Mangel an Fachkräften, auch in den Ingenieurbüros, die langfristige Instandsetzungen planen und überwachen. Dadurch wiederum steigen die Preise für die Sanierung, wodurch wiederum die bereitgestellten Gelder schneller aufgezehrt werden.

© SZ vom 16.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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