Paläontologie:Wurde Amerika mehr als 100 000 Jahre früher besiedelt als bislang gedacht?

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Die Knochen eines Mammuts weisen Spuren von Bearbeitung durch Steinwerkzeuge auf. (Foto: dpa)
  • Ein menschenartiges Wesen hat womöglich ein primitives Werkzeug verwendet, um die Gebeine eines toten Mammuts zu zertrümmern.
  • Forscher haben diese Spuren nun gefunden und vermuten: Es muss vor etwa 130 000 Jahren in Südkalifornien passiert sein.
  • Bislang dachte man, dass der Mensch vor etwa 15 000 Jahren von Sibirien über die Beringstraße nach Nordamerika kam.

Von Hanno Charisius

Wieder und wieder dreschen die beiden Männer mit dem selbstgebauten Steinhammer auf den Knochen ein, der am Boden liegt, bis dieser endlich zersplittert. Es wirkt ein bisschen unbeholfen, was der Paläontologe Steven Holen und sein Student Adam Thomas da in einem Video demonstrieren.

Sie versuchen nachzustellen, was ihrer Meinung nach vor 130 000 Jahren in Südkalifornien passiert ist: Ein menschenartiges Wesen benutzte demnach ein primitives Werkzeug, um die Gebeine eines toten Mammuts zu zertrümmern - vielleicht um an das nahrhafte Mark zu kommen oder um Werkzeuge aus den Knochen herzustellen.

Den Elefantenknochen zertrümmerten sie

Liegen die Forscher richtig, wäre der amerikanische Kontinent mehr als 100 000 Jahre früher durch Menschen besiedelt worden, als heute gemeinhin angenommen wird. Nach gängiger Auffassung kamen frühe Menschen vor etwa 15 000 Jahren von Sibirien über die Beringstraße nach Nordamerika.

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Das ist deutlich früher, als bislang angenommen. Erbgut-Analysen lassen zudem vermuten, dass es mehrere Auswanderungswellen des frühen Homo sapiens gab - nicht alle waren erfolgreich.

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Weil Holen und seine Kollegen wissen, wie unerhört ihre Hypothese ist, beeilen sie sich in ihrem Fachartikel, der am Mittwoch in Nature erschienen ist, alle Argumente aufzulisten, die für ihre Annahme sprechen: Das Alter der Knochenfragmente, auf die sie ihre Argumentation aufbauen, wurde mit einer zuverlässigen Methode bestimmt, es gibt mehrere Belege für ihre Spekulation, die alle in dieselbe Richtung weisen, und in der Nähe der Knochen wurden Steine gefunden, die als Werkzeug gedient haben könnten.

Den Elefantenknochen zertrümmerten sie, um die Bruchbilder mit denen am Fundort zu vergleichen. Und auch dieses Experiment bestätigt sie in ihrer Hypothese, denn der zerborstene Elefantenknochen glich den Splittern der fossilen Mammutgebeine. "Natürlich können Knochen auch durch andere Einflüsse brechen", sagt Thomas Deméré vom Naturkundemuseum in San Diego, der an dem Aufsatz mitgeschrieben hat. "Doch die Bruchmarken, die wir gefunden haben, passen klar zu unserer Hypothese."

Die fossilen Knochen und Zähne waren bereits 1992 bei Bauarbeiten entdeckt worden. "Uns waren gleich ein paar Merkwürdigkeiten an dem Skelett aufgefallen", erinnert sich Deméré. Die Knochen lagen unnatürlich beisammen in einem feinen Sedimentgestein. In der Nähe fanden sich größere Steine, ungewöhnlich in einer solchen geologischen Schicht. "Deshalb vermuten wir, dass Menschen die Steine gebracht haben." Aber erst im Jahr 2014 konnte das Alter der Knochen auf zwischen 120 000 und 140 000 Jahre eingegrenzt werden.

Es muss also eine andere Frühmenschenart gewesen sein

Frühere Fossilfunde hatten bereits mehrfach darauf hingedeutet, dass Menschen vor weit mehr als 20 000 Jahren in Nordamerika gelebt haben könnten. Doch in diesen Fällen hatte es immer Zweifel daran gegeben, dass die Spuren an den fossilen Knochen wirklich von Menschen stammen. Genauso könnten geologische oder biologische Prozesse die Fossilien so verändert haben, dass es aussieht, als hätten Menschen Hand angelegt. Oder es gab Zweifel am Alter der Fundstücke.

Solche Bedenken hat die israelische Archäologin Erella Hovers bei den Fossilien aus Südkalifornien nicht. In einem zweiten Text in Nature lobt sie die Arbeit der Kollegen, wirft aber auch die Frage auf, welche Menschenart so früh in Nordamerika aufgetaucht sein könnte. Denn der anatomisch moderne Homo sapiens verließ zu dieser Zeit gerade erst Ostafrika, um sich im Laufe der folgenden Jahrtausende über die gesamte Erde zu verteilen. Es muss also eine andere Frühmenschenart gewesen sein, die vor 130 000 Jahren im heutigen Südkalifornien Mammuts zerlegt hat. Hovers tippt auf späte Gruppen der Art Homo erectus, aus der sich vermutlich in Europa die Neandertaler und in Afrika Homo sapiens entwickelt haben. Es könnten aber auch Neandertaler gewesen sein oder eine andere Frühmenschenart.

Auch Friedemann Schrenk, Paläoanthropologe vom Senckenberg-Institut, tippt auf einen Verwandten oder Vorfahr des Neandertalers. Für ihn sind die Ergebnisse der Kollegen "die ersten überzeugenden Belege" für die Besiedlung Nordamerikas vor der durch den modernen Menschen. Wer auch immer die ersten Siedler waren, Schrenk hält es für möglich, dass sie mit Booten über den Pazifik kamen.

Wesentlich skeptischer gibt sich der Paläontologe John McNabb von der University of Southampton. Er bezeichnet eine frühere Ankunft von Menschen in Amerika angesichts der neuen Ergebnisse als "nicht komplett ausgeschlossen". Aber bis man ein frühmenschliches Skelett aus einem ähnlichen Zeitraum finde, "ist das alles Spekulation. Wir wissen es einfach nicht."

© SZ vom 27.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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