Überschwemmungen in Deutschland:Die Illusion von der Zähmung des Wassers

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Pegelstände, wie sie zuletzt vor mehr als 500 Jahren gemessen wurden: Passaus Alt- und Innenstadt unter Wasser. (Foto: dpa)

Wasserstraßen werden heute nach Belieben kanalisiert und umgeleitet, mit Staustufen und Kraftwerken versehen. So ist eine Illusion der Beherrschbarkeit entstanden. Doch wo Flüsse allzu sehr in die Pflicht genommen werden, schlagen sie auch mal aus wie bockige, gegängelte Arbeitstiere.

Ein Kommentar von Patrick Illinger

Vom Weltraum aus betrachtet, sieht die Erde zurzeit kaum anders aus als sonst. Da kräuseln sich die üblichen Wolkenbänder über blauem Meer und grünen Landmassen. Es braucht schon etwas Erfahrung, damit eine ungewöhnlich dichte weiß-graue Dunstschleife ins Auge sticht, die sich über Mitteleuropa windet.

Für jene allerdings, die unter diesem Wolkenband leben, sieht die Welt zurzeit ganz und gar nicht aus wie sonst. Autobahnen, Felder, Innenstädte versinken unter unvorstellbaren Wassermassen. Dämme durchweichen und Flüsse quellen auf Pegelstände, wie sie zuletzt im Mittelalter gemessen wurden. Katastrophenalarm wird vielerorts ausgerufen, und das Wort von der Sintflut macht die Runde, als dächte so mancher im Stillen bereits daran, eine Arche zu zimmern.

Völlig unberechtigt ist die biblische Metaphorik nicht. Das erschreckend viele Regenwasser wird noch lange Stoff für Erinnerungen und Anekdoten bleiben. Doch was steckt dahinter? Zeigt sich der viel zitierte Klimawandel nun mit voller Härte? Ist einer jener Kipp-Punkte erreicht, von denen Klimatologen so oft sprechen, eine Schwelle, von der an sich Gleichgewichte auf diesem Planeten verhängnisvoll verschieben?

In Paris, Oslo und London scheint die Sonne

Gemach, muss man aus wissenschaftlicher Sicht zu den aktuellen Ereignissen sagen. Zwar prognostizieren Klimaforscher in der Tat mehr Dürren in Südeuropa und mehr Niederschläge in mittleren Breiten. Wärmere Luft kann eben mehr Wasser aufnehmen und entsprechend auch mehr abregnen. Doch ein paar Tage Starkregen über Mitteleuropa können nicht als entscheidender Beweis für den globalen Klimawandel herhalten, zumal wenn in Paris und Oslo, in London und Athen die Sonne scheint, wie es sich für einen ordentlichen Juni gehört.

Fachlich lässt sich vorerst nur bestätigen, was eine Wetterexpertin am Sonntag im ARD-Brennpunkt etwas ungelenk ausdrückte: " Die Wetterlage ist dafür verantwortlich, dass es so viel in kurzer Zeit geregnet hat."

Die erschreckenden Fluten offenbaren vielmehr den archaischen Zwiespalt, der seit Jahrtausenden das Verhältnis zwischen Mensch und Wasser, zwischen Verdursten und Ertrinken prägt. Der Mensch verdankt dem Wasser nicht nur seine biologische Existenz, sondern auch den Aufstieg der modernen Zivilisation, der vor Jahrtausenden an Jordan, Euphrat und Nil begann und sich später an Tiber, Arno, Seine, Moskwa, Rhein, Mississippi und Hudson fortsetzte.

Dass sogar Städte wie München ihre Prosperität über Jahrhunderte hinweg ihrem Fluss verdankten, ist vielen Bürgern heute gar nicht mehr bewusst. Im 19. Jahrhundert landeten dort mitunter mehr als 14.000 Flöße pro Jahr an, was seinerzeit bedeutender war, als es heute Siemens, BMW und der FC Bayern zusammen sind.

Deutschlands Aufstieg zur Industrienation ist ursprünglich weder der Dampfmaschine noch dem Ottomotor zu verdanken, sondern der zuvor mit preußischer Akribie betriebenen Zähmung der Flüsse. Weil Wasserstraßen heute nach Belieben kanalisiert, umgeleitet, mit Staustufen und Kraftwerken versehen, mit Lastkähnen und sogar Kreuzfahrtschiffen befahren werden, ist eine Illusion der Beherrschbarkeit entstanden. Doch wo Flüsse allzu sehr in die Pflicht genommen werden, schlagen sie eben auch mal aus wie bockige, gegängelte Arbeitstiere.

Dass die Industriegesellschaft im Rekordtempo natürlichen Erdboden mit Straßen, Lagerhallen und Wohnsiedlungen bepflastert und Regenwasser immer weniger Platz findet, in dem es versickern kann, verstärkt das Problem zweifellos. Ein Siebtel des deutschen Staatsgebiets ist Bauland, und Äcker werden mit tonnenschweren Maschinen zu unnatürlich hartem Erdreich gepresst. Da darf man sich nicht wundern, wenn Regenwasser liegen bleibt und Sturzbäche bildet.

Während man Viren ausrotten und Asbest abschaffen kann, wird man sich weder von Regenwasser noch von Flüssen und Seen trennen können und auch nicht wollen. Wir Menschen brauchen Wasser, auch wenn das richtige Maß zwischen Nähe und Abstand in der modernen Zivilisation immer wieder neu zu definieren ist.

Trotz der Tragödien, die ein Hochwasser mit sich bringt, zeigen sich in diesem Fall ja auch positive Aspekte. Anders als in Mosambik oder am Ganges finden die allermeisten Betroffenen Unterschlupf, und viele der eigens für Hochwasser gebauten Dämme halten erstaunlich gut.

Richtig Mut macht indes ein ganz anderer, nicht-meteorologischer und nicht-technischer Effekt: In Zeiten wie diesen zeigt eine Bürgerschaft, die sich sonst herzhaft um Parkplätze und Gartenzaunfarben streiten kann, plötzlich ein erfreuliches Maß an Gemeinsinn. Wer weiß, vielleicht sind die Menschen in einer Wohlstandsgesellschaft ja doch im Stande, Krisen abzuwettern; vielleicht sogar Krisen, die eines Tages noch härter zuschlagen werden als ein versauter Sommeranfang.

© SZ vom 04.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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