Theologische Zoologie:Die Biologie des Paradieses

In Münster eröffnete ein Institut für Theologische Zoologie. Sein Leiter, Rainer Hagencord, über die Tiere im Garten Eden und den meditativen Zustand von Kühen.

Hanno Charisius

Die "wissenschaftlich fundierte, theologische Würdigung des Tieres" ist Ziel des Instituts für Theologische Zoologie, das gerade in Münster eröffnet wurde. Zum Festakt erschien auch Schirmherrin Jane Goodall, die berühmte Schimpansenforscherin. Noch residiert die Forschungseinrichtung im Arbeitszimmer von Rainer Hagencord, 48, der das Institut mit dem irritierenden Namen aufgebaut hat und leitet. Bald soll das sogenannte An-Institut der Philosophisch-Theologischen Hochschule der Kapuziner eigene Räume beziehen. Die erschwerten Startbedingungen halten den Priester, der Theologie, Biologie und Philosophie studiert und über das theologische Verhältnis von Mensch und Tier promoviert hat, nicht davon ab, Lehraufträge an drei Hochschulen zu erfüllen.

Rainer Hagencord

Rainer Hagencord hat das Institut für Theologische Zoologie aufgebaut.

(Foto: Foto: Michele Cappiello)

SZ: Geht es bei theologischer Zoologie um Kühe im Paradies?

Hagencord: Nicht nur, aber auch, ja. Laut Schöpfungsbericht musste der Mensch den Garten Eden verlassen, nachdem er sich von Gott abgewandt hatte. Die Bibel schweigt sich da zwar aus, aber ich vermute, dass die Tiere noch dort sind. Nach dem Philosophen und Theologen Thomas von Aquin haben sie ihre 'Gottunmittelbarkeit' nicht verloren.

SZ: Der Institutsname suggeriert, dass Sie die biblische Schöpfungsgeschichte über Erkenntnisse der Verhaltens- und Evolutionsbiologie stellen. Welche Bedeutung haben wissenschaftliche Erkenntnisse für Ihre Arbeit?

Hagencord: Bei vielen Menschen entsteht sofort dieses Bild, dass ein Theologe Evolutionsbiologen erklären will, was sie zu denken und zu glauben haben. Mir geht es um einen Dialog zwischen Religion und Naturwissenschaft. Die Kirche hält Tiere noch immer für Dinge, obwohl die Biologie eine große Nähe zwischen Mensch und Tier nahelegt. Ich möchte versuchen, aktuelle wissenschaftliche Informationen über das Denken, Fühlen und das Bewusstsein von Tieren zu sammeln, dazu steht das Institut in Kontakt mit Naturwissenschaftlern und Ethikern. Mit diesem Wissen möchte ich die biblischen Schriften neu betrachten.

SZ: Welche Rolle spielen Tiere in der Bibel?

Hagencord: Sie sind omnipräsent, kommen fast auf jeder Seite vor. Nicht beiläufig oder bloß als Objekt menschlichen Handelns, sondern mit eigenem Wert. Es wimmelt von Hinweisen auf die Würde von Tieren. Früher haben das die Menschen verstanden, aber in der Neuzeit ist der Blick verlorengegangen. Ich möchte einen Perspektivenwechsel herbeiführen auch in gesellschaftspolitischen Fragen wie Massentierhaltung und Fleischkonsum. Puten, Kälber, was immer - das sind Geschöpfe. Und wir behandeln sie als wären sie Steinkohle.

SZ: Das heißt konkret: Wir dürfen kein Fleisch mehr essen?

Hagencord: Die biblischen Aussagen dazu sind deutlich: Jesus war kein Vegetarier. Es gilt nur Ehrfurcht zu haben und zu fragen, wie die Tiere gelebt haben, die ich da esse.

SZ: Wie ist es mit Tierversuchen?

Hagencord: Wo die Alternative fehlt, geht es nicht anders. Die Entwicklung neuer Medikamente ist an vielen Stellen ohne Labortiere nicht machbar.

SZ: Verstehen Sie sich selbst eher als gläubiger Wissenschaftler oder als forschender Priester?

Hagencord: Ich merke in den Diskussionen immer deutlich, dass ich von Haus aus Theologe bin. Ich habe mich bereits als Schüler leidenschaftlich mit Biologie beschäftigt und weiß aus dem Studium, wie Wissenschaft funktioniert und Forscher denken. Aber ich kann einige theologische Denkschemata nicht abschalten und blicke von dieser Position in die Verhaltens- und Evolutionsbiologie.

Religiöses Erleben bei Schimpansen?

SZ: Was sieht ein gläubiger Mensch, der so die Perspektive wechselt?

Hagencord: Man erkennt, dass die Übergänge vom Tierreich zum Menschen fließend sind, so wie Charles Darwin es bereits vor 150 Jahren beschrieben hat. Es gibt keine Qualitätsunterschiede zwischen Menschen und Tieren, das belegen alle Daten über Kognition, Emotion und Kulturfähigkeit von Tieren.

SZ: Mit dieser Ansicht stoßen Sie den Menschen von seinem Thron. Bereitet Ihnen das Probleme innerhalb der Kirche?

Hagencord: Die Betrachtungen zu meinem Vorhaben sind unterschiedlich. Einige meinen, es gibt wichtigere Themen, andere reduzieren mein Anliegen auf den Tierschutz. Aber es gibt viele, die den Versuch gut finden, mit dem anthropozentrischen Weltbild aufzuräumen, das sich durch keine Stelle der Bibel rechtfertigen lässt. Unser Bischof hat mich für die Arbeit am Institut immerhin teilweise vom Gemeindedienst freigestellt. Ein bisschen Einzigartigkeit bleibt ja erhalten: Die Bibel macht ständig darauf aufmerksam, dass der Mensch die Verantwortung für die Schöpfung trägt - im Gegensatz zum Tier. Der Mensch soll wie ein guter König sein. "Macht euch die Erde untertan", ist kein Freibrief, mit der Natur nach Gutdünken zu verfahren, sondern der Auftrag, die Schöpfung zu bewahren. Das kann kein Blauwal und keine Kohlmeise, das kann nur der Mensch.

SZ: Wann beginnt in der Geschichte der Menschwerdung die Verantwortung gegenüber der restlichen Schöpfung? Mit dem aufrechten Gang? Mit der Entwicklung der Sprache? Mit dem Gebrauch von Werkzeugen?

Hagencord: Der Umgang mit der Zeit dürfte dabei die wichtigste Rolle spielen. An dem Punkt, an dem unsere Vorfahren in der Lage waren, für morgen und übermorgen zu planen, änderte sich etwas Grundlegendes. Vielleicht sind Bestattungsrituale der beste Hinweis darauf. Als die ersten Hominiden begannen, ihre verstorbenen Artgenossen zu bestatten, haben sie sich wahrscheinlich bereits gefragt, ob es ein Leben nach dem Tod gibt und sich auf die Suche nach einem Lebenssinn gemacht.

SZ: Wissen Tiere von Gott?

Hagencord: Jane Goodall hat bei der Eröffnung des Instituts eine Geschichte erzählt. Sie folgte einmal in Tansania einer Schimpansengruppe. Die Tiere näherten sich einem Wasserfall, den sie nie zuvor gesehen hatten, Goodall beschrieb ihn als atemberaubendes Kunstwerk der Natur. Sie beobachtete, wie die Schimpansen erst staunend davorsaßen und dann in eine rhythmische Bewegung übergingen, etwa eine Viertelstunde lang. Daraus schließt Goodall, dass man Anfänge eines religiösen Erlebens - das Staunen über besondere Ereignisse - vielleicht schon bei Menschenaffen wahrnehmen kann.

SZ: Und die Kuh, die in der Mittagssonne liegt und wiederkäut?

Hagencord: Die wird nicht an Gott denken, aber sie lebt tatsächlich im Augenblick. Sie ist mit allen Sinnen da, sorgt sich nicht, muss keine Entscheidungen treffen. Und das ist doch genau das, was wir mühsam mit jeder Meditation versuchen. Für mich hat dieser Zustand etwas vom Paradies.

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