Autoindustrie im Wandel:Daten sind der eigentliche Treibstoff

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Ein selbstfahrendes Elektroauto von LG ist auf der Technik-Messe CES ausgestellt. Längst sind auch traditionelle Autohersteller nicht mehr nur auf reinen Automessen präsent. (Foto: dpa)

Auf Computermessen macht die Autoindustrie Urlaub von sich selbst und spricht mit anderen: Technik ohne Silodenken - das wäre ein gutes Leitbild für die Zukunft.

Kommentar von Joachim Becker

Mit Prognosen ist es so eine Sache. Und es wird nicht besser, je mehr Zukunftsstudien man liest. Dann erfährt man zum Beispiel, dass Autos Auslaufmodelle seien und die Jugend weg vom privaten Pkw wolle - allein schon der Umwelt zuliebe. Aha. Warum die Zahl der Fahrzeuge und deren Fahrleistung trotzdem weiter steigen, kann der Studienstapel auf dem Schreibtisch weniger gut erklären. Könnte es sein, dass viele Menschen das eine (sozial erwünschte) sagen und das andere (persönlich gewünschte) tun?

Trotzdem oder gerade deshalb wollen wir das neue Jahrzehnt mit einem Ausblick beginnen. Auf Grundlage einer rein subjektiven und überhaupt nicht repräsentativen Umfrage. Mit dabei: Eine blonde Schönheitskönigin, die Tech-Blogs postet, ein Software-Entwickler, der mit seinen Programmen durch Bergwerke und offenes Gelände fährt, ein Analyst, der den analysierten Robotern misstraut, und ein Mobilfunker, der die Welt von Funklöchern heilen will. Ort der Handlung ist die Leitmesse für Konsumentenelektronik (CES). An sich schon schräg genug, wirkt die CES in der Spielerstadt Las Vegas vollends surreal. Deshalb stutzt der BMW-Vorstand nur kurz, als ihn die Schönheitskönigin beim ersten Treffen duzt und ein Selfie mit ihm macht.

Was uns zu einer These ermutigt: Die automobile Erfolgsstory geht weiter, "on the road" bleibt ein zentraler Bestandteil der Popkultur. Die Strategieberatung PwC erwartet einen Bestand von 258 Millionen Fahrzeugen in Europa bis 2030 - ein Minus von zwei Prozent. Der Rückgang liegt im Bereich der Prognoseungenauigkeit. Dass alles beim Alten bleibe, glaubt aber weder der "Digital Auto Report" von PwC noch das Häuflein unserer CES-Experten. Jeder, der auf die eine oder andere Weise an der Digitalisierung und Automatisierung arbeitet, fragt sich: Was machen wir eigentlich, wenn uns das Auto immer mehr von der Lenkzeit zurückgibt, die es bisher beansprucht hat?

Die gerade veröffentlichte Shell Jugendstudie 2019 kommt zu dem Ergebnis, dass Jugendliche im Schnitt 3,7 Stunden pro Tag im Internet unterwegs sind. Klar, dass sie keinen Kopf für das Autofahren haben, wenn sie lieber Videos streamen. Eine Lösung wäre das perfekte Kino und Surround-Sound-Erlebnis auf Rädern. Einst bestand die große Freiheit darin, ein eigenes Auto zu besitzen. Doch die Blechkisten altern im digitalen Zeitalter zu schnell. Instagramfähig sind jeweils nur die neuesten Multimediakabinen, die das Steuer (partiell) übernehmen, 20 Mal schneller auf der Datenautobahn unterwegs sind (im 5G-Netz) und einen Riesenbildschirm statt eines kleinen Smartphone-Displays bieten können.

Egal, wie heftig über Antriebsalternativen gestritten wird: Daten werden der eigentliche Automobiltreibstoff in dieser und in den kommenden Dekaden sein. Deshalb haben der Entwicklungsvorstand und die junge Schönheitskönigin einiges vor. Beiden geht es darum, Follower und Likes bei den Digital Natives zu sammeln. Zur Not auch gemeinsam.

© SZ vom 18.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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